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Ritter Handke in
Belgrad
Belgrad (dpa) - Der österreichische
Schriftsteller Peter Handke ist demonstrativ
nach Belgrad gereist. "Als ich hörte, daß die Nato-Bombardierungen
bis zum letzten Serben fortgesetzt werden sollen, habe ich mich
entschlossen, zu kommen und hier, in Serbien, mit euch zu sein",
zitierte die Belgrader Zeitung Politika den Autor. Er sei
nicht wegen der Medien gekommen, sondern um das zu riechen, was
er zu Hause nicht habe, das Aroma des Landes. Nach dem Beginn der
Nato-Luftangriffe hatte Handke in einem
offenen Brief geschrieben: "Seit dem 24. März sind Serbien,
Montenegro, die Republik Srpska und Jugoslawien das Vaterland für
alle, die keine Marsianer und grüne Schlächter geworden sind."
Handke wurde am Freitag
mit der Auszeichnung "Serbischer Ritter" geehrt - für
seine "Tapferkeit" angesichts der "bestialischen
und brutalen" Nato-Aggression, wie es in der Laudatio hieß.
taz Nr. 5802 vom 3.4.1999 Seite 8
34 Zeilen Agentur
© Contrapress media GmbH Vervielfältigung
nur mit Genehmigung des taz-Verlags
Tagesspiegel,
8.
April 1999 |
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Krieg ahoi
Peter Handkes Erklärung im
Wortlaut
Der Papst verurteilt in seiner Osterbotschaft
am 12. Tag des Krieges gegen Jugoslawien den
"Bruderkrieg", aber nicht den Allrohrüberfall
der NATO gegen ein kleines Land. Und auf der
1. Seite von "Le Monde" vom Ostersonntag,
dem 4. April 1999, nach der Riesenschlagzeile
DIE NATO SCHLÄGT ZU IM HERZEN VON BELGRAD, beginnt
ein langer Kommentar des "Erzbischof von
Cambrai" und "Präsidenten der Kommission
GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN des französischen
Episkopats", worin der Nato-Krieg gegen
Jugoslawien folgend gut geheißen wird, Zitat
"Heute sind Löschhubschrauber
nötig, um den Brand zu ersticken, gestern hätte
ein Eimer Wasser genügt." Der Erzbischof
spricht weiter von den "Christen und allen
Menschen guten Willens", für die "die
Waffen natürlich nie eine Lösung sind - doch
für den Moment ist es dringlich, den Angreifer
zu entwaffnen." Nie. Doch für den Moment
... Und der Präsident für episkopale Gerechtigkeit
kommt zu dem Schluß, Zitat: "Im vorliegenden
Fall gab es allein die Wahl zwischen einem rechtlich
unkorrekten Nicht-Agieren und einem ethisch
notwendigen Agieren." Krieg ahoi, Christ
und (!) Mensch guten Willens.
Ich aber, der Schriftsteller
Peter Handke, getaufter und, nach Möglichkeit,
praktizierender Katholik, erkläre dementsprechend
meinen Austritt aus dieser momentanen katholischen
Kirche. Gegen jede Ethik- Kommission: Es lebe
das Recht.
Andere Kleinigkeit: Das
Preisgeld für den mir 1973 gegebenen Büchnerpreis
gebe ich an die Deutsche Akademie zurück (zum
Glück waren's damals nur 10 000 DM): "symbolisch",
so wie es, laut den westwestlichen Medien, das
Zurückschlagen der NATO im Herzen Belgrads ist,
"unvermeidlich", wie, laut fast aller
Welt, der Krieg der "Welt" gegen Jugoslawien;
um meine "Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren".
Einem jedem seine Glaubwürdigkeit. P.H., 6.
April 1999"
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©
1998 DER TAGESSPIEGEL
Das ist mein Ort
Der Schriftsteller Peter
Handke will Serbien gegen die «Verbrecher der
Nato» verteidigen
Von Hendrik Werner
In der Diskussion um ein
mögliches Eingreifen von Nato-Streitkräften
in den Kosovo-Konflikt hat der österreichische
Schriftsteller Peter Handke neuerlich und drastischer
als je zuvor Partei für die Serben ergriffen.
Im Falle einer Bombardierung Serbiens sei sein
Platz an der Seite der serbischen Bevölkerung,
kündigte der 56jährige am Rande der Kosovo-Konferenz
von Rambouillet in einem Interview mit dem Staatlichen
Serbischen Fernsehen an. «Wenn die Verbrecher
der Nato Sie bombardieren, komme ich nach Serbien»,
sagte Handke in dem in französischer Sprache
geführten Gespräch, das der NDR-«Kulturreport»
am Sonntag abend auszugsweise sendete.
Zugleich verweigerte Handke
Gespräche mit Pressevertretern aus Nato-Mitgliedsstaaten.
Einem österreichischen Journalisten sagte der
Dramatiker («Zurüstungen für die Unsterblichkeit»)
und Romancier («Mein Jahr in der Niemandsbucht»),
er werde «bis an mein Lebensende» nur noch dem
Serbischen Fernsehen Interviews gewähren.
Handke zufolge setzt sich
die internationale Völkergemeinschaft aus «eleganten
Desperados unter dem Deckmantel des Menschlichen,
der humanitären Parolen» zusammen. Die Amerikaner
bezichtigte er, alle «Brutalität der Welt» zu
verkörpern. Der Leidensweg der serbischen Bevölkerung
seit dem Ausbruch des Balkan-Konflikts im Sommer
1991 sei so einzigartig und sprachlich so wenig
faßbar, daß er nicht einmal mit dem Holocaust
verglichen werden könne. «Was die Serben seit
fünf, mehr noch, seit acht Jahren durchmachen,
das hat kein Volk in diesem Jahrhundert in Europa
durchgemacht. Dafür gibt es keine Kategorien.
Bei den Juden, da gibt es Begriffe, man kann
darüber sprechen. Aber bei den Serben - das
ist eine Tragödie ohne Grund. Das ist ein Skandal.»
Handke zufolge würde eine
konzertierte Aktion der Nato-Alliierten gegen
Rest-Jugoslawien die Zerstörung jeden militärischen
Gleichgewichts bedeuten. «Es gibt eine gewisse
Göttlichkeit in der Menschheit», sagte er, «aber
mit dem Krieg gegen die Serben ist die Göttlichkeit
verschwunden». Zugleich äußerte Handke den Wunsch,
das Kosovo mit Waffengewalt an die jugoslawische
Rumpfrepublik zu binden: «Ich habe im Kosovo
Mönche kennengelernt», sagte er, «die für das
Kosovo kämpfen wollten. Manchmal wäre auch ich
gern ein serbisch-orthodoxer Mönch, der für
das Kosovo kämpft.»
Es ist nicht das erste
Mal, daß sich der Träger des bedeutenden serbischen
Literaturpreises Goldener Schlüssel von Smederevo
(1998) wortreich und provokativ für die serbische
Seite engagiert. Er, der sich 1972 mit der Aufsatzsammlung
«Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms» zunächst
als weltabgewandter Poet positioniert hatte,
stieg im Zuge des Balkan-Konflikts gleich mehrfach
zu seiner Ansicht nach besonders schützenswerten
Menschen hinab. Die beiden 1996 veröffentlichten
Berichte «Eine winterliche Reise zu den Flüssen
Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit
für Serbien» und «Sommerlicher Nachtrag zu einer
winterlichen Reise» sind keine Betrachtungen
eines Unpolitischen, sondern flammende Plädoyers
gegen die Handke zufolge einseitige Kriegsberichterstattung
durch internationale Medien. Unter anderem zweifelte
der Dichter die Zerstörung Dubrovniks durch
serbische Bomben an.
