Enthaltsamkeit und Strenge beherrschen all jene Kulthandlungen, die nicht von der Vorstellung ausgehen, daß der betreffende Heilige oder die betreffende Gottheit selbst im Heiligtum anwesend seien, um sich der aufgestapelten Reichtümer persönlich zu bedienen und dadurch allfällige, ihnen zugeschriebene luxuriöse Neigungen zu befriedigen. Einen etwas anderen Charakter weisen die heiligen Geräte hingegen bei jenen Kulthandlungen auf, in denen die angeblichen Lebensgewohnheiten der Gottheit denjenigen eines diesseitigen patriarchalischen Machthabers gleichen, das heißt, wo man sich vorstellt, daß sich die Gottheit persönlich der betreffenden Konsumgüter bedient. In diesem Falle nehmen das Gotteshaus und seine Einrichtung das Aussehen von Gütern an, die persönlich für den demonstrativen Konsum eines weltlichen Herrn bestimmt zu sein scheinen. Wo aber die Kultgegenstände nur im Dienste der Gottheit verwendet, das heißt wo sie in ihrem Namen stellvertretend von ihren Dienern konsumiert werden, dort tragen sie den Charakter von Gütern, die nur für den stellvertretenden Konsum bestimmt sind.
Im letzteren Fall sind Gotteshaus und Kultgegenstände so beschaffen, daß
sie die Bequemlichkeit und Lebensfülle des stellvertretenden Verbrauchers nicht
erhöhen; auf jeden Fall dürfen sie unter keinen Umständen diesen Eindruck erwecken.
Denn das Ziel des stellvertretenden Konsums besteht ja nicht darin, den Lebensgenuß
des jeweiligen Konsumenten, sondern das finanzielle Prestige des Herrn
zu erhöhen, in dessen Namen der Verbrauch stattfindet.
Deshalb sind Priesterkleider in diesem Fall bekanntlich teuer, kostbar und unbequem,
wogegen sie bei einem Kult, der den Priester nicht
als Begleiter und Gefolgsmann der Gottheit begreift, schmucklos und unbequem
sind, was jedermann als richtig empfindet. -
Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung
der Institutionen. München 1971 (zuerst 1899)
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