ugelstoßen
Der Mutter Röcke reichen nicht bis an die Knöchel. Gelenk und Waden
leuchten wie Milchglas unter den schwarzen Florstrümpfen. Sie ist kaum
älter als die Tochter und fast schöner, doch ist es eine Schönheit,
welcher Kühle entströmt, neben der die Wangen des Mädchens flammen wie
Blumen um eine Marmorurne.
Ich bin allein mit der Tochter. Sie steht mir gegenüber. Ganz in Schwarz gekleidet, doch ich weiß genau, daß dies Schwarz nicht Trauer bedeutet, sondern daß es eigentlich dunkelstes Rot ist. Ihre Augen sind braun. Sie blitzen mich an "wie Damaszenerklingen" (so träumte ich wörtlich) "scharf und schillernd".
Ich küsse sie.
Jetzt habe ich ihr den Kopf abgeschnitten, sehe aber weder einen Körper noch die Schnittfläche des Halses. Ich halte den Kopf in beiden Händen. Die schwarzen Haare liegen sorgsam an den Schläfen. Die Augen sind geschlossen. Dieser Kopf ist nicht tot. Er schläft und lächelt beinahe. Während ich in sein schönes Gesicht blicke, bin ich auf einmal unter allen meinen Kameraden, welche Leichtathletik treiben. Darum stelle ich meinen Frauenkopf behutsam auf die Erde, nehme eine Eisenkugel und übe in einiger Entfernung Kugelstoß, den Kopf als Ziel. Ich treffe ihn nie und könnte das auch nicht ertragen, es ist, als müsse ich gegen meinen Willen so grausam spielen, nur um meiner Schülerpflicht willen: Kugelstoß zu üben.
Jedesmal, wenn ich die in der Nähe des Kopfes liegende Kugel
wieder hole, küsse ich ihn rasch, als sei es verboten.
Jedesmal, wenn ich die in der Nähe des Kopfes liegende
Kugel wieder hole, küsse ich ihn, rasch, als sei es verboten. Es ist mir
dann, als küßte ich eine Schlafende, die ich liebe, die meinen Kuß
fühlen, aber nicht davon erwachen soll. Nicht im geringsten wundert mich
oder beunruhigt mich, daß ich den Kopf von seinem Leib getrennt habe.
Ich denke kaum daran. Nachher versuche ich, mit dem Kopf selbst
Kugelstoß zu üben. Doch gleich beim ersten Mal bleiben meine Finger in
den Haaren hängen. -
Wieland Herzfelde, Tragigrotesken der Nacht. Berlin 1920 (Malik)
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