Für Empörung sorgte der
Umstand, daß Handke den serbischen Alltag im
Hinterland mit empfindsamen Attributen wie «lieblich,
schön, erfreulich, gesittet» beschrieb, während
in Srebenica Massengräber von kriegsgefangenen
Moslems ausgehoben wurden, die von bosnischen
Serben ermordet worden waren. Handke, der Journalisten
vor Ort einen Mangel an Objektivität vorwarf,
zog es vor, von einer «Geschichte» statt von
einem Massaker zu sprechen.
Seine bedingungslose Liebe
zum serbischen Kernland von Rest-Jugoslawien
begründet der Enkel eines slowenischen Bauern
autobiographisch. Sein Großvater votierte nach
dem Zerfall des Habsburger Reiches für das erste
Königsreich Jugoslawien. Zwei seiner Onkel,
junge Slowenen, die von der Wehrmacht zwangsrekrutiert
worden waren, fielen im Zweiten Weltkrieg. Jenes
Jugoslawien, das zum mythisch verbrämten Sehnsuchtsland
schon des jugendlichen Handke wurde, war Titos
sozialistische föderative Republik, die der
künftige Schriftsteller nahezu jeden Sommer
bereiste. «Die Hornissen», sein Romandebüt,
entstand 1965 auf der Adria-Insel Krk. Als seine
Utopie von einem Großjugoslawien 1991 durch
slowenische Autonomiebestrebungen zu zerbrechen
drohte, wandte er sich in dem Pamphlet «Abschied
des Träumers vom Neunten Land» und der Gesprächssammlung
«Noch einmal vom Neunten Land» gegen alle derzeitigen
und künftigen Versuche, sich aus dem Staatsverband
zu lösen. |
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Lesen Sie auch:
den Kommentar von Jost
Nolte Ein Prophet namens Handke
|
© Berliner Morgenpost 1999
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Akademie-Chef: Handke
ist Fall für Psychiatrie
Mit einer Prise Humor
hat der Präsident der Deutschen Akademie für
Sprache und Dichtung, Christian Meier, die Ankündigung
des Schriftstellers Peter Handke quittiert,
er wolle den ihm 1973 verliehenen Büchner-Preis
zurückzugeben. Noch habe Handke die 10 000
Mark Preisgeld nicht zurückgeschickt, sagte
der Historiker. «Ich weiß auch gar nicht, ob
er überhaupt unsere Kontonummer hat. Oder schickt
er einen Scheck?» Außerdem seien «da ja eine
Menge Zinsen und Zinseszinsen angefallen seit
1973». Die wolle er dann eigentlich auch zurückhaben,
sagte Meier mit ironischem Unterton. Anstatt
das Preisgeld zurückzusenden, solle Handke das
Geld lieber für die Flüchtlinge spenden. «Ein
Handke-Zelt im Flüchtlingslager - das wäre doch
was.»
Die Entscheidung Handkes
tue ihm «zwar irgendwie leid», aber der Autor
habe sie nicht begründet und auch der Akademie
in seiner Erklärung keine Vorwürfe gemacht.
Auf die Frage, wie er die proserbischen Äußerungen
Handkes in den letzten Wochen beurteile, antwortete
Meier: «Ich bin ja kein Psychiater.» Die Art
und Weise, wie Handke seine Anschuldigungen
gegen die Nato vorgebracht habe, sei nicht nachzuvollziehen.
«Da fragt man sich, ob man das ernst nehmen
soll. Für einen nüchtern denkenden Menschen
ist das ridikül.»
Handkes Anliegen sei «schwarzweiß
gemalt». Zwar könne man über die Nato-Bombardements
im Kosovo unterschiedlich urteilen, nicht aber
über die serbische Politik, die eine «fürchterliche
Angelegenheit» sei.
Wie berichtet, hatte Handke
am Mittwoch angekündigt, er wolle das Preisgeld
«symbolisch» der Akademie zurückgeben und zudem
aus der katholischen Kirche austreten, um seine
Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Vor kurzem
war Handke von einem mehrtägigen Aufenthalt
in Serbien in seinen Heimatort in der Nähe von
Paris zurückgekehrt. In Belgrad war er mit der
Auszeichnung «serbischer Ritter» geehrt worden.
dpa |
Krieg
und Intellekt Von Thomas Groß
Früher hatten sie es leichter, die Intellektuellen
und Schriftsteller, die den Anspruch ernst nahmen,
moralische Vordenker und Mahner für Humanität
zu sein. Im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen
mußten sie nur "Krieg dem Kriege"
rufen und alle an Carl von Clausewitz erinnernden
Rechtfertigungen bewaffneter Konflikte als Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln nur rügen als
Konsequenzen eines noch immer nicht überwundenen
Militarismus. Schon hatten sie der Wahrheit
zum Sieg verholfen. Selbst die Befreiung Kuwaits
mit ihrer Legende vom sauberen Krieg und den
mehr schlecht als recht verdeckten wirtschaftlichen
Interessen bot noch genügend moralische Rechtfertigung,
um den Konflikt zu kritisieren. Die Nato-Luftangriffe
auf Jugoslawien aber machen ratlos, erscheint
doch jetzt der Krieg tatsächlich als ultima
ratio und legitime Fortsetzung der Politik.
Zwar ist es noch möglich, Bomben als hilflose
Antwort einer verfehlten Politik zu begreifen,
doch hilft dies nicht weiter, wenn die Intellektuellen
sich als moralische Instanz auf den Prüfstand
gestellt sehen. Mit György Konrad die Rückkehr
zu politischen Verhandlungen zu fordern oder
ein Ende des Bombardements bei gleichzeitiger
Autonomie des Kosovo, wie es von 13 griechischen,
rumänischen und ungarischen Künstlern unternommen
wurde, scheint nur Verlegenheit. Was nutzen
Appelle, die ungehört verhallen müssen, weil
der serbische Aggressor sich seit je taub stellt,
solange nur gemahnt wird? Die konsequenteste
Reaktion ist, die eigene Ratlosigkeit zuzugeben
- wie Christa Wolf, die "spürt, daß die
Bomben den Menschen im Kosovo nicht wirklich
helfen", aber auch "Abscheu gegen
die serbische Soldateska" empfindet. Günter
Grass, der den Zweiten Weltkrieg noch erlebt
hat und vom Beginn der Luftangriffe zunächst
"schockiert" war - ähnlich wie Christa
Wolf, Martin Walser oder Stefan Heym -, geht
einen Schritt weiter und meint, es sei wohl
höchste Zeit gewesen einzugreifen, um Milosevic
endlich zu stoppen. Moralisch unzweifelhaft
erscheint allein, dem Schwächeren beizustehen,
weswegen auch niemand versäumt, die serbischen
Vertreibungen zu kritisieren. Nur einer hat
den Aggressor mit dem Opfer verwechselt, Peter
Handke, der, um sich mit dem serbischen Volk
zu solidarisieren, nach Belgrad gereist ist
und zudem den Büchner-Preis zurückgeben will.
Schwer zu sagen, was ihn dazu bringt. Publicity
allein für sein im Juni am Burgtheater aufzuführendes
neues Stück wohl nicht. Er verkennt, daß die
Angriffe sich nicht gegen das serbische Volk,
sondern die serbischen Militäraktionen richten
- vergißt, sich auch mit dem albanischen Volk
im Kosovo zu solidarisieren. Immerhin belegt
sein Fall, daß Intellektuellen noch öffentliche
Aufmerksamkeit sicher ist - vorausgesetzt sie
nehmen einen "unbequemen" Standpunkt
ein, der zu emotionalisieren vermag. Mit moralischem
Vordenken und Mahnen für Humanität hat dies
freilich nichts mehr zu tun. Wenn man diesem
treu bleiben will, bleibt wohl nur, mit Günter
Grass das Eingreifen der Nato zu begrüßen -
ein frühestmögliches Ende des Bombardements
freilich eingeschlossen. Christa Wolf begründete
ihre Ratlosigkeit auch damit, daß die Berichterstattung
möglicherweise manipuliert sei, ein Verdacht,
der zuletzt durch den Golfkrieg Nahrung bekam.
