rankheit, schweizerische  Es sei eine schweizerische Krankheit, jedenfalls nenne man sie so in Frankreich, »une maladie suisse«. Und dies, weil sie besonders Schweizer befalle; wenn seine Kompatrioten, die mit ihm Söldnerdienst machten, die heimatlichen Musikinstrumente hörten, hätten sie zu weinen begonnen, ihnen seien die Augen übergelaufen, obwohl sie nüchtern gewesen seien, alle hätten an ihre Dörfer und ihre Städtchen gedacht. Es sei aber eine Krankheit, die ihn selber nicht heimtreibe, sondern fort, nicht dorthin, wo er einmal zuhause war, sondern dorthin, wo es andere Zuhause gebe. Nicht, daß er ein neues Zuhause suche, aber er möchte wissen, was alles ein Zuhause sein könnte. Aber wer solle schon eine solche Maladie verstehen. Gonzales nickte: Er stamme aus einer Rasse, die sei immer gezwungen gewesen, die Fremde mit der Fremde zu kurieren.

Und dann erkundigte sich Gonzales nach den Symptomen dieser Krankheit. Doch der junge Schweizer zögerte: Sie lasse sich nicht einmal lokalisieren. Er zum Beispiel könne sie als Reißen in der Brust spüren, als Flimmern vor den Augen oder als Stich in den Schläfen, und wenn er meine, er habe sie, indem er die Hand aufs Knie lege, spüre er sie im Ellenbogen, es sei eine Wanderkrankheit, die im Körper herumirre, selber auf der Suche nach der Stelle, wo sie sich niederlassen und ein für allemal weh tun könne.

Der Erste Offizier erkundigte sich, ob diese Krankheit ansteckend sei. Und Gonzales analysierte, das sei eine Art Melancholie, die komme von der Leber, von dem schwarzen Saft, den diese absondere und der ins Blut gehe. Der junge Mann überlegte, ob das wohl der Grund sei, daß sie zuhause die Leber mit Alkohol abtöteten.  - Hugo Loetscher, Die Papiere des Immunen. Zürich 1986

 

Krankheit, psychische Schweizer Heimweh

 

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