unde Ein
Prachtexemplar von einem Kunden war Marvin, der in einem Nachtklub im Village
als Aushilfskellner arbeitete. Er war immer unrasiert und schmuddelig, und er
besaß nur ein einziges Hemd, das er ungefähr einmal in der Woche auswusch und
aul der Heizung trocknete. Der letzte Schrei an ihm war, daß er keine Socken
trug. Ich brachte ihm den Stoff immer in die Bude, ein verdrecktes möbliertes
Zimmer in einem Backsteinhaus an der Jane Street. Ich hielt es für besser, ihm
das Zeug ins Haus zu bringen, statt mich woanders mit ihm zu treffen.
Es gibt Menschen, die gegen Junk allergisch sind. Einmal brachte ich Marvin
eine Kapsel, und er setzte sich einen Schuß. Ich sah aus dem Fenster - es ist
nervenzermürbend, einem zuzusehen, der nach einer Vene stochert -, und als ich
mich umdrehte, sah ich, daß sein Tropfer voll Blut war. Er war ohnmächtig geworden,
und das Blut war zurück in den Tropf er gelaufen. Ich rief Nick von der Straße
hoch, und er zog die Nadel heraus und schlug Marvin ein nasses Handtuch ins
Gesicht. Marvin kam wieder ein bißchen zu sich und lallte
etwas vor sich hin. - (
jun
)
Kunde (2) »Sehen Sie, Herr Kommissar, Sie
werden's nicht glauben, aber die Kunden sind ein wenig wie die Frauen.
Es scheint ein Witz, und trotzdem . . . man muß sie richtig nehmen können. Eine
Geduld braucht es da oft! Da muß man zuwarten können, warten: einfach dastehen,
unter dem Vordach, mit schläfrigen Augen, aber sprungbereit wie ein verliebter
Kater. Wo's aber zugreifen heißt, muß man zugreifen... bevor noch ein anderer
dazwischenkommt, die Konkurrenz meine ich. Grad so wie man sich ein Mädchen
angelt: genau so. Glauben Sie, man muß sie dahin bringen, daß sie sich verlieben,
nur so ein bißchen wenigstens, wenigstens für einen Vormittag: l'espace d'un
matin. Auch wenn die Tante dahintersteht, die große Holding-Gesellschaft, die
so tut, als ob sie ihren Strumpf für sich alleine stricken würde, aber immer
mit einem Seitenblick auf die Abrechnungen, und vielleicht doch einen schwachen
Punkt hat, ihren schwachen Punkt. Auch sie leidet an ihren persönlichen Abneigungen
und Zuneigungen, wie gewisse alte Schachteln, gewisse Schwiegermütter... und
da muß man, um der Tochter zu gefallen, erst der Mutter gefallen. Genau so.
Da gibt's die Platonischen, sagen wir, die Romantischen: die beim Mondschein
träumen, die sich auf die zehn Lire versteifen, die hoffen, die fürchten, die
sich zieren: die uns zum Stöhnen bringen! Denen,
nun denen gefällt es auf diese Tour: wie den Katzen im Februar. Man kann nicht
dagegen an. In Gottesnamen. Aber es gibt auch die anderen, die Schnell-Entschlossenen,
die gleich zur Sache kommen. Ich sage Ihnen, Herr Doktor, man muß sie zu nehmen
wissen! Jeden auf seine Art. Aber glauben Sie: damit wir . . . damit wir pflichtgemäß
funktionieren, wir einfachen Angestellten. . . nun, nicht mal ein schönes Mädchen
würde sich so ohne weiteres abwenden, Teufel auch, ich meine nicht von uns persönlich,
nein, aber .. . nun ja, von uns, von der ›Standard‹ im allgemeinen. Man muß
es so weit bringen, daß man sich in die ›Standard‹ quasi verhebt: daß sie blindes
Vertrauen in die ›Standard‹ setzen: daß sie einfach das nehmen, was wir
anbieten. Weil wir von vornherein wissen, was wir ihnen anbieten, was für ein
Zuckerplätzchen jeder einzelne von ihnen wünscht: für den einen das, für den
andern jenes. Eine Weltorganisation wie die unsrige! Wäre gelacht! Zehntausende
von Gallonen jährlich allein in Europa, von den besten Ölsorten - das nennt
sich ›Standard Oil!‹ Was glauben Sie denn!« - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung
in der Via Merulana. München 1988
Kunde (3) Anabels
Kunden? Vage Auskünfte, manchmal verbunden mit einem Namen oder einer Anekdote.
Zufallige Begegnungen in den Hafenkneipen, Wiedererkennen eines Gesichts, Aufmerken
bei einer Stimme. Offensichtlich war mir all das gleichgültig, ich glaube, daß
in dieser Art von geteilten Beziehungen sich keiner als ein Kunde wie die anderen
fühlt, zudem konnte ich mir schmeicheln, gewisse Vorrechte zu genießen, zum
einen der Briefe wegen, aber auch meiner Person wegen, etwas an mir mußte Anabel
gefallen und mir, glaube ich, mehr Privilegien geben als den anderen, ganze
Abende in ihrem Zimmer, Kino- und Milongabesuche und das, was vielleicht Herzlichkeit
war, jedenfalls ein Hang, über alles zu lachen, sowie eine nie geheuchelte Freimütigkeit
in der Art, wie Anabel Freude suchte und schenkte. Unmöglich, daß sie bei den
anderen, den Kunden, auch so war, und deshalb waren sie mir gleichgültig (im
Grunde, so meinte ich, war Anabel mir gleichgültig, doch warum erinnere ich
mich dann heute an all das?), obgleich ich natürlich lieber der einzige gewesen
wäre, so mit Anabel leben und andererseits mit Susana, klar. Aber Anabel mußte
sich ihren Lebensunterhalt verdienen, und von Zeit zu Zeit hatte ich den konkreten
Beweis dafür, zum Beispiel, als ich an der Straßenecke dem Dicken begegnete
— nie habe ich seinen Namen erfahren, sie nannte ihn schlicht den Dicken - und
ihn in ihr Haus gehen sah, wobei ich mir vorstellte, wie er mein eigenes Itinerarium
an diesem Abend wiederholte, Stufe um Stufe, bis auf den Gang und in Anabels
Zimmer und alles Weitere. Ich erinnere mich, daß ich in La Fragata einen Whisky
trinken ging und in La Razon sämtliche Auslandsnachrichten las, aber zwischen
den Zeilen sah ich den Dicken mit Anabel, es ist idiotisch, aber ich sah ihn,
als befände er sich in meinem Bett, benutzte es widerrechtlich. -
Julio Cortázar, Tagebuch für eine Erzählung. In: J. C., Ende der Etappe. Frankfurt
am Main 1998
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