Es ist wohl kein Zufall, daß sie solcherart
auf eine Zeit anspielt, als es Intellektuelle
noch leichter hatten. Copyright ©
1999 Mannheimer Morgen. Alle Rechte vorbehalten.
Alle Angaben ohne Gewähr. |
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Irrungen eines
Schriftstellers Der Autor Peter Handke und seine
Liebe zu den Serben Von Rolf Schneider Der Schriftsteller
Peter Handke leidet an einer unglücklichen Liebe
zu Jugoslawien. Sie gilt nicht jenem Staat,
der heute noch so heißt und der von dem finsteren
Autokraten Slobodan Milosevic angeführt wird,
sondern jener von Serben, Kroaten, Slowenen,
Bosniern, Kossovaren und Montenegrinern bewohnten
Föderation, die der Marschall Tito geschaffen
und zu einem respektierten Mitglied der Völkergemeinschaft
gemacht hat. Nach Titos Tod geriet das mühsam
austarierte Verhältnis der verschiedenen Nationalitäten
in heillose Verwirrung. Die Slowenen scherten
als erstes aus und wurden ein eigener Staat,
und spätestens mit der Sezession Kroations,
das als erster der damalige Außenminister Genscher
diplomatisch anerkannte, war Titos Konstruktion
zerbrochen. Seit Jahren herrscht Bürgerkrieg,
zunächst in Dalmatien, dann in Bosnien und jetzt
im Kosovo; der nächste Konflikt in Montenegro
deutet sich an. Peter Handke, dessen Mutter
aus Slowenien stammt, hat als einer der ersten
im deutschsprachigen Raum diese Tragödie perhorresziert.
Er hat, vielleicht aus Trotz, vielleicht aus
verletzter Liebe, der zahlenmäßig größten südslawischen
Völkerschaft, den Serben, seine ungebrochene
Sympathie bekundet. Dazu muß man wissen, daß
es in Österreich, Handkes Heimat, eine uralte
Aversion gegen diese Nationalität gibt. Mit
dem albernen Ruf «Serbien muß sterbien» zogen
1914 die k.u.k.-Soldaten in den Ersten Weltkrieg,
und da Serbien dann doch nicht starb, Österreich
hingegen zu den Kriegsverlierern gehörte, ist
jene Verwünschung bis heute unvergessen. Peter
Handkes auf dem Höhepunkt des Bosnienkonfliktes
publizierter Bericht über seine serbische Reise
verstörte seine zahlreichen Anhänger durch ihre
apologetischen Schilderungen und ihre mystischen
Unterschleife. Ganz offensichtlich beschrieb
er, was er sah, und er sah, was er sehen wollte;
man kann ihm dies als Einäugigkeit ankreiden,
aber die serbenfeindliche Häme, die sich seither
über ihn ergießt, in Deutschland, in Österreich
und in Frankreich, wo er derzeit lebt, hat etwas
Obszönes. Als die Verhandlungen von Rambouillet
zu scheitern drohten, gab er ein verunglücktes
Interview, in dem er haarsträubende Vergleiche
zwischen Serben und Juden zog, was er inzwischen
korrigiert hat. Außerdem ließ er wissen, im
Falle eines Nato-Bombardements, wie es sich
damals schon abzeichnete, werde sein Platz in
Belgrad sein. Als die ersten Nato-Bomben fielen,
begann in deutschen Feuilletons ein höhnisches
Nachfragen, wo Handke denn bleibe, und nun er
tatsächlich nach Belgrad gegangen ist, wurden
Rufe laut nach einem Käfig für ihn. Die intendierte
Parallele ist jene zu dem amerikanischen Lyriker
Ezra Pound, den man, seiner offenen Sympathien
für Mussolini wegen, nach dem letzten Krieg
in einen Käfig getan und auf einem italienischen
Marktplatz ausgestellt hat. Was sagen will:
Handke ist ein meschuggener Faschist. Nun trat
er auch noch aus der katholischen Kirche aus,
im Protest gegen die Stellungnahme des Papstes
zum Kosovo-Konflikt; zuvor ließ er wissen, er
wäre jetzt am liebsten ein orthodoxer serbischer
Mönch. Er will seinen Büchner-Preis zurückgeben
samt den zehntausend Mark, die er 1973 dafür
erhielt, und wogegen er damit protestiert, ist
nicht ersichtlich, vielleicht gegen das affirmative
Schweigen der Darmstädter Akademie. Deren Präsident
fragte spöttisch nach, wie denn die Zahlungsweise
erfolge und ob die inzwischen angelaufenen Zinsen
dabei seien. Handke bedürfe der Verstörung um
seiner poetischen Produktion willen, kommentierte
ein Journalist. Es ist von allen Kommentierungen
die höflichste. «Gelegentlich hat man den Eindruck,
Handke solle für die Tragödie verantwortlich
gemacht werden, die wir täglich miterleben müssen»,
sagt der Münchner Schriftsteller und Verleger
Michael Krüger, «die Mischung aus Haß und Hohn,
die sich heute breit macht, wenn sein Name fällt,
ist mir unerträglich.» Der Schweizer Schriftsteller
Adolf Muschg sagt: «Wer, was nichts kostet,
den Unsinn von Handkes Aktionen feststellt,
wird höflich gebeten zu sagen: a) worin er,
ohne schamrot zu werden, heute noch den Sinn
des Nato-Bombardements zu erkennen vermag, und
b) wieviel Mühe er sich gemacht hat, Handkes
Gedanken zum Bestand des früheren Jugoslawien
gewissenhaft nachzudenken.» Der Autor dieser
Zeilen ist mit Muschg völlig einverstanden.
Er sieht, daß nach drei Wochen Raketenbeschuß,
der Milliarden kostete, die in der Flüchtlingshilfe
besser angelegt gewesen wären, keines der verkündeten
Kriegsziele näher gerückt ist. Er hält es mit
dem serbischen Oppositionspolitiker Zoran Djindjic,
der sagte: «Die Menschen hier sehen die Intervention
nicht gegen den Präsidenten, sondern gegen ihr
Land gerichtet Am Ende dieser Konfrontation
bleiben uns hier nur die Ruinen, auch die emotionalen
und mentalen Die internationale Gemeinschaft
hat nur Prioritäten von Tag zu Tag und offenbar
keine längerfristigen Pläne. Doch so wurde noch
kein Regime gestürzt. So werden nur die letzten
Spuren einer europäischen Gesellschaft zerstört.»
