Der einsame Backzahn einer Dirne, Den schlug der Leichendiener sich heraus, |
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benn
)
Kreislauf
(2)
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forn
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Kreislauf (3) Eine von Platons
Besessenheiten bestand darin, daß, wenn der Kreis des Großen Jahres abgelaufen
ist (so nannte er jenen Zeitraum, in dem alle Sterne nach zahllosen Kreisläufen
sich wieder in der gleichen Stellung und Ordnung einfinden müssen, welche sie
vorher untereinander innegehabt haben), sich alle Dinge erneuern müssen; das
heißt: auf der Bühne der Welt müssen dieselben Schauspieler wieder auftreten
und dieselben Ereignisse wieder aufführen, wobei Menschen, Tiere, Pflanzen,
Steine eine neue Existenz erlangen; schließlich muß alles, was es an Belebtem
und Unbelebtem in den vorangegangenen Jahrhunderten gegeben hat, in ihnen wiederkehren
- mit den gleichen Übungen, den gleichen Ereignissen, den gleichen Spielereien
des Zufalls, die in ihrer ersten Existenz vorgekommen
waren. - Pater Feijoo (Teatro critico universal, vierter Band, Diskurs
zwölf, 1730), nach Jorge Luis Borges, Kabbala und Tango. Essays.
Frankfurt am Main 1991 (Fischer-Tb., zuerst 1931)
Kreislauf (4) Wenn Larven eines Saugwurms den im Pazifik
lebenden Killifisch infizieren, wirft dieser seine angeborene Vorsicht
über Bord und macht durch wilde Kapriolen und Körperverdrehungen an der
Meeresoberfläche Raubvögel auf sich aufmerksam. Diese fressen deshalb
im Durchschnitt etwa dreissigmal mehr infizierte als gesunde Fische.
Der biologische Sinn dieser Gehirnwäsche gründet im Lebenszyklus des
Saugwurms, der drei verschiedene Wirte benötigt. Der Wurm bildet seine
Eier im Darm von Vögeln, welche die Eier in Salzsümpfe an der
kalifornischen Pazifikküste ausscheiden. Dort frisst sie eine Schnecke,
in der sie sich zu Larven entwickeln. Die Larven infizieren einen
Killifisch und kehren schliesslich mit diesem zurück in einen
Vogeldarm. - Gottfried Schatz, Unheimliche Gäste.
NZZ
vom 23. Januar 2008, Neue Zürcher Zeitung vom 23. Januar 2008
Kreislauf (5) Gurdulù
schleifte einen Toten und dachte: Da läßt du deine Fürze
fahren, die noch mehr stinken als die meinen, Leichnam! Ich verstehe nicht,
weshalb dich alle beweinen! Was fehlt dir denn? Früher hast du dich bewegt;
jetzt ist diese Bewegung auf die Würmer übergegangen,
die du ernährst. Dir wuchsen Nägel und Haare, jetzt speist du die Fäulnis, durch
die das Gras in der Sonne höher sprießt. Zu Gras sollst du werden; dann zu Milch
in den Kühen, die das Gras fressen, zum Blut des Kindes, das die Milch getrunken
hat, und so fort. Siehst du nicht, daß du es besser verstehst zu leben als ich,
o Leichnam? - (
ritt
)
Kreislauf (6) Beherrscht von einem
Ideal der Intelligibilität, die das wahre und vollständige Sein dem gleichsetzt,
was in sich ruht und mit sich selbst identisch bleibt, dem Ewigen und Unveränderlichen,
hält der Grieche die Bewegung und das Werden für niedere
Grade der Wirklichkeit, in denen die Identität - günstigstenfalls - nur noch
in Form von Beständigkeit und Dauer und daher also von
Wiederholung wahrgenommen wird. Die kreisförmige
Bewegung, die die Erhaltung der gleichen Dinge gewährleistet, indem sie sie
wiederholt und ihre ständige Wiederkehr herbeiführt, ist der spontanste, vollkommenste
(und deshalb dem Göttlichen nächste) Ausdruck dessen, was an der Spitze der
Hierarchie absolute Unbeweglichkeit ist. Nach der berühmten Definition Platons
ist die Zeit, die durch den Umlauf der himmlischen Sphären
bestimmt und bemessen wird, bewegliches Abbild der unbeweglichen Ewigkeit, die
sie nachahmt, indem sie im Kreis abläuft. Folglich wird sich das gesamte kosmische
Werden und ebenso die Dauer dieser Welt des Entstehens und Vergehens, in der
wir leben, im Kreis vollziehen oder gemäß einer unendlichen Folge von Zyklen,
in deren Ablauf dieselbe Wirklichkeit geschieht, sich auflöst, wiedergeschieht,
gesetzmäßig und in ewig gleichem Wechsel. Darin wird nicht nur die gleiche Menge
an Sein bewahrt, ohne daß etwas verlorengeht oder neu geschaffen wird, sondern
einige Denker der ausgehenden Antike - Pythagoreer, Stoiker,
Platoniker - haben obendrein die These aufgestellt, daß im Inneren jedes dieser
Zyklen der Dauer, dieser Äonen, dieser aeva die gleichen Situationen
erzeugt werden, die schon in den vorhergehenden Zyklen erzeugt wurden und in
den folgenden Zyklen erzeugt werden - ad infinitum. Kein Ereignis
ist einzigartig oder geschieht nur ein einziges Mal
(die Verurteilung und der Tod des Sokrates z.B.), sondern es ist geschehen,
geschieht und wird unaufhörlich geschehen; dieselben Individuen sind erschienen,
erscheinen und werden bei jeder Umdrehung des Kreises um sich selbst wieder
erscheinen. Die kosmische Dauer ist Wiederholung und ankylosis, ewige
Wiederkehr. - H.-Chr. Puech, nach: Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte.
