riminalroman  Als Kafka einmal unter den Büchern in meiner Aktentasche einen Krimmalroman sah, sagte er: »Sie brauchen sich nicht zu schämen, daß Sie so etwas lesen. Schuld und Sühne von Dostojewskij ist ja eigentlich auch nur ein Kriminalroman. Und Shakespeares Hamlet! Das ist ein Detektivstück. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Geheimnis, das langsam gelüftet wird. Gibt es aber ein größeres Geheimnis als die Wahrheit? Dichtung ist immer nur eine Expedition nach der Wahrheit.«

»Was ist aber die Wahrheit?«

Kafka schwieg einen Augenblick, dann lächelte er spitzbübisch. »Das sieht so aus, als hätten Sie mich gerade bei einer leeren Phrase ertappt. In Wirklichkeit ist dem nicht so. Die Wahrheit ist das, was jeder Mensch zum Leben braucht und doch von niemand bekommen oder erstehen kann. Jeder Mensch muß sie aus dem eigenen Inneren immer wieder produzieren, sonst vergeht er. Leben ohne Wahrheit ist unmöglich. Die Wahrheit ist vielleicht das Leben selbst.«  - Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Frankfurt am Main 1981 (Fischer Tb. 5093, zuerst 1954)

Kriminalroman (2) Ich erkläre, daß Polar keineswegs gleichbedeutend mit «Kriminalroman» ist. Polar bedeutet harter Roman noir. Während der Roman policier à énigme der britischen Schule das Übel in der schlechten Natur des Menschen sieht, sieht der Polar das Übel in der Organisation der Übergangsgesellschaft. Der Polar spricht von einer aus dem Gleichgewicht geratenen, daher labilen Welt, und also dazu bestimmt, beseitigt zu werden und zu verschwinden. Der Polar ist die Literatur der Krise. Nicht verwunderlich, daß er in letzter Zeit wieder zum Leben erwacht. - Jean-Patrick Manchette, Chroniques. Essays zum Roman noir. Heilbronn 2005 (DistelLiteraturVerlag, zuerst 1996)

Kriminalroman (3) Was ihm an diesen Büchern gefiel, war ihr Sinn für Perfektion und Sparsamkeit. Im guten Detektivroman wird nichts verschwendet, kein Satz, kein Wort ist ohne Bedeutung. Und selbst wenn es zunächst keine hat, steckt in ihm die Möglichkeit, eine zu haben — was auf dasselbe hinausläuft. Die Welt des Buches wird lebendig, brodelt vor Geheimnissen und Widersprüchen. Da alles, was gesehen und gesagt wird, selbst das Geringfügigste, Trivialste, etwas mit dem Ausgang der Geschichte zu tun haben kann, darf nichts übersehen werden. Alles wird wesentlich, der Mittelpunkt des Buches verlagert sich mit jedem Ereignis, das die Handlung vorwärtstreibt. Daher ist der Mittelpunkt überall, und kein Kreis kann gezogen werden, bevor das Buch endet. - Paul Auster, Die New York-Trilogie (Stadt aus Glas), Reinbek bei Hamburg 1991 (zuerst 1985)
 
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