Kreatur, elende    Sorge, Elend, Enttäuschung sind allgegenwärtig, und niemand kann sich ihnen entziehen; gäbe es keine andere Heimsuchung im Leben, so reichte schon das Nachdenken über dieses gewöhnliche Übel aus, um einen Menschen zu peinigen und ihn seiner Existenz überdrüssig werden zu lassen, denn niemals ist er wirklich in Sicherheit, sondern immer Gefahren, Kummer, Sorgen und Drangsalen ausgesetzt. Wenn der Mensch auf die Welt kommt, wird er, wie es Plinius in wohlgesetzten Worten ausdrückt, nackt geboren und weint vom ersten Atemzug an; gewickelt und geschnürt wie ein Gefangener ist er hilflos und bleibt es bis ans Ende seiner Tage. Er fällt nach Seneca wilden Tieren zum Opfer, erträgt Hitze und Kälte nicht, weder die Arbeit noch der Müßiggang bekommt ihm, und gegen das hohnlachende Schicksal weiß er kein Mittel. Lukrez vergleicht ihn mit einem nackten Schiffbrüchigen, der halberfroren und verlassen an eine fremde Küste geworfen wird. Kein Stand, kein Alter, kein Geschlecht, das nicht an diesem Menschenlos teilhätte. Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, heißt es bei Hiob, und: Sein eigen Fleisch macht ihm Schmerzen, und seine Seele ist ihm voll Leides. Und der Prediger Salomo setzt hinzu: Alle seine Lebtage hat er Schmerzen mit Grämen und Leid, daß auch sein Herz des Nachts nicht ruht. Es ist alles eitel und Haschen nach Wind. Eingang, Fortgang, Rückgang, Ausgang, die Lebensphasen sind alle gleich. Mit Blindheit geschlagen sind wir in der Jugend, in der Mitte unseres Lebens mühen wir uns ab, am Ende steht der Kummer, und nur der Irrtum bleibt uns treu. Welcher Tag dämmert uns herauf ohne Gram, Sorge oder Schmerz? Und welche unbeschwerte und erquickende Morgenstunde hätten wir erlebt, der nicht ein düsterer und wolkenverhangener Abend gefolgt wäre? Einer ist nichtswürdig, der andere lächerlich, ein dritter hassens-wert. Der klagt über diese Beschwerden, sein Nachbar über jene: jetzt schmerzt der Kopf, dann die Füße, nun die Lunge, darauf die Leber. Einer ist reich, aber von niederer Herkunft, ein anderer blaublütig, doch mittellos, ein dritter wohlhabend, doch fehlt ihm die Gesundheit oder auch der Verstand, um sein Vermögen zusammenzuhalten. Seine Kinder machen diesem das Leben sauer, seine Frau vergiftet es jenem. Niemand ist nach Boethius mit seinem Geschick zufrieden, und einem Pfund Kummer ist gewöhnlich ein Gran Zufriedenheit beigemischt. Selten oder niemals Freude und Trost, überall Gefahr, Zank und Unruhe. Wohin man auch kommt, man trifft auf Mißmut, Sorgen, Leid, Klagen, Krankheit, Gebrechen, Beschwerden und Vorwürfe. Sieht man sich auf dem Markt um, schreibt Chrysostomos, findet man nichts als Streit und Rauferei, am Hof tummeln sich Schurken und Schmeichler, und im Haus des Privatmanns drücken schwere Sorgen. Wie heißt es doch bei Homer:

Denn kein anderes Wesen ist jammervoller auf Erden
als der Mensch,  von allem, was Leben haucht und sich reget.

Keine Kreatur ist so elend wie der Mensch, keine wird so von körperlichen, geistigen und seelischen Nöten heimgesucht; ob er schläft oder wacht und wohin er sich auch wendet, er entkommt dem Jammer nicht. Unser Leben ist nach Augusünus eine einzige Versuchung, eine Kette beständiger Übel. Wer könnte seine Unseligkeit ertragen? Geht es uns gut, werden wir unverschämt und überheblich, das Unglück dagegen macht uns niedergeschlagen, und so benehmen wir uns unter allen Umständen töricht und jämmerlich.  - (bur)

Elend Kreatur

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