ratzen  Ich muß lachen, wenn ich daran denke, wie gar artig es mir bei diesem Lorenz gegangen, ja, ich wünsche mir noch oft in dem Zustand zu leben, in welchem ich damals gelebt, und es ist schon gewiß, daß ich die Zeit meines Lebens keiner solchen Freiheit mehr genießen werde, als ich auf diesem Schloß genossen habe. Er ließ mich bei ihm im Bette schlafen, nicht daß er etwa wegen Abgang anderer Liegestätten solches hätte tun müssen, sondern nur darum, daß ich ihm alle Abend den Buckel kratzen mußte. Er hieß alle seine Leute, sie mochten gleich Manns- oder Weibsbilder sein, Hans. Darum sagte er auch zu mir, wenn wir abends beisammen lagen:

«Nun, Hans, mache dich fertig und kratze mir mit der rechten Hand den Rücken und mit der linken den Kopf.» Alsdann mußte ich anfangen, eine Seite hinauf-, die andere wieder hinunterzukratzen. Bald hieß er mich geschwinde, bald wieder langsam, bald stark, bald schwach zufahren, und also zerkratzte ich mir meine Finger, daß mir die Nägel hätten abfallen mögen. In solchem Buckelkrauen schlief er gemeiniglich ein, und damit ihm die Zeit desto kurzweiliger würde, gab er mir unter Tags etliche Geschichtbücher, als den Fortunatus mit seinem Säckel und Wünschhütlein und dergleichen Narrenpossen zu lesen. Die mußte ich ihm abends unter währendem Kopfkrauen erzählen und daherschwätzen, bis ich merkte, daß ihm Fühlen und Hören vergangen.

Dieses alles, obwohl es unterweilen bis über die halbe Nacht währte, wollte ich noch gerne erduldet haben, denn ich hatte nicht allein ein gutes Bett, sondern er gab mir auch des andern Morgens für meine Relationen einen guten Trunk spanischen Wein. Aber dies war mir am beschwerlichsten, daß er so schrecklich furzte. Denn wenn ich vor großer Kälte den Kopf hinter die Decke stecken.und mich erwärmen wollte, da fuhr mir der Gestank in beide Nasenlöcher daumendick hinein, daß ich darüber den Schlucken im Hals bekam. Darüber zerlachte er sich am allermeisten, und sagte, daß er viel Comödien gesehen, welche ihn nicht so contentiert hätten wie ich, wenn ich mich über sein falsches Rauchwerk beklagte. «Du Narr», sagte er, «das halte ich für eine Kunst. Wer weiß, wieviel ich schon Mahnzettel aus der Apotheke bekommen hätte, wenn ich das Ding nicht könnte. Oho! Ich war schon längst vor die Hunde gegangen, wenn mir an dem hintern Instrument nur die geringste Saite abgesprungen wäre. Nein, mein lieber Hans, furzen ist ein stattliches Regal. Könnte es mancher große Herr so gut als ich, er gäbe ein ganzes Amt darum, und ich halte alle Leute für Narren, die da meinen, es sei eine bäurische Grobheit. Hans, Hans, lieber Hans, die Windsucht hat manchem den Hals zugesperrt, der jetzo noch manchen Schöpsbraten fressen und einen guten Trunk Mosler Wein dazu tun könnte. Bärenhäuter sind sie gewesen, warum haben's die Narren verhalten?» «Herr», sagte ich, «es ist mir auch einer not, dürfte ich ihn wohl mit Ehren hervortreten lassen?» «Nein», sagte er, «ich verwehr dir's zwar nicht, aber wenn du es tun willst, so tue es nicht in meinem Bette, sondern nimm einen höflichen Abtritt und gehe vor die Kammertüre hinaus. Da magstu donnern, daß die Ziegel aus der Mauer fallen.» Auf solches stund ich auf, und so gut es der Edelmann in seinem Bette machte, so gut machte ich es vor der Kammertür, und machten [wir] es beide so contrabunt untereinander, daß er sich letztlich nicht gescheuet, mit mir um einen Groschen zu wetten, welcher die Nacht hindurch mehr lassen könnte. - Johann Beer, Das Narrenspital. Reinbek bei Hamburg 1957 (RK 9, zuerst 1681)

Kratzen (2)  Das Schiff war schon fast vollständig von Schaben umringt. Die beiden stürzten zum Bug; dort bot sich ihnen ein recht sonderbares Bild. So weit der Blick reichen konnte, zeigte sich das Meer ohne auch nur irgendein Land am Horizont, unter der glühenden Himmelsglocke tintenschwarz und von unheilvollem Glanz; eine unüberschaubare Menge von Schaben, so dicht, daß darunter das Wasser gar nicht mehr durchschien, bedeckte es in seiner ganzen Ausdehnung. Und in der großen Stille vernahm man deutlich das kratzende Geräusch ihrer Panzer gegen den Bug. - Tommaso Landolfi, Das Meer der Schaben, nach (land)

Kratzen (3)

- Beardsley

Kratzen (4)  Wir suchten tastend dort nach einem Glück, das die ganze Welt wütend bedrohte. Man schämte sich seines Verlangens, aber man mußte sich ihm fügen. Es ist schwerer, auf die Liebe zu verzichten, als auf das Leben. Man bringt die ganze Zeit auf dieser Welt mit Lieben oder Morden zu und mit beidem auf einmal: «Ich hasse dich! Ich liebe dich!» Man verteidigt sich, man unterhält sich, man gibt sein Leben an den Zweifüßler des folgenden Jahrhunderts weiter mit Inbrunst, um jeden Preis, als ob es so besonders angenehm wäre, sich fortzusetzen, als würde uns das schließlich unsterblich machen. Man umarmt immer wieder, trotz allem, so wie man sich kratzt. - (reise)
 
Jucken Berührung
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Mittelfinger