Kunst, göttliche  »Die Tragödie ist das Privileg des Menschen, sein höchstes Privileg. Selbst der Gott der christlichen Kirche mußte, als Er zu erfahren wünschte, was Tragödie sei, Menschengestalt annehmen. Und selbst dann«, fügte er nachdenklich hinzu, »war die Tragödie nicht voll gültig, wie sie es geworden wäre, wenn ihr Held wahrlich ein Mensch gewesen wäre. Christi Göttlichkeit lieh ihr eine göttliche Note, das Moment der Komödie. Die wirklich tragische Rolle fiel, der Natur der Dinge gemäß, den Henkern zu, nicht dem Opfer. Nein, mein Neffe, wir müssen uns hüten davor, die reinen Elemente der Weltenordnung zu verfälschen. Die Tragödie sollte das Recht der Menschen bleiben, unterworfen in ihren Lebens Bedingungen oder in ihrer eigenen Natur dem harten Gesetz der Notwendigkeit. Den Menschen ist sie Erlösung und Glückseligkeit. Die Götter jedoch, von denen wir annehmen müssen, dal? ihnen die Notwendigkeit fremd und unbegreiflich ist, können vom Tragischen keine Kenntnis haben. Wenn sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübergestellt werden, dann haben sie, nach meiner Erfahrung, so viel guten Geschmack und Anstand, sich passiv zu verhalten und nicht einzugreifen.«

»Nein«, sagte er nach einer Pause, »die eigentliche Kunst der Götter ist das Komische. Das Komische ist ein Hinabsteigen des Göttlichen zur Welt des Menschen; es ist die höchste Einsicht, die nicht erworben werden kann, sondern immer von Himmelsmächten geschenkt werden muß. Im Komischen sehen die Götter ihr eigenes Wesen wie von einem Spiegel zurückgeworfen, und während der tragische Dichter durch strenge Gesetze gebunden ist, erlauben sie dem komischen Dichter eine Freiheit, die so grenzenlos ist wie ihre eigene. Sie enthalten nicht einmal die eigene Person seinen Possen vor, Jupiter mag Lukianus von Samosata sehr gewogen sein. Solange dein Spott nur in göttlich gutem Geschmack geschieht, magst du deinen Spott mit den Göttern treiben und dabei ein wahrer Gläubiger bleiben. Doch wenn du deinen Gott bemitleidest und bejammerst, dann verleugnest du ihn und machst ihn zunichte, und solches ist die gräßlichste Form der Gotteslästerung

»Und auch hier auf Erden«, fuhr er fort, »sollten wir, die wir an der Götter Statt stehen und uns von der Tyrannei der Notwendigkeit befreit haben, unseren Vasallen ihr Monopol auf die Tragödie überlassen und uns das Komische mit Würde vorbehalten.«   - Tania Blixen, Wintergeschichten. Reinbek bei Hamburg 1989

 

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