ünstlerfest    auf einem Mal segeln die 4 Kirsten - jn die Lüfte - das Grammo-fon - verstehste? spielt Mariette (Twostep von Couropuin-Stemy). Mein Freund Raoul grinst araberhaft, klemmt das Monokel (Moo-noo-k-el) in die Falte zwischen seiner brutalen Fresse und dem schiefsitzenden Auge. Succi, Putzmacherin, Monte Carlo bereist, aus uraltem Geschlecht (niederbayrischer Adel, letzte Linie) träumt vom Hotel des Ecoles; gerade schwindet Bols davon, indeß Henry Bing und Friedrich E. unten patrouillieren. Aus der Straße der Freude, beim Boul' Edgar Quinet, knallt ein Revolverschuß

- heidi, hast du nicht gesehen. Friedrich steht der Schwanz, sein Pierrotgesicht sieht aus wie Ramschware — jedenfalls aßen wir bei Poillard noch Muscheln - es war 'A drei! Nerlinger sumpft in den Ecken; erloschenen Auges versucht er krampfhaft, den Rest Slibowitz in die trockene Kehle zu gießen. Succi und Ernst tanzen, immer wieder gelüstet es mich, Succis Popo zu kitzeln (den Popo derer von Eyzing, letzter Sproß aus uraltem Geschlecht). Succi, mit festen Grundsätzen und durchaus positiv, beißt mich in die Schulter — wenn sie nur eben ihre grauen Seidenstrümpfe anhätte — am Savignypiatz liegt Eva im Bett und träumt! Querschnitte, meine Herrschaften, Querschnitte; allzumal sind die Menschen Schweinehunde. Raoul du Sau, dir hau ich die Fresse entzwei!! Bauz! Nerlinger kotzt aufs Louis Philippe Sofa! Alberts, ach psychopathischer Alberts - ja, ja, - wir Elsaß und Lothringer. Nerlinger kotzt wie ein Stint! Succi tanzt - Impression —  Nerlinger ist sanft entschlummert, indessen bediene ich Schnaps & Grammofon. Der berühmte brasilianische Tango banjot durch den Keller — Südamerika wird Paradies; Succi wird toll und exhibitionistisch - Kleider runter!! Alberts vermittelt - indeß Rita Andexer (Kerstens Frau!) schon längst aufgegeilt in Spitzenhosen tanzt (doch gerade da läßt's mich sicher kühl) - doch übernehme ich keine Garantie - sicher! Beim großen Cagliostro! St. Germain lebte 500 Jahre, machte Gold, besaß den Stein der Weisen und führ nur 6spännig - es gab aber noch keine Brownings, und Edison war noch ungeboren. Dahin mußt Du Dich entwickeln - Oz! Freunde! Sechsspännig fahren!! Aha - der Mann im Frack! Und Succi, bizarrste aller Modistinnen, die je bei Haas-Heye waren — zum Wohle! (N. B. Succi, bereits 2 Flaschen Port in sich - dabei hält das Aas sich baumgerade!) Succi stell deine philosophischen Taschenspielereien ein - mich angelst du bestenfalls durch deine Schenkel und deine Frisur (letzter Schrei, wieder ganz glatt, ohne Knoten!) Arschlöcher - Aaschlöcher-a-a-a-a-aaaaaasch!! Nerlinger gröhlt wie eine verbogene, längst gestorbene Trompete. Alberts, du als Gastgeber - gieß dem obszönen Hund Ätzkali auf den Schädel; oder schlepp ihn unter die Dusche - außerdem stinkt das Schwein nach gebratenen Zwiebeln und Kriegsgoulasch. Die Bewegung geht fort - haha! Als ob der Mann im Mond nicht auch besoffen wäre -(singt:) Falls - der - Mann - in dem Mond - on a moonlight night - you can find them all! - hallo - hier ist Alexanders Ragtimes Band. Im Couplet Jargon;

