agerhalle   Ich untersuche die Wände, die keine Festigkeit besitzen, und erkenne das Depot der Profile. Sie liegen ordentlich geschichtet übereinander - alle möglichen Profile aller möglichen Existierenden, an allen Orten, in allen Welten. Die Profile haben weder Fleisch noch Geschlecht noch Alter; sie sind flüchtig in die Luft gezogene Lichtlinien, knochenlose Zeichnungen, Skizzen. Ebenso wie ich Deine Gräber nicht zählen kann, kann ich diese Deine Profile nicht zählen. Ich weiß, daß ich mich nicht verlocken lassen darf, und werde deshalb Dein Profil unter diesen Profilen nicht suchen; aber ich werde annehmen, daß alle in irgendeiner Weise - ohne es zu kennen - auf Deines anspielen. Ich werde meine Ergebenheit und dieses und alle meine sonstigen Leben nicht in einem verzweifelten Inventar verzehren. Du hast diese Züge allen möglichen Arten der Liebe gewidmet - der schmutzigen, der abstrakten, der anmaßenden und der sanften - und diese Vorstellung beschert mir eine staunende Fröhlichkeit, gepaart mit einer frommen Erschöpfung.

Ich entferne mich und entdecke alsbald, daß ich mich an einem beunruhigenden und sarkastischen Ort befinde: hier werden die Bilder der Liebe, die Modelle der Leidenschaften und die vorläufig noch namenlosen Karteikarten des Liebestaumels gesammelt - jene Projekte also, zwischen denen die Schwerfälligkeit unserer Existenzen sich hingeschleppt und wundgerieben hat. Dies ist der Katalog der zerfetzten Glieder, der zerbrochenen Seelen. Wieviel Hohn hat sich in diesem unterweltlichen Königspalast eingenistet! Und ich kann - wir können nichts anderes tun, als diesen Hohn zu verhöhnen und in das reglose Lachen das Verlachen einzubeziehen. Es gibt viel Unheimliches und Tragisches in dieser Lagerhalle der Liebe: die Liebesscheiterhaufen mit ihren falschen und verzehrenden, kindlich getreu gezeichneten Flammen, die Symbole vereinter Hände, und ein ganzes Universum: Ehegräber, Hochzeitstorten, Doppelsarkophage mit Leichentüchern aus Jaspis, verglaste Coup-de-foudre-Augen, Küsse und Speichel, Präservative, Sonette, Dildos, Dolche für ungetreue Kehlen, Epistolarien für künftige Liebende, kunstvoll gebrochene Herzen, Küsse von einsamen Betten, tränenbenetzte und schlaflose Kopfkissen, Träume, beharrlich wiederkehrende Traumbesessenheiten, verzweifelte Verabredungen mit der Geliebten, die sich in Luft aufgelöst hat, aufgeschlitzte Matratzen, aneinandergeknotete Bettücher für die Flucht ins Glück, Vitrinen voller Ringe für alle möglichen Hände, Foeten in Formalin, Haufen frisch verwester Ringfinger. Schweißgeruch, hinfälliger Schmutz, verächtliche und beseligende Vertrautheit des Körpers - Genitalien und Seele. - Giorgio Manganelli, Amore. Berlin 1982 (Wagenbach Quartheft 118, zuerst 1981)
 

 

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