Kopfkissen
 

 

- Marcantonio Raimondi,  nach  Giulio Romano

Kopfkissen (2)  Unsere Eidechse raschelt auf dem Kopfkissen, unter, hinter, neben dem Kopfkissen, und verändert unsere Träume. Ich habe meist wissenschaftliche Träume, Etymologien, Algebra, Chirurgie, auch Bandscheibenfälle. Mein Beruf — ich bin Berufstrinker — spielt nur wenig hinein, so wenn ich meinen Blinddarm statt in Spiritus in Grappa aufbewahrt finde. Herr Doktor, sage ich, es ist gegen die Konjunktur, und der Doktor verteidigt sich schwach, er ist nur ein Vierzig- bis Sechzig-Prozent-Doktor, und weist auf die Eidechse hin. Ich halte mit meinem Wissen zurück, will meine Trümpfe nicht gleich zu Anfang ausspielen, verschweige also, daß ich die Eidechse für einen Gekko halte, einen weiblichen Gekko, ja daß ich dessen so gut wie sicher bin. Immerhin lasse ich das Wort Haftfüße fallen, was den Doktor ratlos macht, er schreibt mir eine Überweisung aus, weil er auf Menschen dressiert ist, Minusio heißt er und das wirft auf seine Prozentzahl ein bezeichnendes fast düsteres Licht. Ich gehe der Überweisung nicht nach, vor lauter Melancholie lache ich, ganz der Dienstordnung gemäß.

Nach solchen Träumen wache ich frühzeitig auf, für gewöhnlich ist die Dämmerung in Gang, und ich nehme den ersten Schluck. Neben mir an der Wand haftet die Eidechse, der Gekko, und ist auch wach.  - (eich)

Kopfkissen (3)  Die Mongolen haben einen seht anschaulichen Ausdruck für dieses eilige Töten eines anderen, bevor man selber getötet wird. Die Helden in ihrer ›Geheimgeschichte‹ sagen über einen Feind, den sie in ihrem eigenen letzten Augenblick töten wollen: »Ich nehme ihn als mein Kopfkissen mit.«   - (cane)

Kopfkissen (4)  Tschuang-Tse stieß eines Tages auf einen Totenschädel, der gebleicht war, aber seine Gestalt noch bewahrte. Er streifte ihn mit seiner Reitgerte und sagte: «Warst du wohl einst ein Ehrgeiziger, dessen ungeregelte Wünsche ihn in diese Lage gebracht haben? Ein Staatsmann, der sein Land in Verderben stürzte und mit dem Beil hingerichtet wurde? Ein Wicht, der seinem Geschlecht ein Erbe der Schande hinterließ? Ein Bettler, der in der Pein des Hungers und der Kälte starb ? Oder hast du diesen Zustand im natürlichen Laufe des Alters erreicht?»

Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, nahm er den Schädel mit und legte ihn, als er schlafen ging, als Kissen unter seinen Kopf. In der Nacht träumte er, der Schädel erscheine ihm und sage: «Du setzest deine Worte geschickt, Herr; aber sie sind alle nur in der Lebenszeit und in den Wirrsalen der Lebendigen gegründet. Im Tode ist nichts von alledem. Willst du vom Tode hören?»

«Ich will es», antwortete Tschuang-Tse.

Der Schädel sprach: «Im Tode ist kein Oberherr und kein Untertan. Die Wirkungen der Zeiten sind unbekannt. Unser geschlichtetes Sein ist das Sein von Himmel und Erde. Die Seligkeit eines Fürsten unter den Menschen ist nichts vor unserer Seligkeit.»

Tschuang-Tse glaubte ihm aber nicht und sagte: «Wenn ich den Herrn des Schicksals bewöge, daß er deinem Leibe gestatte, wieder geboren zu werden, und dein Gebein und Fleisch erneue, damit du zurückkehrest zu deinen Eltern, zu Weib und Kind, zu Freunden und Vertrauten — wärest du nicht willig?»

Darauf öffnete der Schädel seine Augen weit und runzelte seine Brauen und sprach: «Wie sollte ich mein königliches Glück verwerfen und in die Mühsal des Menschenloses tauchen!»   - (tschu)

Kopfkissen (5)  Nach dem, was im Tagebuch des Kardinals steht, hatte die Königin durch die Anwendung eines Pflasters eine Fehlgeburt gehabt. Bevor sie mit Ludwig XIV. schwanger war, schlief der König sehr selten mit ihr. «Das Kopfkissen auflegen» nannte man das, weil die Königin gewöhnlich keines benutzte. Er sagte bei der Mitteilung, die Königin sei schwanger: «Das muß also von dann und dann sein.»  - (tal)
 
 

Kissen

 

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