In Zweifelsfällen sprang Eckstein ihnen bei. Er wußte, wie man Chodowiecki ausspricht und daß »Karat« was mit den Früchten des Johannisbrotbaumes zu tun hat. Zuweilen unterliefen ihm jedoch arge Schnitzer. »Margarine« hänge mit »Marginalien« zusammen, mit Dingen also, die mehr am Rande lägen, meinte er.
Und »verballhornen« bedeute, jemandem sozusagen verbal Hörner aufzusetzen.
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Walter Kempowski, Im Block. Frankfurt am Main 1972 (zuerst 1969)
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Perlentaucher
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vom 27. August 2007
Kulturleben (3) Ich habe keine Lust
Briefe zu schreiben. Gestern z.B. war ich in einem Unterhaltungsabend des Gewerbevereins.
Der Lehrer hielt einen Vortrag über Schönrotkraut - schweigstill mein Herz,
über Geschiebemergel und die Eisbeere. Mehreremale erwähnte er rühmend den lieben
Gott. Dazu wurden Lichtbilder gezeigt auf denen man den Sohn des Lehrers inmitten
von Farrenkräutern reizvoll gruppiert sah. (Das Thema des Abends war nämlich:
der deutsche Wald). Der Vortrag wurde von dem Gesangverein
»Heulboje« (!) eingerahmt der einige sehr liebenswürdige Lieder vortrug in denen
es von grünen Bäumen wimmelte. Der Saal war so voll dass
zahlreiche Eingeborene samt Haustieren auf Plättbrettern Platz nahmen oder in
durchlöcherten Hängematten schlummerten. Ich genoss das. Es war wirklich ein
Konzert das ich genoss. In Berlin gibt es jetzt Mahlers 7. und ich lese das
ohne Neid. Was ist Berlin - eine grosse Stadt - ein grosses Armenhaus. Ich halte
es mit der Heulboje... - Hans Jürgen von
der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt am Main 2005
Kulturleben (4) In einem Restaurant, das „Krebsenkeller" hieß. Hingelümmelte Säufer, der Tbc-Kranke Rühm erzählend in der Mitte und blödes Roßgewieher bei jeder noch so leeren Bemerkung, ich begriff gar nicht! Das soll die Bekanntheit sein?:Diese Art von mieser Dummheit? Diese Art von vergammelter Fröhlichkeit?:Und am lautesten lachten die doofen Westdeutschen! Man glaubte, seitens des Herrn Widmer und seitens des Herrn Wagenbach mir Aufmerksamkeit und Sympathie bekunden zu müssen, aber da hatten sie sich verrechnet! Warum? Weil mir ihre häßlichen Gebaren mißfielen!
Und wedelnde Kunst-Fotzen: schön, viele, eklig in ihrer anschleimenden Hinnahme
der Szene! Ich saß abgerückt und ziemlich ernst und mit gesträubtem Nackenhirn,
Hinterkopfhirn, Althirn da - wie nach einem Gang durch die Stadt. - Da tauchte
noch einmal irgendwann der Herr Bauer auf, wir unterhielten uns über Neven,
der ihm ab und zu einen 50er Schein bei einem Aufenthalt in Köln zugeschoben
hatte, mehr nicht, und über ein neues Stück, das bei ihm im Urwald von Borneo
spielt mit alten abgetakelten Schauspielern, die sich an frühere große Szenen
erinnern und sie nachspielen - erinnerst Du Dich an den TV-Film über alternde
Schauspieler eines abends? - Aber der Bauer ist ziemlich kaputt - und er weiß
das auch. - Und meine Kopfschmerzen wurden immer stärker, und ich sagte mir:
wenn das morgen so ist, lese ich nicht, ich hau sofort ab. - (
rom
)
Kulturleben (5) 1 Morgens nach dem Duschen, das Handtuch in die Faust geknäult vor-mich haltend, starrte ich darauf wie auf Yorick's Schädel. Und laut sagte ich zu der Frottékugel: -Das-Alles muß sich !ändern. »Doch laßt uns, weil wir enttäuscht sind, nicht tragisch werden. Das ist es nicht wert.« : Als hörte ich Eine Stimme, die Stimme Eines uralten Mannes, aus dem Spiegel od aus den Wänden kommend, während heißes Wasser aus der Brause floß.
Tatsächlich änderte sich alsbald Einiges, doch Nichts davon in meinem Sinn. Es ging auf Weihnachten, Dreitage noch & Allewelt schien auf einen ändern Stern entschwunden; Niemand mehr zu erreichen. Da wollte zuvor Jeder noch Reinesgewissen & reinen Schreibtisch machen : Entscheidungen & Maßnahmen unter Präfeiertag's Atemlosigkeit lassen kulminierend Kühnheiten erwarten.
- Vor mehr als einem Monat hatte ich mein Ex-Klusivinterview mit einem wenige Tage darauf bei einem Autounfall ums-Leben-gekommenen, bekannten Schauspieler bei der Redaktion einer großen-überregional erscheinenden Zeitung angeboten; erfreut unterm Eindruck der plötzlichen Aktualität hatte Man der Veröffentlichung zugesagt. Nach Einsendung dieses Interview-Textes Schweigen. Auf Nachfrage hin die vage Auskunft, Man suche noch nach geeignetem Platz für dieses !hervorragende Interview & den sensibel formulierten Nachruf. Mittlerweile hatten die anderen Feuilletons längst ihre Beiträge über Leben-&-Tod dieses Schauspielers gebracht; der Wert jenes Ex-Klusivinterviews schwand somit rasch dahin..... Am Nachmittag des 21. Dezember, ich war zum Einkaufen außerhaus, hörte ich später vom Anrufbeantworter die Nachricht des Redaktors, dem ich das Interview seinerzeit angeboten: Leider könne Man diesen Text nun nicht mehr bringen, es sei mittlerweile Zuvielzeit vergangen & das-Ganze sei unaktuell geworden (:der Tonfall im Vorwurf, als läge die Schuld-daran bei—mir), & Man schloß mit der Wendung Die-Sache mit dem Unfall ist !abgegessen & !durch..... Und natürlich würde zu !diesem Zeitpunkt - am 21.12. Freitagnachmittag - nirgends, bei keiner ändern Redaktion, noch jemand anzutreffen sein, dem ich Interview-&-Nachruf auf 1 toten Schauspieler würde anbieten können. Fazit: Kein Honorar für diese Arbeit, die mich viel an Zeit gekostet hatte, u: keine Erstattung der Reisekosten; denn ich war seinerzeit für das Interview zu dem Schauspieler nach Hannover gereist.
Vom Unfalltod des Schauspielers erzählte man diesen Anblick: Nach dem Frontalzusamnienprall
mit einem Lastwagen ins zusamm-gekwetschte Autoblech gekeilt, Brustkorb u Rippen
gebrochen, die Lunge zerspießt, aus dem offenen Schädeldach Gehirn, Splitter
vom Brillenglas in Gesicht u Augenhöhlen - aus Mund u Ohren Blut - so hatte
man ihn gefunden. Es hieß, er sei Auf-der-Stelle tot gewesen. : Als greife die
Entwürdigung durch solch gewaltsam—entstellenden Tod auf den Lebenden, der von
diesem Tod geschrieben hat, hinüber..... -
- (jir)
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