raulen Alle heftigen Aktivitäten der Hand empfindet man als altertümlich. Es ist nicht das Greifen in feindseliger Absicht allein, von dem man Plötzlichkeit und Grausamkeit erwartet. Viele Vorgänge, die sich erst später abgeleitet haben, das Schlagen, das Stechen, das Stoßen, Werfen und Schießen, sie mögen sich noch so sehr verzweigt und technisch kompliziert haben, rechnet man alle unwillkürlich dazu. Ihre Raschheit u'nd Präzision mögen zugenommen haben, aber ihr Sinn wie ihre Absicht sind die alten. Für den Jäger und Krieger sind sie wichtig geworden; der eigentlichen Glorie der menschlichen Hand haben sie nichts hinzugefügt.
Zu ihrer Vervollkommnung hat sie es auf anderen Wegen gebracht, nämlich überall dort, wo sie auf Gewalt und Beute verzichtet. Die wahre Größe der Hände ist in ihrer Geduld. Die ruhigen, die verlangsamten Prozesse der Hand haben die Welt, in der wir leben möchten, geschaffen. Der Töpfer, dessen Hände den Ton zu formen verstehen, steht als Schöpfer ganz am Anfang
Wie aber sind die Hände geduldig geworden? Wie haben sie das Feingefühl ihrer
Finger gewonnen? Eine der frühesten Beschäftigungen, von denen man weiß, ist
das Kraulen im Fell ihrer Freunde, das die Affen so lieben.
Man meint, sie suchen nach etwas, und da sie unzweifelhaft manchmal etwas finden,
hat man dieser Tätigkeit einen viel zu engen, einen nichts als nützlichen Zweck
unterschoben. In Wirklichkeit ist es ihnen hauptsächlich um das angenehme Gefühl
zu tun, das die einzelnen Finger an den Haaren des Fells empfinden. Diese Fingerübungen
sind die ursprünglichsten, die man kennt. Sie machen die Finger erst zu dem
feinen Instrument, als das wir sie heute bewundern. - (
cane
)
Kraulen (2) Ein Taxi hielt vor dem Hotel Noailles. Scipion, als gebildeter Mensch, nutzte den Zufall.
»Ein Taxi fährt vorbei! Schnell verfrachte ich sie hinein! Im Taxi kraulen
sie mich, um mich auf Ideen zu bringen, um mich feurig zu machen! Dieses Gekraule
machte mich verrückt! Darauf beginne ich so laut zu schreien, daß der Chauffeur
Angst bekommt und uns alle drei mitten auf der Canebiere rausschmeißt! Du kannst
dir den Schlamassel vorstellen, eine, wo brüllte, und die andere, o ich Ärmster,
wo mich auf dem Bürgersteig weiterkraulte, und ich schrie wie ein Gehenkter,
so mächtig kraulte und kitzelte sie mich! Und die Leute, die uns zusahen, die
pißten sich an vor Lachen, aus lauter Schadenfreude! Darauf sage ich mir auf
einmal: ›Scipion, jetzt zeig mal 'n bißchen, wer du bist! Wenn du 'n Mann bist,
ist das der richtige Augenblick.‹ Darauf bringe ich sie beide mit einem Jiu-Jitsu-Griff
auf die Beine! Sie konnten sich nicht mehr bewegen, aber sie schrien weiter!
Ohne zu überdreipen, Salomon, es standen mindestens neuntausend Personen drum
herum, die sich den Skandal ansahen und sich vor Lachen naß machten. Vor allem
die Engländerin war furchtbar. Sie hatte den Schluckauf,
ein solches Verlangen hatte sie. Und die Italienerin schrie: ›Es juckt mich!‹
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Albert Cohen, Eisenbeißer, nach: Der Rabe. Magazin für jede
Art von Literatur 25. Zürich 1989
Kraulen (3)
Kraulen (4)
Kraulen (5)
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