»Wie haben die Eisenbahnbehörden darauf reagiert?« fragte unter Ausnützung einer Pause der untersetzte Ingenieur Zniestawski mit dem energischen Profil.
»Zunächst haben die Herren gemeint, irgendeine psychische Seuche, die von einem Fahrgast auf den anderen übertragen werde, sei hier mit im Spiele. Als aber ähnliche Geschehnisse täglich vorzukommen begannen, und zwar stets in demselben Wagen, verfiel einer der Eisenbahnärzte auf eine geniale Idee. Von der Annahme ausgehend, in dem Wagen stecke ein Lachbazillus, den er in aller Eile bacillus ridiculentus oder auch bacillus gelasticus primitivus nannte, unterwarf er den verseuchten Wagen einer unverzüglichen Desinfektion.«
»Ha, ha, ha!« lachte neben dem Ohr des unvergleichlichen Causeurs ein beruflich interessierter Nachbar laut auf, ein Arzt aus W. »Da bin ich aber neugierig, welches Desinfektionsmittel er angewandt hat: Lysol oder Karbol?«
»Sie haben sich geirrt, werter Herr, keines der genannten. Man übergoß den Unglückswagen vom Dach bis zu den Schienen mit einem von dem erwähnten Doktor ad hoc erfundenen Spezialmittel; es war die von dem Erfinder so genannte lacrima tristis oder Träne des Traurigen.«
»Hi, hi, hi!« hüstelte in der Ecke eine Dame. »Was sind Sie für ein goldiger Mensch! Hi. hi, hi! Das Tränchen des Traurigen!«
»Ja, gnädige Frau«, fuhr der Bucklige ungerührt fort, »denn
kurz nachdem man den Genesenen erneut in Umlauf gebracht hatte,
nahmen sich in ihm einige Reisende durch Revolverschuß das Leben.
Solche Experimente rächen sich, gnädige Frau«, schloß er mit
traurigem Kopfschütteln. »Radikalismus ist in derartigen Fällen
ungesund.« - Stefan Grabinski, Das Abstellgleis.
Frankfurt am Main 1971 (Insel, Bibliothek des Hauses Usher, zuerst
1953)
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