Kronschnepfe  Das Blut der Toten tröpfelt langsam, mit einem leisen Geräusch wie von fallenden Blättern nach einem Frühjahrsregen, auf die Fliesen nieder.

Und die Kronschnepfe hat geschrien . . .

Ich legte mich auf mein Feldbett und tat so, als schliefe ich.

Da schrie die Kronschnepfe näher.

Etwas streifte an die Fensterscheiben.

Stille ...

Die Tür öffnete sich ganz leise.

Jemand oder etwas trat ins Zimmer.

Welch schauderhafter Leichengestank!

Schritte gleiten zu meinem Bett. . .

Und plötzlich lastet ein gewaltiges Gewicht auf mir. Scharfe Zähne verbeißen sich in meine schmerzende Wunde, und entsetzliche eisige Lippen saugen gierig mein Blut.

Ich fahre brüllend hoch.

Ein noch gräßlicheres Heulen antwortet mir.

Oh, welch fürchterlicher Anblick! Ich brauche meine ganze Kraft, um nicht ohnmächtig zu werden!

Zwei Schritte von meinem Gesicht entfernt starrt mir das seinerzeit am Fenster erschienene Alptraumgesicht entgegen, seine Augen schleudern Blitze, und aus seinem schauderhaft roten Mund rieselt Blut. Mein Blut.

Ich habe begriffen. Die Fürstin Opoltschenska aus den rätselhaften Ländern, wo man die Existenz der Lemuren und Vampire nicht leugnen konnte, hat ihr jämmerliches Leben verlängert, indem sie das junge Blut von acht unglücklichen Wächtern trank!

Nur eine Sekunde stutzte sie. Dann war sie mit einem Sprung über mir. Ihre Krallenhände bohrten sich in meinen Hals.

Blitzschnell spie der Revolver seine letzten Kugeln aus, und das Vampirweib stürzte mit einem gewaltigen Todesröcheln, das die Wand mit schwarzem Blut bespritzte, auf den Boden.  - Jean Ray,  Der Friedhofswächter.  In: Phantastische Träume. Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1983 (Phantastische Bibliothek 100)

 

Schnepfe

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme