Konkrete Poesie  Eugen war dabeigewesen und erinnerte sich des historischen Moments. Mit »Meister der konkreten Poesie, dessen Produkte weithin strahlen«, war der Professor für Philosophie gemeint, der, klein, rundlich und die gerötet vorragende Nase schnuppernd gereckt, zugehört hatte, als einer sagte: »Wir müssen so weit kommen, daß wir die Formel für eine Assoziationsreihe an die Wandtafel schreiben können.« Schmunzelnd war der Professor vorne beim Fenster gestanden und hatte gesagt: »Das kann man nicht.« Trotzdem sei alles außer der konkreten Poesie nichts anderes als Tränendrüsenware.

»Es wird nie möglich sein, die Formel für eine Assoziationsreihe aufzustellen«, wiederholte Lachner, »außer Herr ...«, hier nannte er den Namen des Langhalsigen, »wird es gelingen, die Germanistik zu einer naturwissenschaftlichen Disziplin zu entwickeln.« Ein Raunen ging reihum, und manche schauten sich nach dem Langhalsigen um, der aufrecht dasaß. Hier wußte jeder, daß derselbe dieses hohe Ziel anstrebte und auf den Schriftsteller Rapp herabsah, der nur deshalb ins Seminar kam, weil er die Studenten um ihre Jugend beneidete; jedenfalls meinte der Langhalsige, daß dem so sei.

Hernach erschien ein frisches Mädchen und stellte sich neben den mit dem langen Hals. Sie war dessen Frau, arbeitete in der Verwaltung der Hochschule, und der Langhalsige, der in seinem hochgeschlossenen schwarzen Pullover so aussah, wie sich Eugen einen Sektenprediger vorstellte, sagte von ihr, sie schlafe bereits nach den ersten Wörtern eines Gedichtes der konkreten Poesie ein.   - Hermann Lenz, Seltsamer Abschied. Frankfurt am Main 1990

 

Poesie

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme