onversation   »Das ist in der Tat höchst merkwürdig«, sagte die in jeder Beziehung anziehende Dame, »was haben denn diese toten Seelen zu bedeuten? Ich gestehe, daß ich überhaupt nichts begreife. Jetzt ist es schon das zweite Mal, daß ich von diesen toten Seelen höre. Mein Mann sagt zwar, daß Nosdrew lügt, aber es muß doch etwas Wahres dran sein.«

»Gewiß, Anna Grigorjewna, aber versuchen Sie doch nur, sich in meine Lage hineinzuversetzen, als ich das alles hörte. 'Und jetzt', sagt die Korobotschka, ,weiß ich überhaupt nicht, was ich tun soll. Er hatte mich', sagt sie, ,gezwungen, irgend etwas Gefälschtes zu unterschreiben, und mir dann fünfzehn Papierrubel hingeschmissen. Ich', sagt sie, ,bin eine unerfahrene, hilflose Witwe und habe von nichts eine Ahnung ...' So also ist das gewesen ... aber wenn Sie sich doch nur ein ganz klein wenig vorstellen könnten, wie ich gezittert habe vor Aufregung ...«

»Wie dem auch sei - hier dreht es sich gar nicht um die toten Seelen, sondern um etwas ganz andres.«

»Ja, ich gestehe gleichfalls«, sagte die bloß anziehende Dame nicht ohne Überraschung und empfand augenblicklich den lebhaften Wunsch zu erfahren, was sich denn eigentlich hinter diesen toten Seelen verberge. Ja, sie stellte sogar mit besonderer Betonung die Frage: »Was meinen Sie denn, was dahinter steckt?«

»Und was glauben Sie?«

»Was ich glaube ... nun, ich gestehe, daß ich völlig ratlos bin.«

»Ich bin trotzdem gespannt, wie Sie darüber denken.« Aber der nur anziehenden Dame fiel nicht das geringste ein. Sie war nur imstande, sich mächtig aufzuregen, aber zu irgendwelchen Vermutungen reichte ihre Phantasie ganz und gar nicht, weshalb sie auch mehr als jede andere Dame das Bedürfnis nach zärtlicher Liebe und verständnisinniger Beratung und Führung hatte.

»Dann hören Sie also zu, was es mit diesen toten Seelen in Wirklichkeit auf sich hat«, sagte die in jeder Beziehung anziehende Dame und der Besuch lauschte mit gespanntester Aufmerksamkeit. Ihre kleinen Ohren spitzten sich ganz von selber, sie richtete sich im Sitzen auf, so daß sie den Diwan gar nicht mehr berührte, und wurde, obgleich sie teilweise ziemlich füllig war, plötzlich so schmächtig, daß sie einem leichten Federchen glich, das beim geringsten Lufthauch hätte davonfliegen können. Man dachte bei dieser Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, unwillkürlich an einen russischen Aristokraten, der auf der Treibjagd an einen Waldrand herangeritten ist, aus dem gerade ein müdegehetzter Hase herauskommt, worauf sich der Jäger mitsamt seinem Pferde und seiner hocherhobenen Hetzpeitsche augenblicklich in ein Pulverfaß verwandelt, welches im nächsten Moment mit dem zündenden Funken in Berührung kommen wird. Sein Blick bohrt sich in die dicke Schneeluft, schon hat er das Wild gestellt, schon ist es ihm, dem Unentrinnbaren, verfallen, den nichts, ja nicht einmal der wütende Schneesturm der Steppe aufhalten kann, der ihm einen Schwall von silbernen Sternchen entgegenwirbelt und ihm Mund, Augen und Schnurrbart, Brauen und Bibermütze mit Schneeflocken überschüttet.

»Die toten Seelen ...« begann die in jeder Beziehung anziehende Dame.

»Was? Was?« fiel ihr der Besuch, ganz aufgeregt vor Erwartung, ins Wort.

