azarett Auf
dem Boden stand die lange Reihe der Tragbahren mit den Unglücklichen, und ringsherum
wüteten die Chirurgen, die einander Pinzetten, Sägen,
Nadeln, Garn und amputierte Glieder aus der Hand rissen. Bei den Toten, einem
nach dem anderen, bei jeder Leiche taten sie das Menschenmögliche, um sie wieder
zum Leben zu erwecken. Hier wurde genäht, dort gesägt; Löcher wurden tamponiert,
die Adern wie Handschuhe umgestülpt
und wieder an die richtige Stelle gelegt, mit mehr Fäden als Blut darin, aber
geflickt und geschlossen. Die größte Schwierigkeit bereiteten die Eingeweide;
waren sie erst einmal abgespult, wußte man nicht mehr, wie man sie wieder hineinstopfen
sollte. - (
vis
)
Lazarett
(2) Man mußte eine Brücke über einen Kanal überqueren,
um ins Lazarett zu kommen. Man hatte die Wahl zwischen drei Brücken. Auf der
einen verkaufte eine Frau geröstete Kastanien. Es war warm, wenn man dicht vor
ihrem Kohlenfeuer stand, und die Kastanien waren nachher warm in der Tasche.
Das Lazarett war sehr alt und sehr schön, und man betrat es durch ein Tor und
ging durch einen Hof und durch ein Tor auf der anderen Seite hinaus. Gewöhnlich
setzte sich gerade ein Leichenzug vom Hof aus in Bewegung. - Ernest Hemingway, Die Nick Adams Stories.
Reinbek bei Hamburg 1973
Lazarett (3) Die Ordonnanz mit dem Rübenschädel wurde Opfer eines lustigen Spaßes. Da er sich zwei oder drei Tage geholt hatte, wegen »Gliedersteife«, die er sich »wohl beim Pissen gegen eine Mauer?« zugezogen hatte, wie der Oberstabsarzt väterlich meinte, legte er sich den ganzen Tag über auf die faule Haut oder riß unter dröhnendem Gelächter Witze neben Philippe, der sich nun nie mehr erhob. Da dessen Tuberkulose als »typhusartig« diagnostiziert worden war, packten ihn die Krankenpfleger stündlich, zogen ihn nackt aus und warfen ihn in eine eiskalte Badewanne neben seinem Bett. Bei dem rhythmischen Geheul in der Nacht wandten sich Kranke um, riesenhafte Schmiede oder Bauern, traten dann zu ihm ans Bett und drohten, ihm die Fresse einzuschlagen. Schließlich legte man ihn in ein Einzelzimmer am Ende des großen Saals, wo er keinen anderen Bettnachbarn hatte als einen Normannen, den man für einen Simulanten hielt, weil er seit zwei Tagen, infolge einer ungeschickten Ätherspritze seitens eines Praktikanten, am linken Arm gelähmt war. Und Philippes gewohnheitsmäßige Schreie waren schon Stunden im voraus wie Klingelzeichen oder Glockenschläge vorherzusagen. Dann erholte er sich wieder und fand es lustiger, daß man ihm zugestand, wieder in den großen Saal zurückgebracht zu werden, wo die lachende Ordonnanz noch immer schlief.
Am Tag vor dem Vorfall winkte der kleine Tuberkulöse den Feldgeistlichen
zu sich, der gerade seine Runde machte; worauf dieser sogleich mit seiner beidseitig
verwendbaren priesterlichen Tracht zurückkam, sie hastig überwarf, ohne daß
es auffiel. Er nahm ihm die Beichte ab, wobei ganz allein er sprach, wendete
sodann die Farben des getarnten Priestergewandes und der Geheim-Stola und gab
dem Kranken die Letzte Ölung. Nach der Nacht erholte dieser sich, dank vierzig
Gramm Alkohol, einem Geschenk des Oberstabsarztes, und, beflügelt von der Aussicht
auf sehr lange Urlaube, sogar ziemlich gut. Plötzlich jedoch wurde er ganz blaß,
wobei er, im Halbkreis der von den Spieltischen herbeigelaufenen Gaffer, die
Rippen keuchend bewegte. Der Rübenschädel schlummerte klaffenden Mundes. Und
dann wurde der mit den letzten Sakramenten Versehene schlagartig gelb, geschminkt
mit einer Grimasse, und die Rübe sprang im Hemd auf und rannte brüllend durch
Säle, Treppenhaus und Garten. Soldaten kamen mit einer Allzwecktrage, und zwei
Tage später spielte sich die gleiche Gafferei vor den Scheiben des Hörsaales
ab. Zum ersten Mal wurde Sengle bewußt, daß er sich in einem traditionellen
Lazarett befand. - Alfred Jarry, Tage und Nächte. Roman eines Deserteurs.
Frankfurt am Main 1998 (zuerst 1897)
|
||
|
||