Stern — Sternchen - wohl tausend weiße Sterne auf blauem Grund — mir steht der Pint - die Ladeluken sind verschlossen -
es dampft das Schiff- die Succi tanzt kan-kan.
Geh, sagt der Schorsch, laß mich nun auch mal ran!
wann wird der Frühling wieder milder scheinen?
wann greif ich sommermüd mir dein Popo ja wo mag des Lebens Sonnenhitze schöner scheinen??
Somaliküste - Pintenheimatklänge!
das Kohlentrimmerlied dröhnt dumpf am Kai-
Frau Wirtin hatte einen Diener, der hatte nur ein einz'ges Ei.
so geht das Leben munter weiter gewöhnlich ist der Himmel grau d
och manchmal ist er eben heiter.
- die Succi und die Eva - Halli, hallo, hallo, halli!
- wir tanzen einen Phallustanz wohl um den großen Ragtimeschwanz
die Stimmung ist gehoben, die Nummer wird geschoben -
(Succi singt!) - ach Buenos A-i-res - a-i-res! la-la-la - la, la-la-la - la-la!
(fährt fort, leise schmelzend zu zirpen, sincopierend:)
ach-Bu-e-nos - A-i-res am Itz take hualtl da friert es la-la-la - la!
- komm du brauner Mestitt-ze,
schieb mir dein Glied in die Ritt-ze
la-la-la!-la-la-la! la-la!

3/4 5 — das Grammofon heult wehmutsvoll — (Affenliebe von Theo F. Morse). Nr. 2 steigt - Alberts - Chorus - Oz - (waitingfor Rob. E. Lee - Medley Ragtime-Twostep von Abraham und C. L. Meir). O! Ihr gelben Klänge - voll Banjomusik! Die höchsten Wolkenbanks zertrümmernden Häuser - diesen Glücklichen - schlägt - bei Jove - Haig & Haig's Wisky - keinerlei Zeit - breit ausladende Musiks - ihr Negertumteks oder Holzsägen, meinethalben auch Makartbuketts - und Bänkelsängertableaus - o Schreck! Lazarette stinken — Schlachthaus und Matratzenrotz — Bein von meinem Bein - Succi & Eva A. G., Prost Gevatter. Aus der Ecke rülpst Tod Nerlinger — dabei pflanzt der Tod Hausmann eine Kaktee; zitronengelb, der Chinese - der tote Chinese aus Alberts' Raritätenkabinett lacht die Tonleiter, mit Brille und Hosen von Nelson, dessen Trafalgarstelzbein in der Luft herumkarjolt wie ein Holzschmetterling - «Bumbel Bi! the phallic Dui» Furz Puffi Furz Puffl puffl pufft puff! -fffurz!!!! Hilf Himmel! Vater und Sohn! Die bösen Geister sind los - puff! puff! pufffff! puff! -furz!!! Die Toten lauschen angstbedrängt - als ob Sofas ausgebürstet werden! Tod Alberts - Tod Nerlinger - Tod Grosz - Tod Succi - hi hi!!!!! Prost Gift! Ihr Burschen? An die Pumpen? Hol euch der Henker! - mir war's, als kotzt Nerlinger noch immer. Sohn des Himmels, in deinem Kimono wittere ich Goulaschgestank — meinswegen auch Papierknappheit und Sagosuppenersatz — mir war's, als ob ich noch etliche vergaß: z. B. den großen Medizinmann, der klappert -juchhei! (wenn das Geld im Kasten klingt - die Spritze (Salvarsan f++) in die Haut eindringt). Dann eben wieder die Dir bekannte Mary, belanglos, daher wenig erwähnt, dann Rita, Kerstens Ehefrau (Kersten, des Trinkers Frau), wenig ergötzlich - dann Frl. Alberts - Alberts' Schwester - unerfreulich, aber nicht störend; dann lohannes, Maler — unbedeutend — da hättest Du, alter Oz, das gesamte Hexentanzplatz- und Walpurgis-Unternehmen - Hexentanzplatz A. G., Gesellschaft zur Abhaltung schwarzer Messen — wobei die Hostie irgend einem Unbescholtenen ins Aaschloch praktiziert wird. Vorläufig dürfte Dich dieser Brief erbauen — sozusagen das zweite Futuristenkellererlebnis im Extrakt. Ich glaube. Du wirst ein Stück dieser Atmosphäre atmen - besser vergegenwärtigst Du Dir's, wenn Du Dir ein Wattepfröpfchen mit Spiritus fini vor die Nasenlöcher hältst - eventuell Zusatz etwas Patschouli (Succi!) - nebst 2 Gramm Unterleibsgeruch, den Du ja dort gratis und in Überfülle genügsamst hast —   - George Grosz an Otto Schmalhausen (3. Mai 1918), nach: G.G., Briefe 1913-1959. Hg. Herbert Knust. Reinbek bei Hamburg 1979

