Lappen  Der Junge erhob sich von seinem Schemel, stellte sich vor sie hin und starrte ihr ins Gesicht. Es war ihm, als schwanke er hoch in der Luft und hätte nur einen winzigen Halt. »Weshalb hast du mir geholfen?« fragte er sie. »Weißt du das nicht?« antwortete sie. »Hast du mich denn immer noch nicht erkannt? Aber an den Wanderfalken wirst du dich erinnern, der sich im Takelwerk eures Schiffes verfangen hat, der Charlotte, als sie im Mittelmeer kreuzte. An jenem Tage bist du die Wanten zur Bramsegelrah des Hauptmastes hinaufgeklettert, um ihn loszumachen, in steifer Brise und bei hoher See. Jener Falke war ich. Wir Lappen fliegen oft auf diese Weise aus, um die Welt zu sehen. Als ich dir zum erstenmal begegnete, war ich unterwegs nach Afrika, um meine kleine Schwester und ihre Kinder zu besuchen. Auch sie ist eine Falkin, wenn es ihr beliebt. Damals lebte sie in Takaunga, in einem alten verfallenen Turm, den man dort drunten ein Minarett nennt.« Sie wickelte einen Zipfel ihres Rockes um ihren Daumen und biß darauf. »Wir vergessen nichts«, sagte sie. »Ich hackte dich in den Daumen, als du mich packtest; es ist nur recht und billig, daß ich mir heute nacht um deinetwillen in den Daumen gestochen habe.«

Sie trat dicht an ihn hin und rieb mit zwei ihrer braunen krallenähnlichen Finger sanft über seine Stirn. »So bist du also ein Junge«, sagte sie, »der eher einen Mann tötet, als daß er zu spät zum Stelldichein mit seiner Liebsten kommt! Wir halten zusammen, wir Frauen dieser Erde. Ich werde jetzt deine Stirn zeichnen, damit die Mädchen es erkennen, wenn sie dich anschauen, und sie werden dich lieben darum.«  - Tania Blixen, Wintergeschichten, Reinbek bei Hamburg 1989

 

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