autlosigkeit  Unsere armen Brieftauben hatten jetzt keine Daseinsberechtigung mehr... Wir fütterten sie seit Monaten nicht richtig, trotzdem kamen sie sehr teuer zu stehen!... Hätte man sie verkauft, sie wären wiedergekommen... ich kannte sie... Sie hätten sich nie an andere Herren gewöhnt... Es waren brave, treue, anständige kleine Tierchen... Sehr anhänglich... Sie erwarteten mich auf dem Dachboden... Wenn sie mich auf der Leiter kommen hörten... gurrten sie doppelt so laut!... Courtial sprach bereits davon, sie sich à la cocotte in den Bauch zu schlagen... Aber ich wollte sie nicht dem ersten besten ausliefern... Mußte man sie schon umbringen, dann wollte ich's lieber tun!.., Ich dachte über die Todesart nach... Als handelte es sich um mich selbst... Ein Messer würde mir nicht gefallen... nein!... Erwürgt möchte ich auch nicht werden... Zerstückelt... ausgenommen...! Das bereitete mir Kummer!... Ich kannte sie sehr gut... Aber es war nicht zu ändern... Man mußte einen Entschluß fassen... Seit vier Tagen hatt ich kein Futter mehr... Ich ging also an einem Nachmittag gegen vier Uhr hinauf. Sie glaubten, ich brächte ihnen was zu fressen... Sie hatten volles Vertrauen... Sie gurgelten aus Leibeskräften... Ich sage ihnen: «Los! Her mit euch, ihr Gluckser! Einsteigen, zum Spazierenfahren!...» Sie kannten das gut... Ich öffne ihren Korb... Sie stürzen sich hinein... Ich verschließe ihn... Ich binde einen Strick herum ... Fertig... Ich lasse die Sache zuerst im Gang. Ich gehe ein wenig hinunter... Ich sage Courtial nichts... Ich warte, bis er fortgeht... Ich warte noch bis nach dem Abendessen... Violette klopft ans Fenster... Ich sage ihr: «Komm später wieder, mein Schatz... Ich gehe für eine Weile fort!...» Sie bleibt... sie plappert...

«Ich will dir was sagen, Ferdinand!» wiederholt sie... «Verdufte!» antworte ich ihr...

Dann gehe ich hinauf und hole meine Tierchen... Ich bringe sie hinunter ... lade mir den Korb auf den Kopf... Ich gehe zur rue Montpensier hinaus ... überquere das ganze Carrousel... Am Quai Voltaire suche ich eine geeignete Stelle aus... Niemand ist zu sehen... Unten am Ufer nehme ich einen großen Stein... befestige ihn an den Korb ... Ich sehe mich nochmals um... Ich packe den ganzen Kram mit beiden Händen und schmeiße ihn in die Brühe... so weit ich kann... Es hat nicht viel Lärm gemacht... Es ging ganz automatisch... - (tod)

Lautlosigkeit (2)  Er stand einige Schritte entfernt, den Blick mir zugewandt: eine so unerwartete Erscheinung wie Banquo in »Macbeth«. Nicht einmal ein Rotkehlchen hätte lautloser auftauchen können. Kein Zweig hatte sich bewegt, kein Blatt geraschelt.

Mr. Kempe in seiner alten, grünlich-dunklen, halbkirchlichen Tracht und seinen ziehharmonikaartig hängenden Hosen über den gewaltigen, unförmigen Schuhen, sah wie ein Mann von mindestens sechzig Jahren aus. Ein uralter schwarzer Strohhut beschattete sein Gesicht. Unter dem grauen Haar quoll das lange, farblose Gesicht mit einem verwilderten Bart hervor. Seine Augen waren klar wie Wasser, die Lider ungewöhnlich weit getrennt, und sie hatten die sogar auf Entfernung wahrnehmbare Eigentümlichkeit, sich anscheinend nicht auf den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Diese Aufmerksamkeit galt in der Tat mir, und so wie ich stand, den Kopf ihm zugewendet, verblieben wir, einer den andern genau beobachtend, wobei die Sekunden mir wie Stunden vorkamen.

Ich war's, der das Schweigen brach mit einer geheuchelt gleichgültigen Bemerkung über das Wetter und das interessante Aussehen des Gebäude-Relikts, das, irgendeinem Riesenpilz aus Stein ähnlich, nahebei stand. Mr. Kempes antwortende Stimme war sogar noch erstaunlicher als sein Aussehn. Sie schien aus einer Kehle zu dringen, die infolge mangelnden Gebrauchs eingerostet war, und hatte etwas gläsern Vibrierendes an sich gleich dem Klirren zersplitternden dünnen Glases. - Walter de la Mare, Mr. Kempe. In: W. M., Aus der Tiefe. Frankfurt am Main 1984 (st 982, zuerst 1923)

Lautlosigkeit (3)  Es gelang mir, seinen Hals zu erwischen, und ich drückte, so fest ich konnte.

Es war, als ob man versuchen wollte, mit einer Handvoll Kautschuk und Sprungfedern fertig zu werden, und ich probierte, mich auf ihn zu rollen, um ihn mit meinem Gewicht zu überwältigen. Aber jedesmal, wenn ich mich bewegte, stießen mir seine Knie wie Kolben in den Bauch. Ich wußte, wenn ich durchhalten würde, ohne den Griff zu lockern, mußte er über kurz oder lang ohnmächtig werden. Aber gerade als ich meinte, die Spannung in seinem Körper lasse nach, fühlte ich seine Hand nach meinem Gesicht tasten. Ich spürte, wie sich sein Daumen wütend in meine Augenhöhle bohrte, und da bekam ich das erstemal wirklich Angst vor ihm. Er würde mir das Auge ausquetschen, wenn es ihm gelang - mich zum Krüppel machen, wenn er konnte. Und es gab keinen anderen Ausweg, als ihm zu gehorchen. Ich hatte das grauenhafte Gefühl, daß er sich durch nichts abschrecken ließ. Selbst wenn ich ihm jetzt sämtliche Knochen im Leib zerschlug, würde er es immer und immer wieder versuchen, bis er mich soweit hatte. Er würde mich nie in Frieden lassen. Tag und Nacht würde er mich verfolgen, wo ich auch war. Und immer wieder würden wir aneinander geraten wie jetzt.

Das Unheimlichste an alledem war, daß der Kampf sich in tiefstem Schweigen abspielte. Ich wollte nicht, daß uns jemand hören sollte, und wahrscheinlich ging es ihm ebenso. Sosehr wir uns ineinander verkrallten, keiner von uns sprach ein Wort, und alle unsere Bewegungen gingen lautlos vor sich, immer darauf bedacht, nicht plötzlich an eines der Möbelstücke zu stoßen.  - Stanley Ellin, Rache der Unschuld. Bern und München 1995  (zuerst 1951)

Lautlosigkeit (4)  
 

Stille

 

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