Künstlerfest (2)  Anwesend etwa 30 Personen, Herren und Damen. Reden von Berg (›Durch‹), Lenz (Gäste), Wolf und Manasse (Damen); Lektüre einer Bierzeitung; dazwischen allgemeine Gesänge, musikalische Vorträge und Deklamationen. 12 Uhr Kaffee. Dann Kommers bis zum Morgenrot.

Als Nachfeier Ausflug nach Erkner und Umgegend am 8. Mai. Abfahrt 7 Uhr 45. Teilnehmer 11 Personen (nur Herren). In Erkner Kaffee. Im Walde bei der Woltersdorfer Schleuse Picknick mit Bier. In Rüdersdorf Mittagsmahl und Besteigung des Berges. Zurück mit Dampfschiff nach der Schleuse. Besteigung des Aussichtsturmes. Mit Dampfer nach Erkner. Besuch bei Herrn Hauptmann, welcher in seinem Heim ein lukullisches Mahl und eine hochfeine Bowle hergerichtet hatte. Bacchantische Freuden. - Bruno Wille, Stiftungsfest des Künstlervereins "Durch!" am 6. Mai 1887, in: Die Berliner Moderne 1885 - 1914. Hg. Jürgen Schutte und Peter Sprengel. Stuttgart 1987 (Reclams UB 8359)

Künstlerfest (3)   So fängt's an: Apachentänze in Futuristenkellern, da kann man das Gruseln lernen... Durch drei Höfe, 2 Etagen tief in die Erde - ach Du ragtimebespritzte Kellerwand... es lebe der Weltenarsch, oder ist vielleicht ein Corrinth nicht wert, angeschifft zu werden? Aufstellen zum Abklatschtanz - Nerlinger in die Menge, Hülsenbeck in die Manege — Succi  dir hau ich doch noch eins übern Arsch!—Scheiße !!! Geht's nicht links, dann rechts; im Genick wachsen Rettiche und Zwiebeln - schon am 22sten solltest du im Pappelbaum hängen! Querschnitte — alles um Liebe — wenn man den Sack voll hat, an die Pißhähne, meine Herrschaften, an die Pißhähne! Kleider runter, Hosen aus! - o la la - der Quellengeistertanz. Komm Succi, wir starten Südamerika - eine Käsestulle für eine schwarze Brasil, mit roter Tinte bemalt ich dir die Titten -! Jawoll ja! Genofeefa! Genitalien laß uns ziehen!!!!!!! Sargnägel her! o-o-o-o-o-o-o-J-o-o-h-n-Heartfield come — in — ! Nasse Handtücher, Preiss verstauchte sich's Gesäß - Albert's dreckige Nägel klimpern Vögel und Menstruation, als ob er nur assistierte — der dumme Hund! Succi zog den grauen Seidenstrumpf vom weichen Bein — N. S. Latte steht Schildwache bei Emilien -Junge!Junge! Schin, schan, schinaman! Und mein Schwanz der tropft, tripfe, trapfe — tripfe, trapfe, tropfe, trapfe - tropf! Prost Raoul! § 175, komm küß mir die Schnauze! Es lebe der apressionistische Romancier - hoffentlich könnt Ihr Däublern rausklingeln — wisch mal Succin das Messer ab! Verraucht, beschissen, zugeklebt — abgekotzt — der Cabarett — Whitman - prost George Grosz, Dünnkrawattiger vom Orinoco - St. Lorenz und Kaugummireklame, Fliegentütenheinrich und Kühlmann — Gerhart Hauptmann und Hanns Heinz 175 —Jawoll ja! Nerliner in die Manege! Neumann in die Manege! Succi tanzt mir Maxixe war - Eriktions Maxixe! ahem! Nerliner in die Manege! Schnaps her, 20% igen-plus Plattenorchester-und Marys Bedrängnissen (tanzt doch sonst ganz nett!). Na, die alten Chicagoleute, die Südendemänner mit den brennenden Lunten am Arsch, von Manhattans Schlacht-banks und der turbulente Querschnitt durch Aprilnachts! Gestank sammle dich - hoho! Gesang Chours: Wohl tausend weiße Sterne auf blauem Grund, mir heult der Schwanz, das Solingmesser fass ich fester-kühl ab, Komet, Whiskyreklame ist vorbei, es tönen Riffe allerorten! - Des Lebens Lenz ersoff in dem Abort!!...«  - George Grosz, Brief an Otto Schmalhausen, 29.4.1918, nach: nach: G.G., Briefe 1913-1959. Hg. Herbert Knust. Reinbek bei Hamburg 1979

