ontakt
Die Labrenas kommen bisweilen bis in die Zimmer hinein: und fliehen, so
füge ich hinzu, in wilder Flucht zu den Fenstern oder Balkons, sobald ihre rechtmäßigen
Bewohner hereinkommen. Doch wenn diese gleich die Fenster und Balkontüren schließen,
fühlen sie sich wie hinter Schloß und Riegel und rennen auf der Suche nach einem
Fluchtweg ganz verrückt die Wände entlang; in Anbetracht eines solchen Falles
fehlte in meinem Zimmer nie ein langes biegsames Rohr, mit dem ich die abscheulichen
Eindringlinge fast an jeder Stelle hätte erreichen und schubsen und allmählich
hinausexpedieren können (sie an der Wand zu zerquetschen hätte ich mich nicht
getraut, war ich doch sicher, beim Anblick ihrer herumspritzenden Innereien
in Ohnmacht zu fallen).
Nun begab es sich, daß ich eines Nachts, als ich zum Schlafen in mein Zimmer kam und gerade das Fenster geschlossen hatte, so etwas wie einen Blitz über dessen Anschlagleiste huschen sah; und in diesem Blitz, wenngleich nur aus dem Augenwinkel, eine Labrena erkannte, die auf den Fensterrahmen zusprang. Ganz offensichtlich wollte sie durch das Fenster entfliehen, das freilich (wie wir soeben erfuhren) schon verschlossen war; also machte sie im Nu kehrt, rannte kreuz und quer die Wände entlang, stets in deren oberer Hälfte, und flüchtete sich schließlich an die Decke, wo sie nicht einmal mein langes Rohr erschrecken konnte (es sei denn, ich hätte es senkrecht betätigt, aber damit wäre ich ja das große Risiko eingegangen, daß die Labrena auf mich hätte fallen können). Folglich war ein Warten angebracht, bis sich meine Feindin von der Stelle rühren würde, ich meine, aus freien Stücken; was auch binnen kurzem geschah, als sie, nach reiflichem Überlegen und vielleicht auch, weil sie sich in jener verkehrten Lage nicht gerade sicher fühlte, behutsam abwärts kroch. Sie kam sogar so weit herunter, daß ich schließlich den Augenblick zum Eingreifen für gekommen sah: ich machte einen Bogen um sie und riß zunächst das Fenster weit auf; alsdann schickte ich mich an, sie mit dem Rohr ins Freie zu stupsen.
Das menschliche Schicksal hängt oft an einem unvorhersehbaren Zwischenfall, an einem unbedeutenden Hindernis . . . Die dünne biegsame Spitze des Rohrs schob sich einige Millimeter unter den kleinen Körper der Labrena, doch dieweil die Wände ja nie vollkommen glatt sind, stieß sie an eine kleine Beule oder Warze des Verputzes und krümmte sich. Woraufhin die Spitze hochschnellte: und die Labrena mitriß . . . und mit einer gewissen Heftigkeit . . . mir ins Gesicht schleuderte.
Ich hatte gerade noch Zeit, auf meiner sensibelsten Hautpartie
das zu spüren, was ich mein Lebtag befürchtet hatte: den Kontakt mit dem widerlichen
Tier. Und schon verlor ich die Besinnung. - Tommaso Landolfi, Die Labrenas, nach (
land
)
Kontakt (2) Mein Ziel war Eisenach
und dort das Sprachlehrerinneninstitut meiner Freundin Dora Kurs. Jedesmal,
wenn ich dorthin kam, fand ich eine andere Generation junger Mädchen vor. Aber
sie hatten von der vorhergehenden schon allerlei über meine Person und über
meine tollen Streiche erfahren, und wenn ich - stets unangekündigt - dort plötzlich
einbrach, etwa durchs Schlafzimmer der Vorsteherin schlich, deren falschen Reservezopf
vom Nachttisch nahm und damit plötzlich ifls Klassenzimmer trat, dann war sofort
ein lustiger Kontakt da. Diesmal in Marineuniform, als einziger Mann, wurde
ich im Nu Hahn im Korb' Daisy war mein Schwärm der Saison, ein blasses, apartes
Mädchen, das sich aus mir gar nichts machte und auch sonst nur ihr eigenes Geschlecht
liebte. Vor allem aber besuchte mich Eichhörnchen in Eisenach. Wir unternahmen
frohe Ausflüge durchs schöne Thüringer Land. Im Rodensteiner händigte mir der
Wirt ein Schreiben von Maulwurf aus. Mit Maulwurf hatte ich mich zwei Jahre
zuvor am Fuße der Wartburg verlobt. Dieses Verhältnis war zwar acht Tage später
in aller Herzlichkeit gelöst worden, aber unsere gute Freundschaft bestand nach
wie vor. - Joachim Ringelnatz, Als Mariner im Krieg. Reinbek bei Hamburg
1978 (zuerst 1928)
Kontakt (3) Da ist zwar Françoise, die Wirtin vom Rendezvous des Cheminots. Aber spreche ich denn mit ihr? Manchmal, nach dem Abendessen, wenn sie mir ein Bier bringt, frage ich sie: «Haben Sie heute abend Zeit?»
Sie sagt nie nein, und ich folge ihr in eins der großen Zimmer im ersten Stock, die sie stunden- oder tageweise vermietet. Ich bezahle sie nicht: wir haben beide etwas davon. Ihr macht es Spaß (sie braucht jeden Tag einen Mann, und sie hat außer mir noch viele andere), und ich werde eine gewisse Melancholie los, deren Ursache ich nur zu gut kenne. Aber wir wechseln kaum ein paar Worte. Wozu denn? Jeder für sich; in ihren Augen bleibe ich übrigens in erster Linie ein Kunde ihres Cafés. Beim Ausziehen sagt sie zu mir:
«Sagen Sie mal, kennen Sie das, Bricot, einen Aperitif? Weil nämlich diese
Woche zwei Gäste einen bestellt haben. Die Kleine wußte nicht Bescheid, sie
hat mich danach gefragt. Es waren Reisende, die haben das wahrscheinlich in
Paris getrunken. Aber ich kaufe nicht gerne, was ich nicht kenne. Wenn es Ihnen
nichts ausmacht, behalte ich meine Strümpfe an.»
- Jean-Paul Sartre,
Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)
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