onrad   Konrad war ein babylonisch-chaldäisch-assyrischer Gott und saß mit hochgezogenen Beinen auf seinem gewaltigen Thron aus Stein. Auf dicken Polstern ruhte der struppige alte Räuber und rieb sich Kinn und Nase. Ganz zusammengeschrumpft saß er in einer Ecke seines Throns, wie ein altes Äffchen, und kämpfte gegen die schreckliche Müdigkeit, die ihn nicht losließ. Sein Kopf hing nach vorne, er schnarchte.

Eine Mütze mit zwei Hörnern hatte er auf. Die kollerte auf seinen Schoß. Da glaubte er, ihm küsse jemand die Hand. Er machte eine segnende Bewegung und streifte die Mütze von seinem Schoß herunter auf seinen nackten Fuß. Er zuckte, riß die Augen auf, gähnte: «Wie spät ist es?» Die Mütze gab selbstverständlich keine Antwort. Konrad stemmte sich hoch und befahl: «Mir ist die Mütze runtergefallen.»

Die Mütze bewegte sich nicht. Auch sonst bewegte sich nichts. Rätselhafte Stille.

Da wurde der alte Held ganz wach, sog an seinen Zähnen, griff nach seinem Bart, schrie voll Zorn: «He, holla, keiner da, wer setzt mir meine Mütze auf» Mir ist die Mütze runtergefallen. Ich will frühstücken.» Darauf bewegte sich nichts.

Er drehte den Kopf, sah an sich herunter. Gräßlich lang waren seine Fingernägel gewachsen, krumm wie Säbelscheiden. Er mußte schauerlich lange geschlafen haben. Sein rotes, mit Goldtressen besetztes, mit Tierfiguren besticktes Überkleid war zerdrückt, rissig, ausgebleicht. Es hing an ihm, er steckte drin wie in einem Gehäuse. Er ließ seine dürren Beine herunter. Ein Stock aus Pappelholz gehörte zu seinen Machtzeichen, der lehnte vorschriftsmäßig an seinem Stuhl. Danach langte er, stieß auf den Steinboden, krähte mörderisch: «Meine Mütze ist mir runtergefallen. Ich will frühstücken! » Ja, Konrad, der Pascha, der zur Ruhe gesetzte Löwe, wollte seine Ordnung. Und da kamen sie vom Estrich hoch, einer nach dem andern.

Sie waren noch mehr verkommen und zusammengeschmolzen als er. Sie lagen wie trockene Äste, wie erstarrte Schlangen kreuz und quer auf dem Boden und wanden sich jetzt hoch. Das Bild war so toll, daß dem Konrad oben auf seinem steinernen Thron der Mund offen stehenblieb und er nicht weiter schimpfte. Er stülpte sich die Mütze auf, schloß die Augen, öffnete sie entsetzt. Sie waren uralte Männer, an sechzig Stück, mit einem ganzen schimmlig weißen Haarwald an sich, der floß vom Kopf und den Barten, mit langen tastenden Armen in weiten Überröcken. Eine Verwirrung befiel Konrad.

Das Lumpenpack unten fing an zu husten, sich die Mäntel zu raffen, die Bärte über die Schultern zu werfen, sich vor ihm zu verbeugen, durcheinander, windschief wie verregnetes Getreide. Sie wollten sich bücken, aber es ging nicht, sie machten gymnastische Übungen. Der alte Räuber oben tobte. Da stand der Chor still.

Nunmehr sann Konrad nach, schnüffelte um sich, besah sich den Schaden und knurrte: «Wie war das eigentlich »Wir haben wohl allesamt geschlafen?» Sie waren imstande, das zu bejahen. «Eine tolle Sache!» brüllte Konrad, «warum habt ihr denn geschlafen; He? Was? Wer hat hier gearbeitet? Wie war der Dienst verteilt? Wer hat die Sonne heraufgeholt, heruntergeführt; Wo ist sie überhaupt? Und wann bekomm ich zu frühstücken?»  - Alfred Döblin, Babylonische Wandrung oder Hochmut kommt vor dem Fall. München 1982 (dtv 10035, zuerst 1934)

 

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