Langschläfer   Ich kam an einem Nachmittag nach Hause, abgejagt wie ein Tier von der vielen Arbeit, die hinter mir lag; ich warf mich auf den Fußboden und schlief wie ein Murmeltier. Und plötzlich träumte ich, die Tür gehe auf, und in ihr stehe ein völlig fremder Mann und hinter ihm zwei Soldaten mit aufgepflanztem Seitengewehr; ich weiß nicht wieso, aber die Soldaten trugen Kosakenuniform. ›Stehen Sie auf‹, rief der Unbekannte in grobem Ton, ›machen Sie sich fertig, morgen früh wird das Todesurteil an Ihnen vollstreckt. Verstanden?‹

›Ja‹, entgegnete ich. ›Aber warum werde ich hingerichtet? . .. ‹ ›Sie haben keine Fragen zu stellen‹, fuhr mich der Mann an. ›Wir haben den Befehl zur Vollstreckung‹. Und damit schlug er die Tür hinter sich zu.

Ich blieb allein zurück und überlegte. Das heißt, ich weiß nicht: wenn man im Schlaf denkt, überlegt man da wirklich, oder träumt man nur, daß man denkt? Waren es meine Gedanken oder geträumte, so wie man Gesichter träumt? Ich weiß nur, daß ich angestrengt nachgedacht und dabei mich gleichzeitig über meine Gedanken gewundert habe. Das erste, womit ich mich befaßte, war eine gewisse Schadenfreude darüber, daß hier ein Versehen vorliege, wenn ich morgen hingerichtet würde, und daß jenen Schimpf und Schande daraus erwachse. Aber gleichzeitig machte sich eine Unruhe in mir bemerkbar, daß ich nun wirklich hingerichtet werden sollte und Frau und Kind zurücklassen mußte; was würde aus ihnen werden ohne mich.. . ? Das war ein richtiger Schmerz, als ob mir das Herz blutete, aber zugleich hatte ich das angenehme und befriedigende Gefühl, mich um Weib und Kind zu sorgen. Da schau, sagte ich mir, das sind also die letzten Gedanken eines Mannes, der den Tod vor Augen hat! Das freute mich, dieses Gefühl des fürsorglichen Vaters; es kam mir so erhebend vor. Das muß ich meiner Frau berichten, dachte ich.

Da durchfuhr mich plötzlich ein Schreck: ich entsann mich, daß Hinrichtungen in den frühen Morgenstunden stattfinden und daß ich daher sehr früh aufstehen müsse, um hingerichtet zu werden.

Ich schlafe so gern, und die Vorstellung, die Soldaten würden mich bei Morgengrauen wecken, war stärker als alles andere; mein Herz schlug kleinmütig, und ich weinte fast vor Angst über mein bevorstehendes Schicksal. Das war so grauenhaft, daß ich davon erwachte. Ich atmete auf.   - Karel Čapek, Der gestohlene Kaktus. Frankfurt am Main 1969 (zuerst ca. 1930)

Langschläfer (2)  Ich habe öfters einen Siebenschläfer beim Zerschneiden unbeweglich bleiben sehen, wie tot, bis er gekocht wurde, und dann erst im heißen Wasser zeigten die zerschnittenen Glieder Lebensregungen.

Obgleich es schwer zu glauben ist, liest man doch bei bewährten Geschichtsschreibern, daß es auch Menschen gegeben, die viele Jahre lang ununterbrochen geschlafen haben und bis zu ihrem Erwachen um nichts älter geworden seien, was selbst Plinius von einem Knaben bezeugt, der, durch die Sommerhitze und langes Gehen ermüdet, in einer Höhle siebenundfünfzig Jahre lang geschlafen habe. Auch von dem Gnosier Epimenides lesen wir, er habe siebenundfünfzig Jahre lang in einer Höhle geschlafen. Daher das Sprichwort: Länger als Epimenides schlafen. Damascenus erzählt, zu jener Zeit habe sich in Deutschland ein müder Bauer unter einen Heuhaufen gelegt und habe den ganzen Herbst und den folgenden Winter hindurch  ohne  Unterbrechung  geschlafen,  bis  im  nächsten Sommer, als das Heu allmählich verbraucht war, derselbe wie ein Halbtoter erwachend und außer sich vor Erstaunen gefunden wurde. Die Kirchengeschichte bestärkt den Glauben an solche Phänomene durch ihre Erzählung von den sieben Schläfern, welche hundertundsechsundneunzig Jahre geschlafen haben sollen. In Norwegen ist in einem hervorragenden Ufer eine Höhle, wo, wie Paulus Diakonus und Methodius der Märtyrer schreiben, sieben Männer lange Zeit hindurch schlafend lagen, und zwar ohne irgend Schaden zu nehmen. Öfters seien Leute in die Höhle gegangen, um die Schlafenden zu verletzen, seien aber stets lahm geworden; endlich haben die Umwohner, durch eine so augenscheinliche Strafe gewarnt, jeden Versuch, denselben ein Leid zuzufügen, aufgegeben. - (nett)

