riegsberichterstatterin  

Isonzofront. Bei einem Brigadekommando. Nach Tisch.

DIE SCHALEK (steht umgeben von Offizieren): Schritt für Schritt bin ich jetzt die Front am Isonzo längs des Görzer Abschnittes abgegangen. Alles haben sie mir gezeigt! Also was ich da erlebt hab! Die im Hinterland sitzen, können sich das gar nicht vorstellen. Nach langem Bitten bekam ich also die Erlaubnis mitzugehen. Ich fühlte, wie die Freiwilligkeit die Last erschwert. Daß ich nicht mitgehen muß, verursacht den innern Hader. Zur angegebenen Stunde, um 5 Uhr nachmittags, melde ich mich beim General als abmarschbereit. Ich bitte darum, mit einem Herrn gehen zu dürfen, der ohnedies heute in Stellung muß. Durch mich soll keiner gefährdet werden, von dem es der Dienst nicht verlangt! Ein blutjunger Leutnant, der über die sich eröffnende Abwechslung seelenvergnügt ist, biegt mit mir am Fuße des Berges ab, den wir umgehen, um ihn dann von der Flanke anzufassen. Vorher bekomme ich den Befehl, punkt 9 Uhr wieder an der Ausgangsstelle zu sein. Tiu, du, tiuuu - geht es uns von der Seite an. Und plaudernd bummelten wir durch die Mondnacht wiederum heim. Aber dann! Beim Artilleriebeobachter der Podgora bin ich gesessen, atemlos harrend, was sich in seinem Abschnitte begeben würde. Nun, eine Bejahung der Instinkte, eine Betonung der Persönlichkeit hat Platz gegriffen, wie sie nie vordem hätte gezeigt werden dürfen. Oberhalb der Parkmauer des Schlosses bin ich beschossen worden. Wir stehen da, ohne Regung. Mag der Feind uns sehen! Kein Wort haben wir noch gesprochen. Jetzt sehe ich ihn an. Dünn ist er und blaß. Nicht viel über Zwanzig. Etwas Sonderbares geht in mir vor. Ich sehe den Leutnant an; Volksschullehrer ist er in einem ungarischen Dorf. Und wie ein blendendes Licht steigt in mir eine Erkenntnis auf. Während des Trommelfeuers auf dem San Michele erleuchtet ein neues Verstehen jede Windung meines Gehirns. Der Leutnant ahnt nicht, wie seine Haltung auf meine Erkenntnis wirkt. Er sieht mich an und lächelt. Er fühlt, daß ich mit ihm denke, unsere Nerven schwingen während des Trommelfeuers im Takt. Es klingt wie eine Solonummer im Orchester .. Tk, tk, tk - geht es los .. Der erste Ton ists des Morgens, wenn ich um halb vier aufstehe, um in die Stellung zu gehen.. Tiu, du, du - tk, tk, tk - kings!. . Aber auch nicht der Gedanke daran, daß man ungehorsam sein, den Befehl mißachten könnte, kommt einem von uns beiden in den Sinn. Die ungeheure Triebkraft eines Befehls verspüre ich jetzt am eigenen Leib. Der Leutnant bleibt stehen. Eine Nachtigall lockt und die Akazien duften betäubend. Jetzt freilich kommt es von der andern Seite; nicht mehr so peitschend und eilig, sondern langsam brüllend, fast hohnvoll singend. Der Leutnant zerrt mich an die Wand. Wu - wu - wu - - Ein Blindgänger war's .. Kein Gedanke daran, stehen zu bleiben oder Deckung zu suchen. Befehl: Um neun Uhr stellig zu sein. Zum erstenmal kann ich ganz mit der Mannschaft fühlen. Was für eine Erleichterung ist ein Befehl! Wunderbar leicht kommt man durchs Feuer, wenn der Befehl es heischt. Wohl jenem Volk, das im Befehl leben dürfte, vertrauend, gläubig, daß der Befehl auch der richtige sei, von den Besten der Besten ersonnen; so wie es hier der vorwärtsdrängende und jeden Rückfall abschneidende, das Eigentum schützende Befehl vom Isonzo ist! Verwundete holen uns ein.

Einer ist taubstumm geworden. Er winkt und deutet, was ihm geschah. . Die Autos warten und bald sind wir im Quartier. Der Tisch ist gedeckt und in dampfenden Schüsseln wird das Mahl aufgetragen. In jedem Auge steht noch der Abglanz des Erlebnisses. Aber wir essen ganz tüchtig und schlafen prächtig und nächsten Mittag spielt die Militärmusik bei der Offiziersmesse auf. Wir haben ja den benötigten Graben. Im Freien wird gespeist, die Spargel schmecken gar köstlich und süße Walzermelodien wetteifern mit dem Kuckuck und mit dem Specht. In Rom erfährt Salandra wohl nichts, als daß er heute einen Graben verlor. Nun, das Trommelfeuer auf dem Monte San Michele hatte ich hinter mir. Am nächsten Tag aber gings noch einmal hinaus. Interessant sind dieVerwundetenzüge. Die Leichtverletzten nehmen noch Haltung an und salutieren, andere heben matt den Blick und versuchen, mit der Hand nach der Mütze zu fahren, viele aber liegen unbeweglich, haben den Mantel übers Gesicht gezogen und sehen und hören nichts . . Das Gefecht ist zu Ende. Wir können also gehn. Andern Tags dachte ich, ach was, den Monte San Michele läßt du heute rechts liegen. Heute führt mich mein Weg zur Nachbardivision, zu den ungarischen Truppen des Heeres. Leichengeruch weht über die Straße weg. Kein Korso einer Großstadt ist so menschenbelebt wie diese granatenbestrichene Straße. Hier liegen seit acht bis zehn Monaten zwischen den Stellungen ganz mumifizierte, durchlöcherte Leichen.. Die Gräben sind eng, fast nur mannsbreit und die Leute schlafen langausgestreckt auf ihrem Grunde. Man steigt über sie weg, aber sie wachen nicht auf. . Sechs Einschläge zählen wir und eine rasche Aufnahme gelingt. . Ich darf durch einen Panzerschild hinausschauen und den Trichter bestaunen . . Beim Bataillonskommandanten bekomme ich ein Glas Eierschnaps. Das tut wohl. Die Nerven vibrieren doch von dem ewigen Krachen ringsum. »Decken Sie frisches Zeitungspapier auf«, ruft der gastfreie Offizier. (Offenbar eine Galanterie für mich.) Sechs Schüsse - sechs Volltreffer .. Platte auf Platte fülle ich mit Bildern für die Zukunft. . Und dann zurück hieher. Beim Brigadier wartet ein Frühstück auf uns; dankbar nehme ich's an. Das war aber ein Frühstück -! Weil mich Cadorna heute wiederum verschonte, weil die Granate wiederum gerade um ein Viertelstündchen zu spät kam, gab's eine Flasche echten Champagners und als besonderen Lohn eine Dose wirklichen Kaviars. Knusprige Kipfel und bunte Blumen, Radieschen und ein Damastgedeck - solche Kontraste gibt's nur an der Front!  - Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit. München 1964 (dtv sr 23, zuerst 1926)

 

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