Lammblut  Fernes Flügelschlagen, weit weg, wie wenn riesige Blätter in einem Wintersturm flatterten. Der Nachthimmel vibrierte von den rasenden Stößen; dieses Mal kamen sie sehr schnell. Sie waren zu gefräßig, viel zu gierig, um zu warten. Plötzliche Furcht erfaßte den Mann, und er rannte, um Silvia einzuholen.

Silvia war eine winzige Säule in ihrem grünen Rock und der Bluse inmitten der zappelnden Masse. Sie stieß sie mit einem Arm zurück und versuchte, mit dem anderen den Wasserhahn zu bedienen. Das heftige Schlagen und Schütteln von Flügeln und Körpern bog sie wie ein Schilfrohr. Eine Weile war sie nicht mehr zu sehen.

»Rick!« rief sie schwach. »Komm her und hilf mir!« Sie stieß sie fort und kämpfte sich hoch. »Sie ersticken mich!«

Rick kämpfte sich durch die Mauer aus blitzendem Weiß zum Rand des Troges. Sie tranken gierig das Blut, das aus dem hölzernen Hahn rann. Er zog Silvia eng an sich heran; sie war erschrocken und zitterte. Er hielt sie fest, bis die Gewalt und Wut um sie herum ein wenig abgeklungen wa­ren.

»Sie sind hungrig«, keuchte Silvia schwach.

»Es war idiotisch von dir, vorauszulaufen. Sie können dich zu Asche verbrennen.«

»Ich weiß. Sie können alles tun.« Sie schauderte, aufgeregt und verängstigt. »Sieh sie dir an«, flüsterte sie, und ihre Stimme war heiser vor Ehrfurcht. »Sieh nur, wie groß sie sind - ihre Flügelweite. Und sie sind weiß, Rick. Makellos - vollkommen. Es gibt nichts in unserer Welt, das so makellos ist. Groß und rein und wundervoll.« »Sie waren richtig wild auf das Lammblut.« Silvias weiches Haar wehte ihm ins Gesicht, während die Flügel auf allen Seiten schlugen. Sie flogen jetzt fort, stoben hinauf in den Himmel. Eigentlich nicht hinauf - fort. Zurück in ihre eigene Welt, von wo sie das Blut gerochen hatten. Aber es war nicht nur das Blut - sie waren wegen Silvia gekommen. Sie hatte sie gelockt.

Die grauen Augen des Mädchens waren weit aufgerissen. Sie streckte den Arm hinauf zu den aufsteigenden weißen Wesen. Eines von ihnen stieß herab. Gras und Blumen zischten, als eine kurze Fontäne aus grellen weißen Flammen herabbrauste. Rick stolperte zurück. Die flammende Gestalt schwebte einen Moment über Silvia, und dann erklang ein dumpfes Poff. Der letzte der weißgeflügelten Riesen war verschwunden.  - Philip K. Dick, Und Friede auf Erden. In: P. K. D.: Foster, du bist tot. Zürich 2001 (zuerst 1954)

 

Lamm Blut

 

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