Langschläfer (3)    Er wanderte über Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit; wunderliche Thiere sah er; er lebte mit mannichfaltigen Menschen, bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth. Alle Empfindungen stiegen bis zu einer niegekannten Höhe in ihm. Er durchlebte ein unendlich buntes Leben; starb und kam wieder, liebte bis zur höchsten Leidenschaft, und war dann wieder auf ewig von seiner Geliebten getrennt. Endlich gegen Morgen, wie draußen die Dämmerung anbrach, wurde es stiller in seiner Seele, klarer und bleibender wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als ginge er in einem dunkeln Walde allein. Nur selten schimmerte der Tag durch das grüne Netz. Bald kam er vor eine Felsenschlucht, die bergan stieg. Er mußte über bemooste Steine klettern, die ein ehemaliger Strom herunter gerissen hatte. Je höher er kam, desto lichter wurde der Wald. Endlich gelangte er zu einer kleinen Wiese, die am Hange des Berges lag. Hinter der Wiese erhob sich eine hohe Klippe, an deren Fuß er eine Oefnung erblickte, die der Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu seyn schien. Der Gang führte ihn gemächlich eine Zeitlang eben fort, bis zu einer großen Weitung, aus der ihm schon von fern ein helles Licht entgegen glänzte. Wie er hineintrat, ward er einen mächtigen Strahl gewahr, der wie aus einem Springquell bis an die Decke des Gewölbes stieg, und oben in unzählige Funken zerstäubte, die sich unten in einem großen Becken sammelten; der Strahl glänzte wie entzündetes Gold; nicht das mindeste Geräusch war zu hören, eine heilige Stille umgab das herrliche Schauspiel. Er näherte sich dem Becken, das mit unendlichen Farben wogte und zitterte. Die Wände der Höhle waren mit dieser Flüssigkeit überzogen, die nicht heiß, sondern kühl war, und an den Wänden nur ein mattes, bläuliches Licht von sich warf. Er tauchte seine Hand in das Becken und benetzte seine Lippen. Es war, als durchdränge ihn ein geistiger Hauch, und er fühlte sich innigst gestärkt und erfrischt. Ein unwiderstehliches Verlangen ergriff ihn sich zu baden, er entkleidete sich und stieg in das Becken. Es dünkte ihn als umflösse ihn eine Wolke des Abendroths; eine himmlische Empfindung überströmte sein Inneres; mit inniger Wollust strebten unzählbare Gedanken in ihm sich zu vermischen; neue, niegesehene Bilder entstanden, die auch in einander flossen und zu sichtbaren Wesen um ihn wurden, und jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an ihn. Die Flut schien eine Auflösung reizender Mädchen, die an dem Jünglinge sich augenblicklich verkörperten.

Berauscht von Entzücken und doch jedes Eindrucks bewußt, schwamm er gemach dem leuchtenden Strome nach, der aus dem Becken in den Felsen hineinfloß. Eine Art von süßem Schlummer befiel ihn, in welchem er unbeschreibliche Begebenheiten träumte, und woraus ihn eine andere Erleuchtung weckte. Er fand sich auf einem weichen Rasen am Rande einer Quelle, die in die Luft hinausquoll und sich darin zu verzehren schien. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung; das Tageslicht das ihn umgab, war heller und milder als das gewöhnliche, der Himmel war schwarzblau und völlig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich aß den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, m welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte, und er sich in der elterlichen Stube fand, die schon die Morgensonne vergoldete. Er war zu entzückt, um unwillig über diese Störung zu seyn; vielmehr bot er seiner Mutter freundlich guten Morgen und erwiederte ihre herzliche Umarmung.

Du Langschläfer, sagte der Vater, wie lange sitze ich schon hier, und feile. Ich habe deinetwegen nichts hämmern dürfen; die Mutter wollte den lieben Sohn schlafen lassen. Aufs Frühstück habe ich auch warten müssen. Klüglich hast du den Lehrstand erwählt, für den wir wachen und arbeiten. Indeß ein tüchtiger Gelehrter, wie ich mir habe sagen lassen, muß auch Nächte zu Hülfe nehmen, um die großen Werke der weisen Vorfahren zu studiren. Lieber Vater, antwortete Heinrich, werdet nicht unwillig über meinen langen Schlaf, den ihr sonst nicht an mir gewohnt seid. Ich schlief erst spät ein, und habe viele unruhige Träume gehabt, bis zuletzt ein anmuthiger Traum mir erschien, den ich lange nicht vergessen werde, und von dem mich dünkt, als sey es mehr als bloßer Traum gewesen. Lieber Heinrich, sprach die Mutter, du hast dich gewiß auf den Rücken gelegt, oder beim Abendsegen fremde Gedanken gehabt. Du siehst auch noch ganz wunderlich aus. Iß und trink, daß du munter wirst.  - Novalis, Heinrich von Ofterdingen

Langschläfer (4) »Guten Morgen«, sagte er liebenswürdig, und grüßte mich halb militärisch. Er bot mir nicht die Hand. »Stehen Sie nicht aul! Es wird ein paar Minuten dauern, bis Marcus das Frühstück fertig hat. Ich habe lange geschlafen. Ich habe einen ganz abscheulichen Traum gehabt.« Seine Stimme war bewußt träge gedehnt. »Ich habe geträumt, daß Theodore Kavalov der Hals von hier bis hier aufgeschnitten worden ist.« Er tippte mit knochigen Fingern auf zwei Stellen unter seinen Ohren. »Es wax eine gräßlich blutrünstige Angelegenheit. Er hat entsetzlieh geblutet und geschrien, das Schwein.«

Ich lächelte zu ihm empor und fragte: »Und das hat Ihnen nicht behagt?«

»Ach, daß ihm der Hals aufgeschnitten worden; war, das war nur gut, aber er hat so widerwärtig geblutet und geschrien.«  - Dashiell Hammett, Hinterlist im Zickzack. Berlin und Frankfurt am Main 1966

 

Schläfer

 

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