Laufen   Dilldapp geriet in ein solches Laufen bergab und bergauf, durch Wälder und Felder, Land und Sand, Stock und Stein, Distel und Dorn, daß er nicht eher aufhörte, bis er nichts mehr sah vor lauter Nacht. Denn die Sonne hatte er schon über den Haufen gelaufen, und an der Abendröte hatte er die bunten Fensterscheiben eingerannt. Da hingen die Sterne ihre tausend Laternen zum Himmel heraus, und der Mond zog als Nachtwächter auf die Wache, um zu sehen, wer so erbärmlich laufe.

Dilldapp aber bekümmerte sich um nichts, und da er an einem Berg stand, der mit dem Himmel den Kopf zusammenstieß, rannte er zuguterletzt auch da hinauf. Außer Atem war er, und da er oben hinkam, hatte er Luft im Überfluß. Er konnte auf viele Jahre voraus Atem schöpfen. Da aber die Welt da oben auch noch nicht mit Brettern zugenagelt war, begann er weiterzurennen; aber ein Esel trat ihm in den Weg. Der gefiel dem guten Dilldapp so wohl, daß er auf ihn stieg, um seine Reise in guter Gesellschaft fortzusetzen.   - Clemens Brentano, Das Märchen von dem Dilldapp oder Kinder und Toren haben das Glück bei den Ohren

Laufen (2) »Du bist grobschlächtig, ungebildet, dumm und fad. Du mußt noch viel lernen, du Zotenreißer

»Wo bin ich?« frage ich und bleibe keuchend stehen.

»Wo du immer warst - im Labyrinth

»An welchem Punkt des Labyrinths? Und wo ist das Labyrinth?«

»Wie kannst du wissen wollen, wo das Labyrinth ist, wenn alles Labyrinth ist? Warum fragst du nicht, wo die Luft, das Licht, die Nacht ist? Das Labyrinth ist hier - aber wo ist das: >hier<? Natürlich ist es >hier<, ebenso wie es >dort< ist, oder nicht?«

»Ich finde die Lage verwirrend«, antwortete ich höflich.

»Dann sagen wir also, daß du laufend das Labyrinth schaffst; andererseits könntest du gar nichts anderes tun als laufen, weil du ja im Labyrinth bist. Logisch.«

»Logisch«, flüstere ich.

»Was den genauen Punkt des Labyrinths betrifft, an dem du dich befindest«, fährt die Stimme des Scharlatans wohlwollend fort, »so leitet er sich von der Definition des Labyrinths ab. Du bist kaum aufgebrochen, beinah angekommen, ganz vom Weg abgekommen. Du kannst nicht anders als ankommen, auch wenn du de facto nicht ankommst. Deshalb ist es nutzlos, schneller zu laufen; falls du wirklich schneller läufst« - er betont das Wort >wirklich< - »dann wirst du möglicherweise niemals ankommen. Das Labyrinth ist übelnehmerisch aufbrausend und unverträglich.«

»Soll ich langsamer laufen?«

»Im Augenblick stehst du überhaupt still, was vorläufig alles in allem die richtige Geschwindigkeit ist. Du könntest natürlich auch langsamer laufen, aber solange man stillsteht, ist das mühsam. Mäßig beschleunigen - das hast du bereits getan, und jetzt bist du immer noch hier.«

»Was meinst du mit ›immer noch‹«? frage ich erstaunt.

»Nun ... du bist doch hier - oder nicht? Und wo warst du, als du zu laufen anfingst?«

»Ich war dort - oder nicht?«

»Nicht im mindesten! Jetzt sagst du, daß du dort warst, aber damals hättest du gesagt, du wärest >hier<; und wo bist du jetzt? >Hier<. Du bist also eben erst aufgebrochen und beinah angekommen. Es scheint mir klar zu sein, daß du stillstehend eine Geschwindigkeit erreichst, die ich als >würdevoll< bezeichnen möchte. Vor allem kann man dich nicht überholen. Kannst du mir folgen?«

»Nur wenn du mir vorangehst«, erwidere ich gänzlich entnervt.   - (hoelle)

Laufen (3)   Schnelles Laufen, ohne dringende Ursache, ist unverständlich. Der schnelle Läufer sieht und hört nicht, was um ihn herum vorgeht. Er stolpert, er verliert das Gleichgewicht, er rennt an leblose und lebendige Gegenstände an. Seine Freunde grüßen ihn, er dankt nicht. Selbst die Hunde trauen ihm nicht über den Weg. Sie möchten bellen und den Läufer ansprechen. Bevor sie den ersten Satz herausbringen, ist der Läufer an ihnen vorbei. So schnell, daß die Hunde sich an den Kopf fassen fern in der Welt und einfach nicht ins Bett wollen. - Günter Bruno Fuchs, Reiseplan für Westberliner anläßlich einer Reise nach Moskau und zurück. Handbuch für Einwohner N° 2. München 1973

 

Bewegung

 

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