unstliebhaber Während
Leibniz sich halb zu Tode fürchtete, dass er ermordet werden könnte,
und halb zu Tode ärgerte, dass er nicht ermordet wurde, ist Kant, der
sonst in dieser Hinsicht keinen Ehrgeiz hegte, ebenso wie Descartes nur
mit knapper Not dem Dolch des Mörders entgangen. Dieser merkwürdige Fall, der
wie kein anderer das blinde Walten der Glücksgöttin veranschaulicht, wird, wenn
ich nicht irre, in einer anonym verfassten Lebensbeschreibung des großen Philosophen
berichtet. Aus Gesundheitsrücksichten pflegte Kant alle Tage sechs Meilen auf
der Landstraße zu wandern und schwebte eines Tages in der größten Gefahr, von
einem Mann, dem diese Gewohnheit bekannt war, und der dem allzeit pünktlichen
Philosophen am dritten Meilenstein hinter Königsberg auflauerte, aus privaten
Gründen ermordet zu werden. Dass dieses Verbrechen nicht zur Ausführung kam,
lag an dem zartbesaiteten oder, wie Mrs. Quickly sagen würde, verbohrten Moralempfinden
des Mörders. In der Erwägung, dass ein Kind in seinem jungen Leben weniger Sünden
auf sich geladen haben dürfte als ein alter Professor,
gab er im kritischen Augenblick die Ermordung Kants auf und tötete bald danach
ein fünfjähriges Kind. Dies ist die in Deutschland verbreitete Auffassung; meiner
Ansicht nach war der Mörder jedoch ein Kunstliebhaber, dem ein alter, dürrer,
ausgemergelter Metaphysiker kein sonderlich geeignetes
Objekt zur Entfaltung seiner künstlerischen Begabung zu sein schien. Denn mumienhafter
als zu seinen Lebzeiten konnte der Mann auch schließlich im Tode nicht aussehen.
- (
quinc
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