Lesen Sie auch: Serben machen Jagd auf Frauen,
vergewaltigen und töten sie Das Foto der Tochter
wies den Weg - Wie kluge Frauen für das glückliche
Ende einer Flucht sorgten den Leitartikel von
Peter Philipps Hilferuf eines Kranken - Warum
Jelzin vor einem Weltkrieg warnt Deutsche Firmen
ziehen sich vom Balkan zurück - Experten warnen
vor wirtschaftlichen Folgen des Kosovo-Krieges
- Vor allem Mittelständler betroffen Das Foto
der Tochter wies den Weg - Wie kluge Frauen
für das glückliche Ende einer Flucht sorgten
Militärs: Bodenkrieg logistischer Alptraum -
Einsatz-Szenarium für Nato-Truppen Serbische
Terrortrupps sollen in Westeuropa Rache nehmen
Der besondere Konflikt eines Medien-Paars Mit
einer Suppenküche auf dem Weg nach Albanien
Jeder Dritte würde Albaner aufnehmen Kriegsgegner
blockieren Luftwaffenbasis Vertriebene brauchen
Hilfe von Psychologen Serbische Politiker treffen
erneut mit Rugova zusammen Stichwort: Orthodoxes
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Ein Prophet
namens Handke Den Rand internationaler
Konferenzen bevölkern sonst andere. In Rambouillet
bei Paris, wo Diplomaten hart an einem Einsatzbefehl
für die NATO im Kosovo vorbeischrammten, jedenfalls
bis auf weiteres, war kürzlich ein gewisser
Peter Handke anwesend, um in ein Mikrophon zu
sprechen. Das Mikrophon war serbisch, das Interview
lief auf Französisch. Gestern brachte bei uns
das Erste Programm die Sache. Von Serbien ist
es nicht weit nach Kärnten, wo Handke 1942 geboren
wurde, als auf dem Balkan auch Krieg war, und
sein Mitgefühl mit den Nachbarn ehrt ihn. Auch
sind Verwirrungen über den Kosovo-Konflikt schier
unvermeidlich. Aber diese Töne? Peter Handke
war lange einer jener Dichter, die viele Wörter
verschleißen, ohne so recht damit herausrücken,
was sie eigentlich wollen - das Gute, Wahre
und Schöne mal ausgenommen. Doch mit der wabernden
Bedeutsamkeit war dann beim Autor eines Hörspiels
«Geräusch über ein Geräusch» und eines Gedichtbandes
mit dem Titel «Die Innenwelt der Außenwelt der
Innenwelt» vor gut drei Jahren Schluß. Handke
gab Bericht über «Eine winterliche Reise zu
den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina» und
forderte «Gerechtigkeit für Serbien», was auf
einen Freibrief für die Regierung in Belgrad
und deren Militärs hinauslief. Natürlich gab
es eine Menge Aufregung, und Handke verteidigte
sich, indem er sich einen Gerechtigkeitsidioten
nannte, der nicht locker lassen wollte, die
Welt des Verbrechens an den Serben anzuklagen.
Nüchtern betrachtet, trat er als Propagandist
auf. Nun hat er sich selber überboten. «Es gab
einmal eine gewisse Göttlichkeit in der Menschheit,
aber mit dem Krieg gegen die Serben ist diese
Göttlichkeit aus der Welt verschwunden.» So
redet nach dem Dichter Handke und dem Propagandisten
Handke der Prophet Handke. Wir dürfen gespannt
sein, ob demnächst ein Soldat namens Handke
zu Waffe greift. Jost Nolte
Lesen Sie auch: Das ist mein Ort
- Der Schriftsteller Peter Handke will Serbien
gegen die «Verbrecher der Nato» verteidigen
© Berliner Morgenpost 1999 |
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Armer Ritter
Auf den Spuren von Céline: Der Amoklauf
des Peter Handke VON HANS-CHRISTOPH BUCH
"Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es
sich ganz ungeniert": Unter diesem Motto
lud Alfred Biolek kürzlich Monica Lewinsky in
seine Talkshow ein, wo Bill Clintons Ex-Geliebte
sich in einer telegenen Mischung aus reuiger
Sünderin und gefallenem Engel gut verkaufte,
wie es im TV-Jargon heißt. Biolek hätte an Monicas
Stelle auch Peter Handke einladen können, der
derzeit der staunenden Öffentlichkeit demonstriert,
wie ein weltweit anerkannter Dichter innerhalb
kürzester Zeit sein Renommee verspielen kann.
Handkes politischer Amoklauf, dessen vorläufiger
Höhepunkt die Ankündigung ist, den Büchnerpreis
(inklusive Preisgeld) zurückzugeben und mit
lautem Getöse die katholische Kirche zu verlassen,
dieser Amoklauf begann vor drei Jahren mit einer
sogenannten Winterreise nicht zu den Opfern,
sondern zu den Tätern des Krieges im früheren
Jugoslawien, denen der Autor, vier Monate nach
dem Massaker von Srebrenica, seine Sympathie
bekundete, während er die zum Skelett abgemagerten
Häftlinge des Todeslagers Omarska verhöhnte
mit den Worten: "Wohl wirklich leidend,
posieren sie". Ein seltsamer Satz, der
das Einfühlungsvermögen des Dichters in schiefem
Licht erscheinen läßt - ganz zu schweigen von
seiner politischen Urteilskraft. Am Rande der
Friedensverhandlungen von Rambouillet meldete
sich Handke erneut zu Wort mit der ironisch
gemeinten Mitteilung, fortan wolle er nur noch
dem serbischen Staatsfernsehen Rede und Antwort
stehen, und beschimpfte Schriftsteller aus Sarajewo
als geistig verwirrte Alkoholiker. Nun hat Peter
Handke sein Versprechen eingelöst und ist in
die Hauptstadt seines selbstgewählten Vaterlands,
nach Belgrad gereist, um die Invasion vom Mars,
wie er die Luftangriffe der NATO nennt, an der
Seite der Serben durchzustehen; zum Dank hat
Milosevic ihn zum Ritter der serbischen Akademie
ernannt. Die Selbstdemontage des prominenten
Autors findet ohne Netz unter Beifall und Buhrufen
statt; Handkes Harakiri ist ein gefundenes Fressen
fürs Feuilleton wie die "Publikumsbeschimpfung",
mit der der damals noch schüchtern wirkende
Dichter vor 33 Jahren die Bühne des Literaturbetriebs
betrat. Seitdem hat der vom Erfolg verwöhnte
Autor, anders als sein Kollege Günter Grass,
immer nur Bestätigung erfahren, was das Denkvermögen
des klügsten Kopfes trüben kann. Trotzdem glaube
ich nicht, daß Handke Opfer seines Erfolgs geworden
ist: Die Sache ist verwickelter und nur richtig
zu verstehen, wenn man bedeutende Schriftsteller
wie Ezra Pound oder Louis-Ferdinand Céline als
Präzedenzfälle heranzieht. Beide haben die Früchte
ihres literarischen Ruhms verspielt, indem sie
für international verfemte, totalitäre Regimes
optierten: Pound für Mussolini und Céline für
Hitler, nachdem er sich mit dem Buch "Bagatellen
für ein Massaker" zum Entsetzen seiner
meist linken Leser als Antisemit geoutet hatte.
Bei beiden - und das gilt auch für Peter Handke
- ist das politische nicht vom ästhetischen
Engagement zu trennen, d. h. von literarischen
Positionen, die sie unter dem Beifall der Kritik
schon früher vertreten hatten. Damit meine ich
weniger die Absage an die bürgerliche Gesellschaft,
die bei der Geburt der modernen Literatur Pate
stand, wobei Dichter gerne als Bürgerschreck
posierten. Ich meine die Abscheu vor seinen
intellektuellen Zunftgenossen, den Ekel vor
zeitgeistigem Geschwätz, der das Werk von Ezra
Pound un Céline ebenso wie das von Peter Handke
durchzieht: Eine gesunde Abwehrreaktion, die
der literarischen Selbstfindung dienen, aber
auch zur Egomanie hypertrophieren kann. Viele
Schriftsteller sind eitle Egozentriker; wer
sich und seine echten und eingebildeten Leiden
nicht allzu ernst nimmt, bringt keine Zeile
zu Papier. Was ihren Berufsstand gefährlich
macht, ist, daß gewisse Literaten bereit sind,
für eine witzige Formulierung oder gelungene
Pointe die eigene Großmutter zu verkaufen -
wenn es sein muß, den Rechtsstaat und die Menschenrechte
gleich mit dazu. Blutrünstige Diktaturen haben
die Dichter seit jeher mehr fasziniert als der
Alltag einer parlamentarischen Demokratie, und
der Krieg ist ein ergiebigeres Thema für Künstler
als jeder mühsam ausgehandelte Kompromiß. Literatur
ist ein riskantes Spiel, und so kommt es, daß
hochbegabte Autoren aus ästhetischem Überdruß,
aus Langeweile oder Trotz politisch Partei ergreifen
für etwas, das sie eigentlich verabscheuen müßten.
