ebenslüste, Stufenleiter des Menschheitsglücks. Die vier L. sind: Eßlust, Lachlust, Gesellschaftslust, (Forschungslust, Verkehrslust, Wanderlust, Volkslust), Wollust. Die Eßlust beruht auf der Sättigung, die Lachlust entspringt der Freude, die Gesellschaftslust entwächst dem Gefühl der Ergriffenheit, die Wollust dem der Ewigkeit. Durch Sperrung der L. werden die vier Sperrschmerzen erzielt. - (se)

 Lebenslust (2)  Die Selbstpeinigung ist bei religösen Schwärmern und Fanatikern keine seltene Erscheinung und schon seit langer Zeit zu finden. Es sei hier an die indischen Fakire, mohamedanischen Derwische, die christlichen Säulenheiligen und Einsiedler erinnert, an Fanatiker wie Origenes, der, um die Sinneslust zu töten, an sich selbst die Kastration vornahm, an die Flagellatori in Italien, die Flagellants in Frankreich, die Flegler in Deutschland. Ueber die letztere seltsame Erscheinung schreibt Scherr: „Die namenlose Rohheit der religiösen Vorstellungen, verbunden mit der Lockerheit der Sitten, welcher sich das höllische Strafgericht drohend in der Ferne zeigte, hatte die Kasteiung des Fleisches durch Geisselung, wie sie insbesondere durch die Bettelorden gangbar gemacht worden war, zu einem beliebten Sündentilgungsmittel erhoben. Es wurde zuerst in Italien in grossem Stile angewandt, indem dort im Jahre 1620 lange Züge von Büssenden erschienen, welche bis zum Gürtel nackt, mit verhüllten Häuptern unter Anstimmung von Busspsalmen einherwandelten und sich bis aufs ßlut geisselten. Der Beginn dieses Flagellantismus im grossen, der Anfang der "Geisselfahrten" kann mit Wahrscheinlichkeit auf den 1231 gestorbenen Heiligen Antonius von Padua zurückgeführt werden. - (hel)

Lebenslust (3)    Am 16. August 1866 fand man meinen Vater ermordet in seiner Badewanne. Meine Mutter wurde von Krämpfen befallen, kam vorzeitig nieder und starb. Und ich, ich kam, nach der Schloßuhr, die gerade zwölf schlug, drei Monate zu früh auf die Welt.

Die ersten hundert Tage meines Lebens habe ich in einem überheizten Brutkasten verbracht, schon damals von dieser unerträglichen Fürsorge umgeben, die mich auf allen meinen Wegen begleiten sollte und mir Frauen und Gefühle verhaßt gemacht hat. Später, im Schloß von Fejervar, im Gefängnis von Preßburg, hier in meinem Haus in Waldensee waren es dann Diener und Soldaten, Gefängniswärter und Krankenpfleger, lauter Söldlinge, die mir die gleiche Fürsorge im Übermaß zukommen ließen, ohne daß es ihnen gelungen ist, mich fertigzumachen. Das alles geschah im Namen des Kaisers, der Gerechtigkeit, der Gesellschaft. Können sie mich denn nicht in Ruhe lassen und mich leben lassen, wie es mir paßt? Wenn meine Freiheit irgendwen oder meinetwegen alle Welt stört, dann sollen sie mich doch abknallen, das ist mir immer noch lieber. Übrigens ist mir das alles ganz egal, das oder das oder das, ob ich hier oder anderswo bin, frei oder gefangen. Wichtig ist nur, man fühlt sich glücklich. Man lebt einfach nach innen statt nach außen, die Intensität des Lebens bleibt dieselbe, und ich kann Ihnen sagen, es ist erstaunlich, wo die Lust am Leben sich manchmal einnistet.   - (mora)

Lebenslust (4) Wie durch einen Zauberschlag stand über das in seinen Grundfesten erschütterte Frankreich, über ganz Holland und Deutschland und weit darüber hinaus, eine freche verbrecherische Verbrüderung da, wie sie die Geschichte nicht weiter aufzuweisen hat. In einem großen Ganzen und in einer fast zahllosen Verteilung über das weite Territorium verbreitet, in sich geschlossen und beweglich, hartnäckig und flüchtig, handelte sie mit roher Gewalt und mit der feinsten Kunst und Berechnung. Sie kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung um das Leben und frönte der Lebenslust bis auf die Hefe und bis zur eigenen Vernichtung. Reichtümer wurden zusammengeraubt und in wahnsinnigem Genuß verschleudert, und mit der Armut unzufrieden und selbst den eigenen Besitz verachtend, wurden in rasender Tatenlust unmenschliche Handlungen begangen, das geächtete Leben hundertfach in die Schanze geschlagen und aus Angst vor Kerker und Schaffot um jeden Preis für das Leben, geraubt, gemordet. - (ave)

Lebenslust (5) Ich erinnere mich an den Sommer, als ich acht Jahre alt war. Da lief ich splitternackt in den warmen Regen hinaus, lief einfach so dahin, gab völlig unsinnige Laute von mir, lachte, als wäre ich übergeschnappt, während Schlamm zwischen meinen Zehen aufspritzte. Und rund um mich glänzten die alten Apfelbäume im Regen. Ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören. Ich kam zu einem Kornfeld, blieb stehen, warf den Kopf zurück und schloß die Augen, während mir der Regen über das Gesichtl lief. Ich versuchte die Tropfen zu schlürfen, fühlte mich wunderbar erregt und glücklich und auch etwas verrückt, als ich dann meine Hände zwischen meine Beine legte.   - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)

Lust Leben
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 Lebensunlst

Synonyme

Lebensunlust