Konfessionsvergleich    »Jetzt wollen wir die Sache einmal von der anderen Seite betrachten.«  sagte der Doktor. »Nehmen wir die lutherische oder protestantische Kirche auf der einen, die katholische auf der anderen Sehe. Die katholische ist das Mädchen, welches wir so lieben, daß es uns belügen darf, die protestantische das Mädchen, welches uns so liebt, daß wir sie belügen und ihr manches einreden können, was wir gar nicht empfinden. Luther - und ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe, wenn ich es so sage - war ein solch unflätiger alter Bock, wie nur je einer das Stroh des eigenen Stalls getrampelt hat. Die >Ablaß<-Kasse für das gesamte Sündenregister der Leute war ihm einfach aus der Hand gerissen worden, und damals belief sich das immerhin auf etwa die Hälfte all ihrer Habe: das war es also, worüber der alte Mönch aus Wittenberg hatte disponieren wollen, und zwar auf die ihm eigene Weise! Versteht sich, daß er schließlich rabiat wurde. Er schimpfte wie ein Affe im Baum und löste etwas aus, was er niemals beabsichtigt hatte (so zumindest sollte man der Schrift auf seiner Seite des Frühstückstisches entnehmen dürfen): einen obszönen Größenwahn, und wenn der auch etwas Unheimliches ist, etwas Wildes und Verheerendes, so müßte er doch als etwas Reines, Klares und Großes über uns kommen - oder überhaupt nicht. Was hören wir in der protestantischen Kirche? Worte eines Mannes, den man seiner Beredtheit wegen erwählt hat; aber - wohlgemerkt! -zu beredt darf er nicht sein, sonst befördert ihn ein Tritt in den Hintern von der Kanzel herab. Man fürchtet, er könnte zuguterletzt seine goldene Zunge politischen Zwek-ken widmen. Denn eine goldene Zunge ist niemals zufrieden, bis sie nicht über dem Schicksal einer Nation wedelt, und das zu wissen - so klug ist die Kirche auch.

Aber wenden Sie sich zur katholischen Kirche: gehen Sie zur Messe, ganz gleichgültig wann - und was finden Sie vor? Etwas, was Ihnen schon im Blute Hegt. Sie kennen die Geschichte bereits, die der Priester erzählt, während .er von einer Seite des Altars Zur anderen wandelt, sei er nun Kardinal, Leo der Zehnte, oder ein x-beliebiger armer Sünder aus Sizilien, der darauf gekommen ist, daß peccare fortiter unter seiner Ziegenherde die Seele nicht so recht erheben will, und der - Gott weiß es! - eigentlich schon von Anbeginn so ein rechtes Kind Gottes gewesen ist -es ist alles eins. Und warum? Weil Sie dasitzen mit Ihren eigenen Meditationen und dazu mit einer Legende - sie knabbert an der Frucht wie der Zaunkönig pickt - und diese beiden Dinge mit dem heiligen Löffel mischen, den diese Geschichte verkörpert; Sie können sich aber auch zum Beichtstuhl begeben, wo Sie in klangvoller Prosa, ohne Zerknirschung (wenn es sein muß), von dem Zustand der knotigen, verworrenen Seele sprechen können; wo man Ihnen in gotischen Echos antwortet, prompt und gegenseitig; wo man Ihrem Lebewohl« mit >Heil Dir!< begegnet. Unheil entwirrt sich, und die edle hohe Hand des Himmels bietet die Strähnen aufs neue an, glattgestriegelt und vergeben. Das eine Gebäude«, fuhr er fort, »ist hart, so hart zu ertragen wie endloses Geschwätz; das andere ist zart wie Ziegenlende; den Menschen trifft keinerlei Schuld - lieben kann man keinen.«   - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)

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