orrektheit   Ich kann wohl Ihre Freundschaft auch mein liebster Peguillhin für einige kleine Gefälligkeiten in Anspruch nehmen. Ich habe nämlich vergessen, meinen Barbier für den laufenden Monat zu bezahlen, und bitte, ihm 1 Rth. à  1/3 C zu geben, die Sie eingewickelt in dem Kasten der Mad. Vogel finden werden. Die Vogeln sagt mir eben, daß Sie den Kasten aufbrechen und alle Kommissionen die sich darin finden besorgen möchten: damit Vogel nicht gleich damit behelligt würde - Endlich bitte ich noch, das ganze, kleine, schwarzlederne Felleisen, das mir gehört, mit Ausnahme der Sachen die etwa zu meiner Bestattung gebraucht werden möchten, meinem Wirt, dem Quartiermeister Müller, Querstraße Nr. 53, als einen kleinen Dank für seine gute Aufnahme und Bewirtung, zu schenken. - Leben Sie recht wohl, mein liebster Peguillhin; meinen Abschiedsgruß und Empfehlung an Ihre vortreffliche Frau und Tochter.

 H. v. Kleist - Man sagt hier d. 21. Nov.; wir wissen aber nicht ob es wahr ist.

N. S. In dem Koffer der Mad. Vogel, der in Berlin in ihrem Hause in der Gesindestube mit messingnem Vorlegeschloß steht, und wozu der kleine versiegelte Schlüssel, der hier im Kasten liegt, paßt - in diesem Koffer befinden sich drei Briefe von mir, die ich Sie noch herzlichst zu besorgen bitte. Nämlich:

1) einen Brief an die Hofrätin Müller, nach Wien;

2} einen Brief an meinen Bruder Leopold nach Stolpe, welche beide mit der Post zu besorgen sind (der erstere kann vielleicht durch den guten Brillen-Voß spediert werden); und

3) einen Brief, an Fr. v. Kleist, geb. v. Gualtieri, welchen ich an den Major v. Below, Gouverneur des Prinzen Friedrich von Hessen, auf dem Schlosse, abzugeben bitte.

Endlich liegt

4) noch ein Brief an Fr. v. Kleist, in den hiesigen Kasten der Mad. Vogel, welchen ich gleichfalls und zu gleicher Zeit an den Major v. Below, abzugeben bitte. - Adieu!

[Auf einem nachträglich eingeschobenen Zettel]

N. S. Kommen Sie recht bald zu Stimmings hinaus, mein liebster Peguillhin, damit Sie uns bestatten können. Die Kosten, was mich betrifft, werden Ihnen von Frankfurt aus, von meiner Schwester Ulrike wieder erstattet werden. - Die Vogeln bemerkt noch, daß zu dem Koffer mit dem messingnen Vorhängeschloß, der in Berlin, in ihrer Gesindestube steht, und worin viele Kommissionen sind, der Schlüssel hier versiegelt in dem hölzernen Kasten liegt. - Ich glaube, ich habe dies schon einmal geschrieben, aber die Vogel besteht darauf, daß ich es noch einmal schreibe.       H. v. Kl. - Heinrich von Kleist an Ernst Friedrich Peguillhen, 21. November 1811

Korrektheit (2)  Eines Tages lud ein Mann mich zu einer Tasse Tee zu sich ein. Ich ging sittsam mit einer Freundin hin. Er forderte mich ein zweites Mal auf, und ich ging allein hin. Dann fragte er mich äußerst rücksichtsvoll, ob ich mich weigern würde, dieses Kettenarmband anzunehmen, und ich antwortete ihm: ‹Ich weiß nicht. Versuchen Sie, es mir anzubieten.› In der Folge bezahlte er mit großer Delikatesse meine Schneiderrechnung, und schließlich gab er mir das Geld, damit ich sie selbst bezahlte, ohne ihn damit zu belästigen. Er war ein sehr korrekter Mensch.  - Pitigrilli, Läuterung. In: P., Luxusweibchen. Reinbek bei Hamburg 1988  (rororo 12201, zuerst 1922)

Korrektheit (3)  Was dies nun alles bedeute, fragte de Schangnau. Er habe vor, ein Geschäft zu machen, erklärte Bein die merkwürdige Szene. Am liebsten möchte er einen Zigarrenladen eröffnen, doch nicht hier in Konigen, das ihm nicht liege, sondern in Zürich. Er brauche Kultur, gute Musik, anständiges Theater, hier komme er auf den Hund, moralisch und finanziell. Das sei ein löblicher Entschluß, bestätigte de Schangnau, jedenfalls bedeute dies dem gegenüber, was Herr Bein jetzt treibe, einen Fortschritt.

