andleben  Allerhand Zufälligkeiten kommen im landleben vor. Einmal trat ich auf einen rostigen faßreifen. Der schlug mich so sehr gegen das ungeschützte Schienbein, daß ich rote engel in den bäumen hocken sah. - (hca)

 Landleben (2)  Das Land hat seine Reize: es ist grün, bewegt sich nicht, verwandelt sich leicht in Misthaufen, was für den Mann, der die Felder bestellt, mit andern Worten für den Agronom, sehr nützlich ist. Mary und ich kümmern uns nicht um die Pflanzen, die keinerlei Prügel zu haben scheinen, außer den Dingern, die man in der Schule lernt: Griffel, Staubfäden und ähnliche Flausen, die sich günstigstenfalls als Katechismusvokabular eignen. Mary und ich lassen sie also links liegen und konzentrieren unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Tiere.

Was wir nicht begreifen können, weder Mary noch ich, ist ihre Manie, sich gegenseitig zu besteigen, vor allem die kleinen Tiere. Zum Beispiel die Fliegen, die bei Onkel Mac Cullogh in rauhen Mengen auftreten: häufig fallen sie vor einem herab und man sieht, daß es zwei sind, wobei die eine der andern auf dem Rücken sitzt. Es ist ganz klar, daß es sich hier um einen Trick von der handelt, die oben sitzt, um die, die unter ihr ist, am Fliegen zu hindern und sie somit den Gesetzen der Schwerkraft zu unterwerfen. Im allgemeinen mache ich durch einen kräftigen Schlag mit der flachen Hand aus beiden Mus, obgleich das der unteren gegenüber vielleicht ungerecht ist. Mary möchte, daß wir die, die oben sitzt, fangen, um ihr die Flügel auszureißen und sie Mores zu lehren: aber ich habe für diese Art Pädagogik nicht viel übrig.

Im Hühnerhof geschehen ähnliche Dinge. Der Hahn denkt nur an eins: sich auf die Hühner kuscheln, während dieses brave Federvieh nur ans Kuscheln denkt, wenn es sich zur Ruhe begibt. Außerdem gefällt das den Hühnern ganz und gar nicht, denn sie gackern ganz wild dabei. Daher bringe ich mit einer langen Stange in der Hand Ordnung in diese kleine Welt. Sobald ich einen Hahn erspähe, der sich auf eine Henne stürzt, vertreibe ich ihn.

Allerdings springt mich der in Rede stehende Hahn jedesmal, wenn ich den Hühnerhof betrete, mit einem wilden und gehässigen Ausdruck an. Er scheint mein Verfahren nicht sonderlich zu schätzen. Ist das etwa meine Schuld ? Aber man sagt ja allgemein, die Hähne seien nicht sehr intelligent.  - (sally)

Landleben (3)  Ich bin nie gern auf dem Lande gewesen, ich habe es mit seinen endlosen Mistpfützen, seinen Häusern, wo niemals jemand drin ist, und seinen Wegen, die nirgends hinführen, immer traurig gefunden. Aber wenn dann noch der Krieg dazukommt, ist es nicht mehr auszuhalten. Der Wind hatte sich ungestüm auf beiden Seiten der Böschung erhoben, die Pappeln vermischten die Schauer ihrer Blätter mit den leisen trockenen Geräuschen, die von dorther auf uns zukamen. Diese unbekannten Soldaten verfehlten uns unaufhörlich, aber sie umgaben uns mit tausend Toden, so daß wir förmlich darin eingehüllt waren. Ich wagte nicht mehr, mich zu rühren. - (reise)

Landleben (4) »Der Wunsch ist seiner Natur nach Schmerz: die Erreichung gebiert schnell Sättigung: das Ziel war nur scheinbar: der Besitz nimmt den Reiz weg: unter einer neuen Gestalt stellt sich der Wunsch, das Bedürfnis wieder ein: wo nicht, so folgt Öde, Leere, Langeweile, gegen welche der Kampf ebenso quälend ist wie gegen die Not.« Hier irrte Schopenhauer! Denn als mein Wunsch, der Urbanität Lebewohl zu sagen, endlich in Erfüllung ging, stellte sich keineswegs Öde, Leere und Langeweile ein, sondern nacktes Entsetzen.   - Akif Pirinçci, Francis. München 1996 (zuerst 1993)