In seinem Buch "Bagatellen für ein Massaker"
schreibt Céline, daß er den Antisemitismus zuerst
spielerisch wie eine neue Frisur ausprobiert
hat; der hysterische Aufschrei seiner intellektuellen
Freunde bestärkte und bestätigte ihn, und unversehens
wurde aus dem Spiel Ernst. Ähnlich scheint es
Handke gegangen zu sein, desen scherzhaft gemeinte
Ankündigung, in Zukunft gebe er nur noch dem
serbischen Fernsehen Interviews, als sich selbst
erfüllende Prophezeiung über Nacht Wahrheit
geworden ist. Siegfried Unseld, Chef des Suhrkamp
Verlags, hat sich demonstrativ hinter seinen
Autor gestellt, anstatt Handke vor sich selbst
in Schutz zu nehmen, damit der seinen Ruf nicht
vollends runiert. Der Philosoph Alain Finkielkraut
hat Handke als "Ideologisches Monster"
bezeichnet, und die New Yorker Essayistin Susan
Sontag hat angekündigt, daß sie keine Bücher
mehr von ihm lesen wolle. Ezra Pound wurde 1945
von der US-Army wegen Kollaboration mit dem
Feind in Pisa in einen Käfig gesperrt, und Louis-Ferdinand
Céline büßte für seinen politischen Irrtum mit
jahrelanger Ächtung im unfreuwilligen Exil;
sein Verleger wurde nach dem Krieg als Kollaborateur
hingerichtet. Die Sache ist ernst, denn um den
Kosovo ist mehr als ein Streit um Worte entbrannt:
nicht bloß Meinungen - Menschenleben stehen
auf dem Spiel. © 1998 DER TAGESSPIEGEL |
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Nr. 16/1999 Kriegsschauplatz
Handke Von Michael Scharang Neu
an dem neuen Krieg in Europa ist die Unzahl
der Zaungäste. Millionen vom Himmel gefallener
Stabsoffiziere und aus dem Boden geschossener
Militärexperten bevölkern das riesige Schattenkabinett
des grausigsten aller Schattenreiche: des Weltstammtischs.
An ihm haben vom friedliebenden Militaristen
bis zum waffenklirrenden Pazifisten alle Platz
genommen, denen kein Schrecken auch nur für
eine Sekunde den Mund zu schließen vermag. Und
da sitzen sie nun, irren mit jeder Prognose
und blamieren sich mit jedem Ratschlag. Sie
bramarbasieren von einem Krieg, von dem selbst
diejenigen, die ihn führen, nur sagen können,
daß sie ihn nicht führen wollen, aber führen
müssen, und daß sie selbst gern wüßten, wie
er zu führen wäre und wohin er führen könnte.
Angesichts dieser Wirklichkeit, an die der Gedanke
kaum heranreicht, können die Besserwisser vom
Stammtisch sich nur lächerlich machen. Also
wenden sie sich zur Erholung von dem undankbaren
Kriegsschauplatz Jugoslawien ab und dem Kriegsschauplatz
Handke zu. Um nicht wieder an der Wirklichkeit
zu scheitern, sehen sie von ihr ab. Sie basteln
sich eine. Das Ergebnis ist ein Handke, der
nicht nur niedergemacht werden darf, der niedergemacht
werden muß. Wer will schließlich noch mit einem
Schriftsteller zu tun haben, der in einer Diskussion
jemandem mit der Bemerkung über den Mund fährt:
"Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch
stecken" (Spiegel Nr. 13/99)? Zum Glück
war ich nicht dabei, als im Wiener Akademietheater
die Möglichkeit, nach einer Lesung mit Handke
zu diskutieren, von einem Kriegsreporter genutzt
wurde, seine Betroffenheit penetrant nach außen
zu kehren. Zum Glück hörte ich nicht, wie Handke,
nachdem dieser Mann ihn endlos provoziert hatte,
endlich sagte: "Gehen Sie nach Haus mit
Ihrer Betroffenheit, stecken Sie sich die in
den Arsch." Zum Glück habe ich die Pamphlete
Günther Nennings gegen die Psychiatrie nicht
gelesen, so daß ich, als ich seinen Artikel
Handke zum Psychiater nicht in der Hand hatte,
auch nicht wissen konnte, daß Nenning sich bei
diesem Thema unweigerlich auf Handkes Seite
schlagen mußte. Denn es darf keine Erinnerung
an die Friedenszeit geben. Es herrscht Krieg
gegen Handke, und im Krieg hat alles eine neue
Bedeutung. Aus "Betroffenheit" wird
"Leichen", aus einem freundlichen
Artikel eine Einweisung in die Irrenanstalt.
Nenning zufolge, so der Spiegel (Nr. 13/99),
gehöre Handke psychiatriert. Die Person Handke
wird im öffentlichen Interesse umgemodelt in
einen Kriegsschauplatz, wo jeder Fehltritt tödlich
ist. Wenn Handke sich in einem Interview verspricht,
geht ein ganzes Minenfeld in die Luft, so daß
die Richtigstellung nur die verwunderte Reaktion
auslöst, was denn einer, den man bereits in
der Luft zerrissen habe, noch richtigstellen
wolle. Schaut Handke um sich, sieht er eine
Person, die aus Handke-Bestandteilen zusammengesetzt
ist, von denen die meisten gefälscht sind. Vermutlich
wird er bereits das Empfinden gehabt haben,
er könnte angesichts dessen den Verstand verlieren.
In dem Augenblick aber wird er den Zuruf der
Meute vernommen haben: Jetzt hat er den Verstand
verloren. Und das wird ihn vor dem Schlimmsten
bewahrt haben. Nein, das Schlimmste kommt noch.
Handke hält die Nato für verbrecherisch. Tangiert
das die Nato? Ich halte Milocevic für verbrecherisch.
Tangiert das Milocevic? - Und die Sache mit
Büchner-Preis und Kirche? Als jemand, der in
Wien lebt, wußte ich schon vor Handkes Brief
an ein Wiener Magazin, daß dessen Preisrückgabe
und Kirchenaustritt inkludiert. Das ist ein
Fortschritt. Als ich - um vierzig Jahre zu früh
- aus der Kirche austrat, mußte ich dazu ein
Amt aufsuchen. Vor Jahren, als kampagneartig
versucht wurde, Elfriede Jelinek niederzumachen,
erzählte ich ihr, um sie zu trösten, eine Geschichte
über Flaubert. Heute erzähle ich sie Handke.
Nach dem Erscheinen der Education sentimentale
erschien im Figaro eine Rezension, die fast
nur aus Schimpfwörtern bestand, welche auf den
Autor gemünzt waren. Eine Woche später warnte
der Rezensent die Leser davor, in jenem Fluß
zu baden, in dem Flaubert zu schwimmen pflegte;
gewiß sei das Wasser verpestet. Immer ist, wenn
der Autor geprügelt wird, das Werk gemeint,
auch im Fall Handke. Und das mit Recht. In der
Sprachkunst geht es schließlich um etwas. Man
muß mit der Sprache als Sauerstoffflasche in
die Wirklichkeit hinuntertauchen; geht der Sauerstoff
aus, ertrinkt man; im Glücksfall aber kommt
man mit der Sprachgestalt der Wirklichkeit zurück.