Der Mythos der ewigen Wiederkehr. Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1949)
Kreislauf (7) Der Kraken
braucht mehrere Monate, »um den Schlund seines Bauches
zu füllen«, und einige weitere, bis er verdaut hat. In der Tat ist »das Meer
zu diesem Zeitpunkt in weitem Umkreis verschmutzt, verfärbt und übelriechend
durch seine Ausscheidung«. Der grauenhafte Gestank
zieht Fischschwärme an, die der Kraken sich einverleibt, so daß der Zyklus aufs
neue beginnt. - (
krak
)
Kreislauf (8) Mehrere Derwische
sind Anhänger der Munasihin, die an die Seelenwanderung
glauben. Nach ihrer Meinung schlüpft jeder Mensch, der nicht würdig ist, in
menschlicher Form wiedergeboren zu werden, nach
seinem Tod in den Körper des Tieres, das ihm wesensmäßig und charakterlich am
ähnlichsten ist. Die Lücke,
die eine solche Abwanderung menschlicher Seelen hinterlassen würde, wird wieder
gefüllt durch das Nachrücken von Tierseelen, die aufgrund ihrer Intelligenz
oder Treue würdig sind, aus dem Tierreich aufzusteigen. Diese offensichtlich
der indischen Tradition entlehnte Auffassung erklärt die vielen frommen Einrichtungen
in den Klöstern und Moscheen zugunsten der Tiere; denn man achtet sie nicht
nur, weil sie Menschen gewesen sein könnten, sondern auch weil sie es vielleicht
einmal werden. Das erklärt auch, weshalb die Mohammedaner kein Schweinefleisch
essen, denn das Schwein scheint durch seine Gestalt
und seine Neigung dem Menschengeschlecht am nächsten
zu stehen. - Gérard de Nerval, Reise in den Orient. München 1986 (zuerst
1851)
Kreislauf (9)
Kreislauf (10) Wie lange
diese glückliche Gleichheit auf O-Tahiti noch dauern mögte? kann man wohl
nicht füglich bestimmen; doch scheint die Faulheit der Vornehmen, ihr eben
nicht die längste Dauer zu versprechen. Vor der Hand ist zwar die Feld-
und Landarbeit den Tautaus, welche sie verrichten müssen, noch nicht
lästig; allein, da die ganz arbeitlosen Vornehmen sich in einem ungleich
stärkern Verhältnisse vermehren müssen, als jene; so wird die dienstbare
Classe künftig immer mehr mit Arbeit beschwert werden, und von dem Übermaaß
derselben allerhand üble Folgen zu gewarten haben. Das gemeine Volk wird
davon ungestalt, und ihre Knochen kraftlos werden; die Nothwendigkeit mehr
In der brennenden Sonne zu seyn, wird ihre Haut schwärzen, und sie werden
durch die häufigen und frühen Ausschweifungen ihrer Töchter mit den Großen
des Landes, endlich zu zwergigten kleinen Gestalten ausarten, indeß jene
vornehmen Müßiggänger die Vorzüge einer großen Leibesgestalt, einer schönen
Bildung und einer heilern Farbe ausschließungsweise beybehalten werden,
weil sie allein ihrem gefräßigen Appetit
ohne Einschränkung folgen, und stets in sorgloser Unthätigkeit leben können.
Endlich wird das gemeine Volk diesen Druck empfinden, und die Ursachen
desselben gewahr werden, alsdenn aber wird auch das Gefühl der gekränkten
Rechte der Menschheit in ihnen erwachen, und eine Revolution
veranlassen. Dies ist der gewöhnliche Cirkel aller Staaten. -
(for)
Kreislauf (11) Die Blattlaus zählt also zu den ersten Zubereitern der Nahrungsstoffe. Mit ihrer Sonde nimmt die Sammlerin von Molekülen geduldig die schon aufbereiteten wesentlichen Bestandteile auf, die der Felsen der Pflanze abzugeben hat. In ihrem rundlichen Filterkolben verfeinert sie das karge Gericht und verwandelt es in Fleisch, ein höherwertiges Nahrungsmittel. Sie überläßt ihr Produkt Millionen von Verzehrern, die es an andere Lebewesen höherer Ordnung weitergeben, bis sich zuletzt die Nahrungskette schließt und der Stoff wieder in die große allgemeine Masse zurückkehrt, die Reste dessen, was gelebt hat, und Bausteine dessen, was leben wird.
In frühester Urzeit, so nehmen wir an, gibt es auf unserem Planeten eine
Pflanze, die das Felsgestein urbar macht, und eine Blattlaus, welche die Pflanze
verwertet. Das genügt schon: Der Stoffkreislauf des Lebendigen ist hergestellt,
die Lebewesen höherer Ordnung sind möglich geworden. Das Insekt und der Vogel
können kommen, sie finden den Tisch gedeckt. - (
fab2
)
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