Landleben (5)  Nicht um Verherrlichung des Hirtenlebens oder des Lebens der einfachen Leute geht es in Theokrits Idyllen. Es wird vielmehr gezeigt, wie diese ›Naturmenschen‹ in ihrem Tun und Lassen befangen sind, wie sie mehr Tier als Mensch sind. So wird aber auch dem Leser bewußt, wie er gar viel von diesem Tierhaften noch mit sich herumträgt, wie er ihm sklavisch unterworfen ist, wie er im Banne, im Zauber dieser tierhaften Natur steckt, und wie er dazu aufgerufen ist, sich darüber zu erheben. Er soll lernen, mit dem tierhaft Bedingten, in das er gefesselt ist, zu spielen wie der technisch durchgebildete Boxer Polydeukes mit dem plumpen Kraftprotz Amykos. Und er soll siegen. - N.N., nach (loe2)

Landleben (6)  Bauernknecht in Dahl dient bei einem alten Bauern, der eine junge Frau hatte, 7 Jahre; mißbraucht des Mannes Recht, der dadurch Angst bekommt und stirbt.

Die Witwe nimmt den Bauernknecht zum Mann.

Der junge Mann pflegt beim Gelage sich zu seiner Stieftochter zu legen und macht sie schwanger.

Der Bauch der Tochter zeigt sich schwanger vor der Mutter; bekennt, der Stiefvater hat mit ihr geschlafen.

Die Mutter beschließt mit ihrer Mutter, wenn die Tochter geboren hat, Feuer im Ofen zu machen und das Kind zu verbrennen, was bewerkstelligt wird.

Die Tochter wird krank (Kindbett) und frisch; das Volk glaubt an die Unrichtigkeit der Krankheit; Bedienstete der Krone untersuchen; sie muß bekennen.

Auf Brälands Heide 1746 werden sie hingerichtet: die Tochter, die Mutter, die Großmutter, der Vater. - (nem)

Landleben (7)   Aber nun erschien's : die berufenste Athanasierin von Hillfeld=Süd, mit dem renommiertesten Bartspalter der nördlichen Dorfhälfte — (»Nun, Herr Dreibein ?«; denn Jule beugte sich vor, wie wenn er dieses Kind wohl auch mal mit dem Bade hätte ausschütten mögen. Beziehungsweise ‹sich mit ihr in den Haaren haben›. - Aber, traun, dort ging es hoch her) : er sturmtroppte die barärschige Berserkerin, die Fratzen kußmetisch verschränkt, (und die Doppeldeckerminuten von Selbst=Lauten); breit bleckten ihre Überbeine; er schoß sie behänd zwischen Wind & Wasser - und versuchte sich leistenwelk=niederlendisch zu erheben, während das unbehoste Mensch nur ein I2=pfündisch Gelochter ließ. (Es leilachte in den Wölkchen; und der Mond wartete diskret in seinem eigenen Marble Arch, entrance to Hide Park. Worte für ihre Gefühle hatten sie nicht, und brauchten auch keine; kehrten vielmehr unverzüglich zurück zu Lo= & Pokal, Lo= & Pokuß.)   - Arno Schmidt, Abenteuer in der Silvesternacht. In: A.S.: Ländliche Erzählungen. Zürich 1987 (zuerst 1964)

