ult   Der durch Elagabals, des schwarzen Gottes, kraftstrotzende Rute verkörperte Baalskult in Emesa bildete mit seinen komplizierten, überladenen Riten das Gegenstück zum Kult der Tanit-Astarte, des Mondes, der ein paar Kilometer weiter weg in den kühlen Tiefen des Tempels von Hieropolis wütete. Aus diesem, der Scheide, dem vergöttlichten Geschlecht der Frau geweihten Tempel wurde an hohen Feiertagen ein schwitzender, bärtiger Apollon hinausgetragen, der durch die Stimme des Oberpriesters seine Orakel verkünden ließ, indem er sich auf den Schultern seiner Träger vorwärts- oder rückwärtsbewegte. Dieser Apollon, der ganz aus Gold war bis auf die groben schwarzen Haare, die man ihm unter dem Kinn eingesetzt hatte, erscheint auf den Schultern von Männern, unterstützt von einem guten Dutzend schwankender Träger, die seine Masse nur mit Mühe aufrechthalten. Die Menge verbeugt sich. Der Weihrauch steigt auf, scheint durch alle Öffnungen zu entweichen. Im Allerheiligsten des Tempels erwartet der Oberpriester den Gott — auch er mit Insignien weiß bemalt, mit Edelsteinen, Flitter und Gefieder behängt, Gold schwitzend, aufrecht, zart und ätherisch wie ein Glockenschwengel. In der plötzlich einsetzenden Stille vernimmt man Schritte, Stimmen, mancherlei Hin und Her in den unterirdischen Kammern des Bauwerks; alles zusammen bildet gleichsam Scheiben, übereinanderliegende Stockwerke aus Geflüster und Geräuschen. Unter der Erde führt der Tempel spiralförmig in die Tiefe; die Kammern der Riten türmen sich senkrecht hinab; der Tempel ist nämlich wie ein weitläufiges Theater, ein Theater, wo alles echt wäre.

Im Augenblick, da der Gott, der trunkene Gott, inmitten seiner schwankenden Wächter erscheint, erbebt der Tempel in Einklang mit den übereinandergeschichteten Wirbeln der Kellergeschosse, die man bereits in der frühesten Antike gekannt und gesichtet hat. In den Ritenkammern, bis mehrere hundert Meter unter der Erdoberfläche, geben sich die Wächter Losung, rufen, schlagen Gongs an, lassen Hörner aufstöhnen, und die Gewölbe spielen sich ihre Echos zu.

Auf dem Flügel der Schreie, auf den rollenden Wolken von Weihrauch und Geräuschen, die treibenden Rauchschwaden gleichen, befragt der Oberpriester das Orakel, forscht es aus, ruft es rhythmisch mit lauten Schreien an. Dann sieht man den rasenden Gott, dessen Bart inmitten des Goldes, in dem er schwimmt, ein großes schwarzes Loch bildet, sieht man den Gott sich bewegen und schäumen, als sei er vom Zorn gepackt, von Inspiration verstört. Ist das Orakel günstig, lautet die Antwort des Orakels

»ja«,

so stößt der Gott seine Träger vorwärts. Ist das Orakel ungünstig, lautet die Antwort des Orakels

»nein«,

so zieht der Gott seine Träger rückwärts. Lukianos behauptet, er habe eines Tages selbst gesehen, wie dieser Gott, der Fragen müde, die man ihm stellte, sich dem Zugriff seiner Wächter entzog und mit einem einzigen Schwung gen Himmel entflog. Man kann sich vorstellen, wie die Menschenmenge in einer Art religiösen Panik aus dem Tempel stürzt, auf dem Vorplatz herumtrampelt und die beiden großen Phalli umflutet, umdrängt, die hoch wie Pylone und im Augenblick mit ihren fast hundert Ellen Höhe unbenutzt sind.

 All das vermittelt kaum einen Begriff von einem gewissen äußerlichen Aspekt der Religion der Astarte, des Mondes, die seltsam mit den Riten Apollons, der bärtigen Sonne, ver- mischt ist. Doch das Vorhandensein dieser beiden Pylone, die hintereinander in der inneren Fluchtlinie des Tempels aufragen, muß hervorgehoben werden. Diese beiden Pylone stellen Phalli dar und ragen genau in der Sonnenachse auf, so daß sie mit dem Punkt, wo die Sonne zu einer bestimmten Zeit des Jahres aufgeht, eine Art ideale Linie bilden, in welcher der Tempel liegt, wodurch der Schatten der einen Säule, die näher beim Tempel steht, sich genau mit dem Schatten der anderen deckt.

Sie sind Zeichen einer kräftigen Ausschweifung der Geschlechter, in die sich im ganzen Königreich sonst insbesondere diejenigen, die religiös sind, aber auch diejenigen, die es nicht sind, schwerlich einlassen würden. Doch was für die Gallen eine Aufforderung zur Verstümmelung darstellt, stellt für die große Menge des Volkes eine Aufforderung zur Unzucht dar. Während die frischgebackenen Jungfrauen auf dem Altar des Mondes ihre kaum erlangte Jungfräulichkeit opfern, geben sich ihre heiligen Mütter, die für einen Tag das häusliche Gynäzeum verlassen, den Kanalreinigern des Tempels, den Wächtern der heiligen Schleusen hin, die gleichfalls für einen Tag aus ihrer Finsternis auftauchen und ihr männliches Geschlecht den Strahlen der äußeren Sonne darbieten.

In diese Gallen, die bei ihrem Lauf ihr Glied wegschleudern und Ströme von Blut auf den Altären des pythischen Gottes verlieren, verlieben sich die Frauen jäh. Und die Gatten und Liebhaber der Frauen achten diese heilige Liebe.

Solche Liebesexplosionen dauern nur eine Weile. Bald verlassen die Frauen die Leichen dieser Männer, welche wieder mit den Frauenkleidern bedeckt werden, die sie bei ihrem Todeslauf erhalten haben.  - Antonin Artaud, Heliogabal oder Der Anarchist auf dem Thron. München, Frankfurt am Main 1980 (zuerst 1967)

Verehrung
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