raft,
analytische
Die analytische Kraft sollte nicht einfach mit findigem Verstand
verwechselt werden; denn indessen der Analytiker notwendigerweise über solchen
Verstand verfügt, ist wiederum der verstandesbegabte Mensch oftmals bemerkenswert
unfähig zu analysieren. Die konstruktive oder kombinative Kraft, in der Verstandesschärfe
sich gemeinhin offenbart und der die Phrenologen (irrtümlich, wie mich dünkt)
gar ein gesondertes Organ zugeschrieben haben, in der Meinung, es handle sich
dabei um eine Art Urfähigkeit, ist so häufig eben bei solchen Individuen festgestellt
worden, deren Intellekt andererseits an Idiotie grenzte, daß dies in der Fachliteratur
allgemeine Aufmerksamkeit gefunden hat. Zwischen Verstandesbegabung und analytischer
Fähigkeit besteht ein Unterschied, weit größer in der Tat als der zwischen bloßer
Phantasie und der eigentlichen Imaginationskraft;
zugleich aber liegt eine strikte Entsprechung dabei vor. Man wird tatsächlich
finden, daß der Verstandesmensch wohl immer auch Phantasie hat, der wahrhaft
imaginativ Begabte aber in jedem Fall über analytische Fähigkeit verfügt. -
Edgar Allan Poe, Die Morde in der Rue Morgue. In: E. A. P., Werke I. Olten und
Freiburg i. Br. 1966 (Übs. Arno Schmidt, Hans Wollschläger, Hg. Kuno Schumann,
Hans Dieter Müller)
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