Landleben (8)  Plötzlich begann der Boden unter meinen Füßen zu schwanken. Ein durch Mark und Bein gehendes, unendlich langes Knirschen drang an mein Ohr, und dann begann es in der Ferne zu donnern, wie bei einem Erdbeben. Die Hütte schwankte auf und ab, wie ein Boot auf offenem Meer. Der Hof draußen neigte sich zur Seite, unterhalb des Fensters wuchs  ein Riesenbein mit Hühnerkrallen aus dem Haus hervor und grub sich in den Boden. Das riesige Hühnerbein hinterließ im Gras die Abdrücke von gigantischen Sporen und verschwand wieder. Endlich gab der Fußboden auf einer Seite ganz nach und ich fühlte mich fallen. Meine Hände griffen nach irgend etwas Weichem. Schließlich kollerte ich vom Diwan herunter. Als das ganze Spektakel vorbei war, lag ich seitlich auf den Kokosmatten am Fußboden, die Hände im Kopfpolster verkrampft. Im Zimmer war es jetzt taghell. Unter dem Fenster draußen begann jemand umständlich zu hüsteln. »Also bitte«, meldete sich ein gepflegte männliche Stimme. »Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, lebte einmal ein König, der hieß ... hm, hm, hm ... na, ist ja auch ganz egal... sagen wir ... hm, hm ... Poluhekt zum Beispiel... Der König hatte drei Königssöhne. Der Alteste war ... hm, hm, hm ... Der Jüngste jedenfalls war ein Dummkopf, aber wie war das nur mit dem Altesten? ...« Gebückt, und mit eingezogenem Kopf wie ein Soldat im Kugelhagel, schlich ich mich zum Fenster und schaute hinaus. Die Eiche war an ihrem alten Platz. Mit dem Rücken zu ihr stand in tiefe Gedanken versunken auf den Hinterpfoten der Riesenkater Vasilij. Zwischen den Zähnen hielt er einen Zweig eingeklemmt. Sein gedankenverlorener Blick war zwischen die Vorderpfoten geheftet, und er gab ein langgezogenes Hmmmmm von sich. Dann beutelte er den Kopf, verschränkte die Vorderpfoten am Rücken und begann leicht gebückt, wie ein gewisser Dozent Dubino-Knjaschitzy, federnden Schrittes auf und ab zugehen. - Arkadi und Boris Strugatzki, Montag beginnt am Samstag. Frankfurt am Main 1982 (st 780, zuerst 1965)

Landleben (9)

"Ein Tag auf dem Lande"

- Joel-Peter Witkin

Landleben (10)  Der Leichenbestatter des Dorfes - er war es, der jetzt auftauchte, ein finster aussehender Mann. Er kam, setzte sich und nahm eine Zigarette. Bald danach erschien auch die jüngere Schwester, ein fünfzehnjähriges Mädchen, mit einem Säugling auf dem Arm. Es gab noch zwei weitere, mit großen Augen dreinschauende Babys, die derselben Familie angehörten und die ebenfalls sehr still waren. Bald darauf kam Rosaline zurück und stellte eine Schüssel mit vortrefflich gegarten Auberginen, die wie Fisch in roter Soße aussahen, auf den Tisch.

»Da ist ja der Leichenbestatter«, sagte sie und sah die ganze Familie angriffslustig an. »Wenn Sie wollen, daß man Ihnen hier und jetzt einen Sarg anmißt, Francis, dann ist das Ihr Mann.« Der Leichenbestatter stand auf und ging ins Café. »Das da ist die kleine Elise«, fuhr Rosaline ungerührt fort und zeigte auf die fünfzehnjährige Schwester. »Sie ist schon Mutter, die arme kleine Göre.« »Das stimmt«, sagte Elise, ihren Säugling tätschelnd. »Und ihre kleine achtjährige Schwester ist von demselben Mann vergewaltigt worden. Ist er nicht auch der Vater deines zweiten Kindes, Claire?«

»Das stimmt«, sagte Claire und sog an ihrer Zigarette. »Er ist ein Dreckskerl«, sagte Rosaline und setzte sich neben Onkel Ubriaco. »Treibt sich ständig betrunken im Dorf herum. Ich selbst verkaufe ihm nicht gern etwas zum Trinken, aber man muß schließlich leben. Er hat's auch bei mir versucht, aber ich habe ihm einen Tritt in die Körperteile verpaßt, die er am meisten braucht! Pierre de Trignan nennen sie ihn. Zu der Zeit, als Elise ihr Baby bekam, gab es ein großes Aufsehen, weil ein achtzigjähriger Mann sich erhängt hat. Es ging das Gerücht, er habe sich vor de Trignan gefürchtet.« Die beiden Mädchen nickten einträchtig. »Wir hatten die Gendarmen und so etwas im Dorf. Er hat sich genau an dem Baum dort aufgehängt«, fügte sie hinzu und zeigte hinauf zu den Ästen. »Wie so ein alter Knabe da hinaufgekommen ist, konnten wir nie klären, aber da hing er nun mal, als ich am Morgen die Fensterläden aufmachte, und baumelte, ganz schwarz im Gesicht, direkt vor meiner Nase! Mein Gott, er war tot! Ich habe einen Schrei ausgestoßen und meine Mutter geweckt, die ebenfalls geschrien hat, und da standen wir und schrien, verdammt noch mal, wegen dem armen alten Edouard, der da draußen hin und her pendelte wie eine verfaulte Weintraube.«  - (fran)

Landleben (11)

Landleben (12)  

Landleben (13)  

- N.N.