Am Weltstammtisch geht es um nichts mehr. Zwar
steht "Zukunftsbewältigung" auf dem
Programm; da die Zukunft sich aber aus Angst
vor ihren Bewältigern auf und davon gemacht
hat, wissen diese nicht, wohin mit all dem guten
Kriegs- und Friedens-Rat. Deshalb spucken sie
ihn als Gift und Galle aus. Michael
Scharang, Jahrgang 1941, lebt als Autor, Romanschriftsteller
und Publizist in Wien. Schon 1972 hat er, in
der edition suhrkamp, einen Band "Über
Peter Handke" herausgegeben. Zuletzt erschien
sein Roman "Das Jüngste Gericht des Michelangelo
Spatz" (bei Rowohlt 1998) © beim Autor/DIE
ZEIT 1999 Nr. 16 All rights reserved.
****** Irrfahrt
im Einbaum
Peter Handkes neues Stück
ist erschienen: Trägt der Westen die Schuld
am Balkankrieg? Von Thomas Assheuer
Peter Handke, der Dichter
des Friedens, ist ein
unpolitischer Mensch.
Er sagt nicht, die Welt sei
ungerecht; er sagt lieber,
sie sei häßlich. Er spricht nicht
von der Gesellschaft,
sondern vom Volk. Politik ist für ihn
gerecht, wenn sie schön
ist. So schön wie ein Gedicht
oder ein Ahornblatt im
Abendwind.
Bekanntlich kann Handke
Journalisten nicht ausstehen. Mit
ihrem "Alster- und
Manhattanblick", sagt er, machen sie
die Welt häßlich. Unter
dem Bombardement ihrer
Informationen verschwinden
die Landschaft der
Gesellschaft und die Einheit
der Natur. "Seit die
Nachrichten die Steine
der Berge ersetzt haben, den Sand
der Wüste, das Gras, das
bei der Vorbeifahrt des Zuges
zittert ..." Seitdem
ist der "Richtungssinn" verloren.
Und seitdem boykottiert der
Poet des Friedens den Krieg der
Medien.
Nur einmal hat Handke
ausgewählten Journalisten sein
Wort gegeben und ihnen
erklärt, er sei ein Freund des
serbischen Volkes und
seiner rechtmäßigen Regierung.
Kein Wort zum Vertreibungsterror,
zum Elend im Kosovo.
Vielleicht mußte Handke
dazu nichts sagen, denn er liebt
ja nur das "Volk"
und nicht die serbische Gesellschaft.
"Mutmaßlich".
Das war auch sein Lieblingswort, als er über
Srebrenica schrieb. Mutmaßlich.
Und die Heckenschützen
von Sarajevo, die serbischen
Killer? Freiheitskämpfer, sagt
Handke in seiner untrüglichen
Sensibilität für bunte Steine
und blaue Falter. Freiheitskämpfer,
wie die Indianer. Als
dann die Nato auf den
Terror mit Bomben antwortete, gab
der Friedensdichter den
Büchnerpreis zurück. Eigenhändig entfernte er
sich aus der Namensnähe des gerechten Büchner.
Welch eine Einsicht.
Wer den Beschönigungsschweiger
Handke beim Wort nahm, mußte erstarren
über den Verrat des Dichters an
seinem Werk. Hatte sein
Werk, Satz für Satz, nicht etwas
ganz anderes gewollt -
den Frieden der Sprache? Daß sich
die Welt nur ändert, wenn
die Sprache ihre Gewalt verliert?
Achtsamkeit und Kontemplation
- das war Handkes Botschaft an die Welt,
notiert im Einbaum, draußen in
seiner französischen Niemandsbucht.
Und dann Handkes Anbiederung an Milocevic,
seine moralische Selbstentleibung. Freunde
machten Anstalten, ihn zu
verteidigen, doch von
ihren Peinlichkeiten wird sich Handke
so bald nicht mehr erholen.
Claus Peymann prostete ihm in
einem proserbischen Politpornoheft
ein "venceremos" zu,
als habe er seinen Verstand
beim Bierbichler im
Starnberger See versenkt.
Siegen? Mit Milocevic?
Hat die westliche Zivilisation
ihren inneren Krieg exportiert?
Vielleicht gibt es Hoffnung.
Vielleicht stellt sich das Werk
noch einmal schützend
vor den Verrat des Autors. Die
Fahrt im Einbaum oder
Das Stück zum Film vom Krieg
heißt Handkes neues, bis
zuletzt aktualisiertes
Theaterstück, das in diesen
Tagen im Suhrkamp Verlag
erscheint (130 Seiten,
29,80 DM) und im Juni von Peymann
im Wiener Burgtheater
uraufgeführt wird. Das Stück handelt
von einem unbekannten
Autor, der ein Drehbuch über den
Jugoslawienkrieg geschrieben
hat. Aus dem Film wird
nichts, und übrig bleibt
ein Theaterstück, in dem ein Don
Quijote, der Handke heißen
könnte, einen wütenden Kampf
führt gegen den weltweiten
Westen, gegen Amerika und
Europa, Deutschland und
die Nato, Uno und IFor, gegen
Menschenrechtsorganisationen
und "Humanitätshyänen".
Natürlich geht es gut
aus. Nach einem langen
Partisanenkampf siegt
eine zarte Wahrheit. Es ist Handkes
Wahrheit. Aber wer wird
dann noch mit ihr zu Tische
sitzen?
Acapulco heißt das Provinzhotel,
in dem das Stück spielt.
Obwohl es in einem "Schluchtkessel"
des innersten Balkans liegt, hat der
Westen ihm längst seinen Stempel
aufgedrückt; im Foyer
hängt eine "Plastikplane" mit den
Kürzeln von "U.N.,
E.F.T.A., U.E.F.A.". Zehn Jahre nach
dem "letzten Krieg"
sind zwei Regisseure, ein Spanier und
ein Amerikaner, eingefallen,
um einen "internationalen"
Film zu drehen. Die Handlanger
des "europäisch-amerikanischen"
Großbildkapitals wälzen ihre
Vorurteile wie Kaugummi:
Die Serben sind schuldig, sie
stehen am "Pranger"
des Weltgerichts. "Wir beide
bestimmen die Geschichte.
So haben unsere Produktionsgemeinschaften
es sich zumindest vorgestellt."
Jeder könne frei reden.
Zu beachten seien nur "gewisse
Richtlinien, gezogen durch
das Weltkomitee für Ethik".
Auf der Bühne des Theaters
beginnt das Vorspiel des
Films, die Rollenparade
der Schauspieler. Im kalten Licht
der westlichen Kameras
kommen internationale
Beobachter und westliche
Experten zu Wort, dazwischen
tummeln sich Falschmünzer
und Waldläufer, ferner ein
Grieche und ein Irrer,
der mutmaßlich die Wahrheit sagt,
und ein vernünftiger Historiker,
der tatsächlich irre wird. Im
traurigen Luxus des Acapulco
inszeniert Handke ein Spiel
im Spiel, das Kino im
Theater, mit Streit und Widerstreit,
Rede und Gegenrede. Es
wird gelogen, bis sich die Balken
biegen, und die Wahrheit
bleibt stumm wie ein Grab. Erst
am Schluß zerreißt das
Spinnennetz der aufrichtigen
Lügen, das Gespinst der
faktischen Fiktionen; plötzlich
fallen die Masken, und
das Defilee der Filmschauspieler
verwandelt sich in ein
Märchen von Peter Handke. Hinter
dem Schleier der Worte
bricht eine unerhörte Wahrheit
hervor, bei der sogar
die Medienmenschen den Schrecken
des erzählten Krieges
verspüren und zurückfinden in ihre
Herkunft aus dem tiefen,
tiefen "Wald". Die Kinocrew
nimmt Platz im Einbaum
und rudert durch die Landschaft,
mit reinem Herzen, reinem
Sinn und reiner Trauer. Der
Krieg war die Stunde,
in der sie nichts mehr voneinander
wußten; Urlaute werden
orphisch, und nach all der
namenlosen Gewalt wird
die Welt neu getauft. Es herrscht
Frieden. Handkes Frieden.