»Die toten Seelen ...«

»Ach, sprechen Sie doch um Gottes willen!«

»... sind nur ein Ablenkungsmanöver, bestimmt, den eigentlichen Sachverhalt zu verschleiern. Die Wahrheit ist: er will die Tochter des Gouverneurs entführen.«  - Nikolaj Gogol, Die toten Seelen. München 1965 (zuerst 1842)

Konversation (2)   »Wie meinen Sie?« fragte Morel, der absolut nichts von dem verstanden hatte, was der Baron sagte, aber fürchtete, um eine nützliche Information zu kommen, wie zum Beispiel einen Hinweis auf eine Einladung zum Mittagessen. Da Monsieur de Charlus es ablehnte, ein solches ›Wie meinen Sie?‹ als Frage zu betrachten, und Morel infolgedessen keine Antwort erhielt, glaubte er, der Konversation eine andere, die Sinne stärker ansprechende Richtung geben zu sollen: »Sehen Sie da die kleine Blonde, die die Blumen verkauft, die Sie nicht mögen, das ist auch so eine, die bestimmt eine kleine Freundin hat. Und die Alte, die da an dem Tisch im Hintergrund zu Abend ißt, auch.« - »Aber woher weißt du das alles?« fragte Monsieur de Charlus voller Bewunderung für Morels Ahnungsvermögen. - »Oh, so etwas errate ich im Nu. Wenn wir beide in einer Menschenmenge spazierengingen, würden Sie sehen, daß ich mich keine zweimal täusche.« Und wer in diesem Augenblick Morel mit seinem Einschlag von Mädchenhaftigkeit bei aller männlichen Schönheit angeschaut hätte, müßte das dunkle Ahnungsvermögen begriffen haben, das ihn nicht weniger gewissen Frauen kenntlich machte als diese wiederum ihm. Er hatte Lust, Jupien zu verdrängen in einem unbestimmten Wunsch, seinem ›Fixum‹ noch die Einkünfte hinzuzufügen, die, wie der glaubte, der Westenmacher dem Baron aus der Tasche zog. »Und was die Strichjungen angeht, so kenne ich mich noch besser aus. Ich würde Ihnen da jeden Irrtum ersparen. Jetzt fängt in Balbec der Jahrmarkt an, da könnten wir allerlei finden. Und in Paris erst, Sie sollten mal sehen, wie wir uns da amüsieren könnten!« Doch die ererbte vorsichtige Zurückhaltung des Bedienten veranlaßte ihn, dem bereits begonnenen Satz eine andere Wendung zu geben, so daß Monsieur de Charlus meinen mußte, es handle sich noch immer um junge Mädchen. »Sehen Sie, sagte Morel aus einem gewissen Verlangen heraus, auf eine Weise, der er für sich selbst als wenig kompromittierend erachtete (obwohl sie in Wirklichkeit desto unmoralischer war) die Sinne des Barons aufzureizen, mein Traum wäre, ein ganz reines junges Mädchen zu finden, sie in mich verliebt zu machen und ihr die Jungfernschaft zu rauben.« Monsieur de Charlus konnte sich nicht enthalten, Morel zärtlich ins Ohr zu kneifen. Ganz naiv setzte er hinzu: »Und was hättest du schon davon? Wenn du sie deflorierst, müßtest du sie doch hinterher auch heiraten.« - Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (Sodom und Gomorra) Frankfurt am Main 1965, zuerst 1913 ff.)

Konversation (3)   Er sah mit einem gewollt natürlichen Gesichtsausdruck auf die Gebirgskette des Rouget, denn er wußte im voraus, daß seine Nichte ihm antworten würde nein, nimm du dir zuerst, und wollte diese als überflüssig erachtete Höflichkeitsfloskel vermeiden, mit einer Stimme, die fest sein und doch einen melancholischen Ton durchklingen lassen sollte, jedoch ohne unbedingt eine aufmunternde Antwort in der Art auf was für Ideen du kommst hervorzulocken, sie aber nichtsdestoweniger erhoffend, folgende sieben unter mehreren anderen ausgewählte Worte, die dennoch weniger gut waren als er es gewünscht hätte und die er als banal empfand, sobald sie ausgesprochen waren, altern bedeutet mehr und mehr abwesend sein.

Dann, während der Dauer eines Blitzes und bevor seine Nichte antwortet was sie für richtig hält, fragt er sich ob sein Überdruß Sätze zu bilden, also die Unliebe zu ihnen, eine Neuliebe zu den Menschen fördern kann.

Die Nichte sagt auf was für Ideen du kommst. Aber nimm dir zuerst von den Hors d'œuvres.

Monsieur Traum sagt nein, nimm du dir.

Die Nichte nimmt sich, dann wiederholt sie, wohl wissend daß ihr Onkel nur darauf wartet, auf was für Ideen du kommst, was soll diese Geschichte mit der Abwesenheit, du warst noch nie so anwesend.   - (rp2)

Reden Geselligkeit

 

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