Künstlerfest (4) Schließlich kommt der Tag des Balls. Der Abend beginnt mit einem vom Atelier Saint-Julien in einem Restaurant veranstalteten Essen. Während des Essens sehe ich, wie einer der Studenten sich erhebt, seine Hoden sorgfältig auf einen Teller legt und so durch den Raum die Runde macht. Nie habe ich in Spanien etwas Ähnliches erlebt. Ich bin entsetzt. Später am Abend begeben wir uns zur Salle Wagram, wo der Ball stattfindet. Ein Polizeikordon vor dem Eingang hat alle Mühe, die Masse der Neugierigen zurückzudrängen. Da sehe ich noch etwas in meinen Augen Unglaubliches: Eine völlig nackte Frau wird auf den Schultern eines als Assyrer verkleideten Studenten hereingetragen. Die einzige Bedeckung ihrer Blöße ist der Kopf ihres Trägers. Unterm Geschrei der Menge gelangt sie in den Saal.

Ich kann mich gar nicht fassen und frage mich: In was für eine Welt bin ich da geraten?

Der Eingang zur Salle Wagram wird von den kräftigsten Studenten der einzelnen Ateliers bewacht. Wir drängen uns durch und zeigen unsere tollen Eintrittskarten. Aber nichts geht. Man laßt uns nicht rein, und jemand sagt: „Ihr seid geleimt worden!"

Wir werden mit unseren ungültigen Karten regelrecht vor die Tür gesetzt. De Creeft ist empört, stellt sich vor und macht ein solches Geschrei, daß man ihn und seine Frau reinläßt. Für Vicens, den Chilenen und mich ist die Lage aussichtslos. Die Studenten hätten wohl die Frau reingelassen, die mit dem Chilenen gekommen war und einen prächtigen Pelzmantel trug, allein wollte sie aber nicht reingehen, worauf ihr jemand mit Kleister ein riesiges Kreuz hinten auf den Mantel malte.

So kam es, daß mir die schönste Orgie der Welt entgangen ist. Heute gibt es den Ball nicht mehr. Über das, was drinnen geschah, waren haarsträubende Gerüchte im Umlauf. Die Professoren blieben nur bis Mitternacht und zogen sich dann zurück. Danach, hieß es, ging die eigentliche Orgie erst los. Gegen vier bis fünf Uhr früh stürzten sich die Überlebenden volltrunken in die Brunnen der Place de la Concorde.

Zwei oder drei Wochen nach dem Ball bin ich dem Kartenverkäufer, der mir die falschen Billetts angedreht hatte, wieder begegnet. Er hatte sich einen schweren Tripper gefangen und konnte, auf einen Stock gestützt, kaum noch gehen. Ich habe darauf verzichtet, Rache zu nehmen.  - Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

 

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