Aber geht es nur um ein
Friedensmärchen? Oder doch um
eine Deutung des Krieges,
die einem die Haare zu Berge
stehen läßt? Denn das
Neonlicht des Kinos ist nicht der
Schein des Theaters. Erst
auf der Theaterbühne fällt es
den Filmregisseuren wie
Schuppen von den Augen, daß
der Westen in den Schluchten
des Balkans nicht einen
Krieg gegen die Barbarei
geführt hat, sondern gegen sich
selbst, gegen seine eigene
Zwietracht und seinen tödlichen
Fortschritt, gegen die
Gewalt im Herzen seiner Zivilisation.
Der Westen haßt sich selbst;
die Nato nimmt Serbien ins
Visier, doch in Wirklichkeit
zielt sie auf ihren eigenen
Augiasstall. Im Balkan
bricht die moderne Wunde auf, und
so ist das "europäisch-amerikanische"
Kartell genau jene
Krankheit, die es zu heilen
vorgibt. Wie im Film von Emir
Kusturica bombt vor allem
Deutschland seine Zerrissenheit
in den Staub, damit es
- Handkes Phantasie aus der
Niemandsbucht - seinen
inneren Bruderkrieg nicht
austragen muß. "An
unserer Zerfallenheit", ruft Handkes
"Waldläufer",
"könnt ihr die eure sehen. Herrliches Dröhnen
der Bomber -."
Handke treibt die Schuldumkehr
noch weiter. Man kann,
sagt er, den Balkankrieg
nur verstehen, wenn man seine
Vorgeschichte zur Kenntnis
nimmt - jenen "Vorkrieg" der
"transkontinentalen
City-Civilisation", die sich den Balkan
untertan machte. Wie Pestschwaden
wälzte sich das Medienkauderwelsch von
"Mr. und Mrs. International" über
das unschuldige Land.
Und es war diese Medieninvasion
des falschen, westlichen
Lebens, die das Leben unwirklich
machte. "Meine Frau",
sagt der "Irre" zu den
"Internationalen",
"hat euch während ihrer Schwangerschaft
täglich im Fernsehen erlebt
und ein Kind mit neun Zungen
geboren, kein einziges
Auge und kein einziges Ohr,
anstelle der Beine internationale
Sportradreifen."
Nur sie, nur die korrupten
Götter des Westens zerstörten
den Naturfrieden der Völker;
sie waren es, die die
Menschen "maskierten",
und erst unter diesen Masken,
diesen Fratzen der Moderne
hat Jugoslawien Hand an sich
gelegt. Das Morden, so
suggeriert das Stück, setzte erst
ein, nachdem die telematische
Feuerwalze die Eigenzeit
des Balkans und die Harmonie
seines Daseins unkenntlich
gemacht hatte. "Wie
der Haß in uns steckt ... Und da der
Haß gegen Bekannt keinen
Auslauf hat, muß er sich
gegen Unbekannt richten.
Und mehr und mehr ist heute
unbekannt und unkenntlich
gemacht gerade durch die
tagtäglichen Informationen.
Und so knirscht es in uns von
Haß gegen Unbekannt."
Erst Maske, dann Massaker.
Erst geschah das "Ungleichzeitigwerden
des einen Nachbarn mit dem
andern", dann geschah
der Mord. Erst hat der Westen die
"profane Zeit in
unserem Dorf furchtbar" auseinanderfallen
lassen, dann haben die
Menschen die Unwirklichkeit in
einem Blutbad ertränkt.
Die "Fremden aus aller Herren
Ländern haben mir nichts,
dir nichts die Freunde und
Nachbarn von früher ersetzt
... Ich habe das Gesicht des
andern verloren. Es hatte
keine Form mehr, schon lange
bevor ich es zu Brei trat
-."
Gewiß, die Bekenntnisse
der Figuren sind nicht die
Herzensergießungen ihres
Autors, und viele Sätze werden
m Spiegelspiel des Stückes
widerrufen oder durch Gesten
dementiert. Und doch möchte
Handkes Stück dem Publikum weismachen, die
"europäische-amerikanische"
Zivilisation habe die
Saat der eigenen Schuld in die
verwundbare Kultur des
Balkans gepflanzt. Schlimmer
noch: Sie habe die daraus
entstandene Gewalt medial
verbreitet, um sie als
Rechtsverletzung vor dem
Internationalen Strafgerichtshof
anzuklagen - zum leuchtenden Beweis seiner
überlegenen Moral. Oder war
selbst das Grauen noch
eine Inszenierung? Jedenfalls läßt
Handke seinen "Waldläufer"
- als Spiel im Spiel - murmeln:
"Ein paarmal bin
ich im internationalen Fernsehen
aufgetreten, so mit der
Flasche in der Hand, als der dritte
Böse in der zweiten Reihe
von links. Aber hauptsächlich
habe ich gezittert. Und
nach dem Krieg war ich fünf Jahre
in einem Gefängnis in
Deutschland, verurteilt von einem
deutschländischen Richter,
wegen Hilfe beim Volksmord."
Das deutsche Gefängnis
liegt, wie vermerkt wird, neben
einem "Krematorium".
Natürlich könnte man sagen,
daß die Logik des Märchens
Handke keine andere Wahl
läßt. Er muß, um dem
ästhetischen Gesetz Genüge
zu leisten, den Teufelskreis
von Tat und Vergeltung
aufbrechen, er muß die Schuld
tilgen und den Geist der
Rache austreiben, damit endlich
Frieden sein kann. "Rache
oder Gerechtigkeit" hieß der
Refrain aus seinem Königsdrama
Zurüstungen für die
Unsterblichkeit, der auch
über diesem Stück schwebt.
Aber "Gerechtigkeit"
heißt, daß Handke alle und keinen
schuldig spricht. Mit
einer Mixtur aus postmoderner
Antimoral und reaktionärem
Mystizismus spricht er sein
Ego te absolvo, und im
alles verzeihenden Licht der großen
Absolution werden Täter
zu "Dabeistehenden" und tragisch
Verstrickten. Aus Unrecht
wird Unglück, aus Verantwortung Widerfahrnis,
und die Schuld einer
moralischen und unvertretbaren
Person entpuppt sich als
die Hybris des allgemeinen
Menschen. "Ich habe mich seit
jeher schuldig gefühlt,
schuldig von vornherein", sagt der
"Waldläufer".
"Im ausländischen Gefängnis habe ich viel
gelesen und las bei einem
Dichter, die Idee der Schuld
habe sich in die Menschen
gestohlen wie eine Krankheit,
als die andere Seite des
Größenwahns, und sie schließe
jede Möglichkeit aus zu
einem dauerhaften Frieden."
Nun ergibt sich alles
wie von selbst. Nato-Moral - das ist
Willen zur Macht, das
gemischte Doppel aus Mutter
Teresa und Weltjustiz,
eskortiert von den
"Kadaverschweinen"
der Presse. "Und ich scheiße auf eure
,Menschenrechtsbeobachter',
eure ,Humanschutztruppen'",
sagt eine Figur, die die
Sympathien des Autors auf ihrer
Seite weiß.