»Wir sind wohl beide gleich weit vom Zuchthaus«, stellte der andere fest, »Sie haben den Stöpsel in die Luft gesprengt.«

Woher er das wisse, fragte der Bankier, dem seine Lage deutlicher wurde, nun doch bereit, eine Zigarette zu rauchen. Bein schwieg. Ob er ihn erpressen wolle, forschte de Schangnau,

»Warum nicht?« gab der andere seine Absicht endlich zu, schaute den Bankier nachdenklich an und gab ihm Feuer.

Es gehe noch einen Nußgipfel kaufen, es habe noch Geld von dem Mann, sagte das Mädchen, dem es im Schuppen langweilig geworden war, öffnete die Türe und hüpfte davon. Die beiden traten auch hinaus und standen nun in der Sonne. Von der Fabrik her gingen Arbeiter an ihnen vorbei. »Ihr Vorschlag?« fragte de Schangnau und blickte nach einer Frau, die auf einem Balkon Wäsche von der Leine nahm.

»Zwanzigtausend.«

Soviel könne er nicht zahlen, antwortete der Bankier.

»Weiß ich«, sagte Bein, »Sie sind ruiniert, und so können Sie sich mein Schweigen nicht leisten.«

Dem Bankier kam die Begegnung immer unwirklicher vor. Warum er denn diesen Vorschlag gemacht habe?

Um ihm eine Chance zu geben, antwortete der andere in seiner rätselhaften Art, dies verlange die Höflichkeit, auch wenn kaum eine Möglichkeit vorhanden sei, daß der Freiherr davonkomme. Zwanzig für sein Schweigen sei recht und billig, denn zwanzig hätte man ihm geboten.

»Wofür?« fragte de Schangnau.

»Damit ich Sie töte«, sagte Bein.

Nun fing eine Frau auf einem anderen Balkon an, Teppich zu klopfen, ihr folgten weitere Frauen, dicke, gesunde Frauenzimmer mit gewaltigen Armen und Kräften. War das Gespräch eher behutsam geführt worden, so mußten nun die beiden schreien, wollten sie sich einander verständlich machen, dazu hatten sie einem Lastwagen auszuweichen, der in den Hof gefahren kam, von dem Arbeiter lange Eisenstangen abluden.

Er könne natürlich auch den Auftraggeber erpressen, erklärte Bein durch den Lärm hindurch, und auch in diesem Falle würde er zwanzig verlangen, er gehe korrekt vor, ehrenhaft auch im zweifelhaften Geschäft.

Herr Bein scheine unentschlossen, stellte de Schangnau fest.

Er wisse, wer das Heimatmuseum in die Luft gesprengt und wer die Bombe hergestellt habe, schrie der andere, dies gelte es auszunützen. Wissen sei Macht.

Der Bankier, durch die Nähe der Arbeiter und der Frauen mutig geworden, überdrüssig der verwirrenden Situation, trat zu Bein und faßte ihn am Pelzkragen.

»Herr«, schrie er und hatte Mühe, sich im immer tosenderen Lärm verständlich zu machen, denn nun klopften an die zehn Frauen ihre Teppiche aus, und unter bösartigem Zischen entwich eine Dampfwolke der Fabrik, »Herr«, schrie er, »von wem Sie zwanzigtausend verdienen wollen, indem Sie mich zu ermorden suchen oder einen anderen zu erpressen, ist mir gleichgültig. Ich hoffe nur, daß Sie einsehen, wie dumm und gemein Sie handeln.«

Ob Herr de Schangnau dies wirklich glaube, erbleichte der andere, nahm die Hände des Bankiers von seinem Kragen und zog den Überraschten aus dem Hof in die Seitengasse, wo er ihn fahren ließ.

»Das Leben, nur das Leben«, stammelte er bestürzt, »es ist das erste Mal, daß ich so etwas mache. Ich habe nicht die geringste Erfahrung. Auch dem Antrag, Sie zu töten, stehe ich hilflos gegenüber, ohne Ahnung, wie man das anstellt, wir sind schließlich in Konigen und nicht in Paris oder Chicago. Ich bin für jeden Rat dankbar, glauben Sie mir. Und vor allem habe ich Angst, scheußliche Angst, es könne schiefgehen.«  - Friedrich Dürrenmatt, Aufenthalt in einer kleinen Stadt. Mit: Das Versprechen. Zürich 1986

 

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