Landleben (14)  Es handelt sich um eine Lebensweise, die in unseren Breiten seit langem nicht mehr anzutreffen ist und deren umfassende Analyse daher nur von begrenztem Interesse ist; da jedoch manche radikalen Umweltschützer zeitweilig eine unverständliche Nostalgie für diese Lebensweise an den Tag legen, gebe ich hier der Vollständigkeit halber eine kurze synthetische Beschreibung eines solchen Daseins: Man hat die Natur und die frische Luft, man bestellt ein paar Äcker (deren Anzahl durch ein strenges Erbfolgesystem genau geregelt ist), ab und zu schießt man ein Wildschwein; man vögelt quer durch die Gemeinde und besonders seine Frau, die Kinder zur Welt bringt; man zieht besagte Kinder auf, damit sie ihren Platz in demselben Ökosystem einnehmen, man holt sich eine Krankheit, und dann ist Sense. - Michel Houellebecq, Elementarteilchen. München 2001

Landleben (15)  Die Schlächter waren auf das Gut der Tanten gekommen. Es sollte Kuhfleisch eingesatzen werden als Nahrung für den Winter. Zwei fette Schweine gebrauchte man für Würste; es waren fünfzig Kilogramm mageres Pferdefleisch gekauft worden, um sie schmackhaft bereiten zu können. Es war kein Freudentag für mich, der bevorstand. Gewiß nicht liebte ich die alte Kuh. Gewiß nicht hatte ich Mitleid mit den fetten Schweinen. Aber sie konnten schreien oder mit Blicken betteln. Und ich hatte aus ähnlichen Anlässen zu ermessen vermeint, daß in ihnen ein Leben saß, das dem meinen nicht unähnlich. Ich hatte sogar in der Küche Mägden und Knechten verkündet, daß die Tiere so gewiß eine Seele besäßen wie der Mensch. Was in vollkommener Einigkeit bestritten worden war. Überzeugende Gründe waren gegen die Richtigkeit meines Postulates nicht aufgetreten. Ich ertrug nur schwer den Blutdunst und den Geruch nackten Fleisches. Kindlichen Ekel hatte ich vor den ausgewaschenen Eingeweiden. Ich konnte nicht Nierenbraten essen. Und keine Preßsülze; weil sie in den Magen oder die Blase von Tieren gestopft wurde, wie ich wußte. Doch meine Widerstände waren leicht und ungründlich. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966 (zuerst 1929)

Landleben (16)  Wenn die Wissenschaft aufs Land geht, miaut eine Kuh und wie ein Siiberaffe schwingt sich der Mond zwischen den Bäumen von Ast zu Ast.
Die Kuh wau-waut, um nichts außer sich selbst zu hören. Die Gräser sinken in die Erde zurück auf der Suche nach ihrer Mutter.

Ein Bauer erntete im Traum das Universum und hatte eine Scheune voll mit Sternen und auf der Weide eingezäunt eine Herde Wolken.
Der Bauer erwachte beim Schrei aus der Küche und wußte, es war die Bäuerin.
Oh mei oh mei, rief der Bauer, was soll nur werden aus dem, was wurde?
Es ist ein guter Laib Brot und ein schlechter Bauersmann, rief sie.
Oh, der Teufel hole die Monotonie des Feldes, krakeelte er.
Das dein Essen gedeihen läßt, zeterte sie.
Das von mir aus ebenso zur Hölle fahren kann, plärrte er.
Und die Bauersfrau?, rief sie jammernd. Und die Bauersfrau, brüllte er.

In der Nachbarschaft sah ein Wissenschaftler durch sein Vergrößerungsglas.

- Russel Edson, nch: Douglas R. Hofstadter, Metamagicum. Stuttgart 1991

Dorf Leben
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