Den Westen bekehren? Dafür
ist es zu spät. Im fahlen
Licht von Handkes Nebelkerzen
erscheinen Amerika und
Europa selbst als Vollstrecker
eines Geschehens, das sie
nicht mehr steuern, nur
noch erdulden können. Die
Geschichte ist zurückgekehrt
als Ausdruck einer
planetarischen Verfallsbewegung,
die wie Magma aus den
Tiefen der Erde hervorbricht.
Flüchtlingsströme sind dann
nicht Zeichen eines Verbrechens,
sondern Beweis für den
Irrlauf des Schicksals
und die Wiederkehr des
ursprünglichen Menschen.
Die "Drachensaat der
Geschichte ist aufgegangen
und besetzt, ineinander
verbissen, lückenlos die
Erde. Es ist die Zeit nach den
letzten Tagen der Menschheit,
unabsehbare Zeit."
Das ist Handkes neue Poetik
der Endzeit, und wie am
Schnürband sind die antimodernistischen
Motive aufgereiht,
die sich zum Teil auch
bei jenen konservativen
Handke-Hassern finden,
die schon vor Jahren die
Jagdsaison eröffnet hatten.
Nein, nichts fehlt in diesem
Stück; nicht der romantische
Affekt gegen eine rechtsförmige Welt, nicht
die Abscheu gegenüber dem
"Humanitären"
und das Lob des wesenhaften Menschen. In
blindem Zorn flüchtet
Handke aus dem Paradies der
Barbaren; im Nachtsprung
will er zurück hinter die
Ver-Stellungen der Medien
und zur Gerechtigkeit ohne
Recht - zurück zum Authentischen.
Deshalb kommandiert
er die "Common-sense-Puppen"
mit den "Mausklickaugen"
an die archaische Quelle
der Zivilisation, weil am
"Ursprung" immer
schon das Gute und das Gerechte
wohnt.
Mit diesem gefährlichen
Unfug beginnt Handkes kurzer
Weg zum langen Abschied
von der westlichen
"Zwangsveranstaltung".
Und vermutlich beginnt damit auch
der Irrgang zu Milocevic,
die Dienstbarkeit des Friedfertigen
gegenüber einem Kriegstreiber.
Nur warum? Warum politisiert Handke seine
künstlerische Weltanschauung?
Warum verwechselt er den
Traum seiner Poesie mit einer
gerechten Welt? Vielleicht
ist es ganz einfach. Handkes
Dichtung, die soviel weiß
von der modernen Erschöpfung,
kennt nur Krieg oder Frieden,
das Reine oder das Unreine,
den Haß oder die Liebe.
In der Literatur besitzt dieser
Traum sein natürliches
Recht, aber wohl nur dort. Sobald
man die Utopie der Reinheit
in den Halbschatten der
Realität übersetzt, gedeihen
gespenstische Sympathien für
jene, die angeblich der
unreinen amerikanischen Moderne
widerstehen. Deshalb ist
Serbien für Handke das
sagenhafte neunte Land,
ein letzter Aufhalter, der den
Bomben der Zivilisation
trotzt und daran wächst.
"Herrliches Dröhnen
der Bomber -."
"Am Fluß stehen:
das ist Frieden. An den Flüssen stehen:
das wird Frieden sein",
sagt die Fellfrau, und der
Flügelschlag eines Schmetterlings
versöhnt mit dem Naturschauspiel des Krieges.
Das klingt wie ein Satz von
Handke, der den Wiederholungszwang
der Geschichte brechen will, das Gesetz
der Rache, des Zahn um Zahn.
Deshalb der Blick in die
Natur, wo sich die zerrissene
Gesellschaft als versöhnt
erfährt. Doch unter diesem
mythologischen Schleier
gibt es keine Täter, sondern nur
noch Opfer. Und in der
Ferne der "Aufprall eines Sarges".
Wer über den Krieg ein
Märchen schreibt, betreibt eine
Strategie des Vergessens.
© beim Autor/DIE ZEIT
1999 Nr. 18
All rights reserved.
****** Konrad will Diplomatie
und Herr Handke
schmeißt hin
Der ungarische Schriftsteller
György Konrad fordert ein Ende
der gewalttätigen Eskalation.
Und: Peter Handke gibt den
Büchner-Preis zurück und
tritt aus der Kirche aus.
Der österreichische Schriftsteller
Peter Handke gibt aus Protestgegen die Nato-Luftangriffe
auf Jugoslawien den Büchner-Preis von 1973 zurück
und tritt aus der katholischen Kirche aus. Um
„seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren“,
werde er die 10 000 Mark Preisgeld von damals
an die Deutsche Akademie zurückgeben, schreibt
Handke in einem Brief, den das österreichische
Magazin News in seiner neuesten Ausgabe veröffentlicht.
Die Rückgabe des Preises sei ebenso „symbolisch“
wie das „Zuschlagen der Nato im Herzen Belgrads“.
Die Akademie reagierte
am Mittwoch abwartend auf die angekündigte Rückgabe
des Preises. Generalsekretär Gerhard Dette sagte:
"Wir wissen ja noch nicht, ob es stimmt.
Wenn es so wäre, müßte sich Herr Handke schon
bei uns melden. Ich weiß auch gar nicht, wie
so eine Preisrückgabe technisch vor sich gehen
soll." Nach Angaben Dettes ist so etwas
noch nie vorgekommen. Die Akademie vergibt alljährlich
die mit mittlerweile 60 000 Mark dotierte, bedeutendeLiteratur-Auszeichnung.
In dem Brief kritisiert
Handke auch die Haltung der römisch-katholischen
Kirche. Der Papst habe sich nicht entschieden
genug gegen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien
gewandt und in seiner Osterbotschaft zwar den
"Bruderkrieg", aber nicht den "Allrohrüberfall
der Nato gegen ein kleines Land" verurteilt,
zitiert News den proserbischen Autor. Als "getaufter
und nach Möglichkeit praktizierender Katholik"
erkläre er seinen Austritt aus der "momentanen"
katholischen Kirche, schreibt der 56jährigeSchriftsteller.
Handke war nach dem Beginn der Nato-Bombenangriffedemonstrativ
nach Belgrad gereist. Dort wurde er mit der
Auszeichnung "serbischer Ritter" ausgezeichnet.
Ob Handke sich nochin Belgrad aufhält, war am
Mittwoch nicht bekannt.
Unterdessen forderte der
ungarische Schriftsteller György Konrad im Kosovo-Konflikt
eine Rückkehr zu politischen Verhandlungen .
Der Krieg kenne nur das Gesetz der Eskalation,
schreibt Konrad, der auch Präsident der Berliner
Akademie der Künste ist. Der Einsatz militärischer
Mittel allein werde das Töten in Jugoslawien
nicht beenden können. Es sei nun zu einem Krieg
gekommen, dessen Ziel, die Gewalt und das Töten
zu beenden, sich ins Gegenteil verkehrt
habe. Gewalt und Töten potenzierten sich noch,
der Krieg gehe in Richtung Eskalation, die humanitäre
Rhetorik lasse die Kampfflugzeuge noch öfter
zum Einsatz kommen. Mit militärischen Drohungen
lasse sich aber keine Demokratie schaffen. "Die
betroffenen Nationen müssen dazu gebracht werden,
wechselseitig an einer Regelung interessiert
zu sein."
In dem Brief kritisiert
Handke auch die Haltung der römisch-katholischen
Kirche. Der Papst habe sich nicht entschieden
genug gegen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien
gewandt und in seiner Osterbotschaft zwar den
„Bruderkrieg“, aber nicht den„Allrohrüberfall
der Nato gegen ein kleines Land“ verurteilt.
Als „getaufter und nach Möglichkeit praktizierender
Katholik“ erkläre er seinen Austritt aus der
„momentanen“ katholischen Kirche.
© SpiegelOnline |
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