omödiant  Der Beamte schnaufte: »Sie glauben also, Herr Doktor, daß man meine Verdienste wieder übergehen wird?« »Ja, das ist anzunehmen.« - Kafka setzte sich zum Schreibtisch. - »Der Vorstand wird doch nicht seine eigene Bedeutung herabsetzen! Das wäre doch unsinnig.« S. wurde rot im Gesicht. »Das ist eine Schweinerei! So eine Ungerechtigkeit. Man sollte hier die ganze Bude in die Luft sprengen!«

Darauf machte Dr. Kafka einen Katzenbuckel, sah S. besorgt von unten an und meinte leise: »Sie wollen doch nicht die Quelle Ihres Einkommens zuschütten! Oder doch?« »Nein«, entgegnete darauf S. entschuldigend. »Ich meinte es nicht so. Sie kennen mich ja, Herr Doktor. Ich bin ein ganz harmloser Mensch, doch diese Reorganisation, diese ständige Unsicherheit hier in dem Laden, geht mir schon an die Galle. Ich mußte mir Luft machen. Was ich hier sagte, waren nur Worte

Doch da unterbrach ihn Kafka: »Das ist eben das Gefährliche. Worte sind Wegbereiter kommender Taten, Funken kommender Feuersbrünste!«

»So war es nicht gemeint«, beteuerte der erschrockene Beamte.

»Das sagen Sie«, entgegnete lächelnd Kafka. »Doch wissen Sie, wie die Dinge eigentlich aussehen? Vielleicht sitzen wir schon auf einem Pulverfaß, das Ihren Wunsch in die Tat umsetzt.«

»Das kann ich nicht glauben.«

»Warum nicht? Schauen Sie zum Fenster hinaus! Da marschiert schon der Sprengstoff, der unsere Unfallversicherung und alle anderen Einrichtungen ringsherum in die Luft sprengen wird.«

Der Beamte faltete seine kurzen Wurstfinger vor dem Kinn. -»Sie übertreiben, Herr Doktor. Die Straße ist keine Gefahr. Der Staat ist stark.«

»Ja«, nickte Kafka, »seine Kraft stützt sich auf die Trägheit und das Ruhebedürfnis der Leute. Doch was geschieht, wenn wir sie nicht mehr befriedigen können? Dann kann sich Ihr heutiges Schimpfen in eine allgemein gültige Abwertungsnorm verwandeln, denn Worte sind Zauberformeln. Die lassen in den Gehirnen Fingerabdrücke zurück, die sich im Handumdrehen in Fußspuren der Geschichte verwandeln können. Man muß auf jedes Wort aufpassen.« »Ja, da haben Sie recht, Herr Doktor, da haben Sie recht«, sagte S. ganz verdattert und empfahl sich. Als die Tür hinter ihm zuklappte, lachte ich. Doktor Kafka warf mir einen pfeilscharfen Blick zu. »Warum lachen Sie?«

»Der arme Kerl war schrecklich komisch. Er hat Sie überhaupt nicht verstanden.«

»Wenn ein Mensch den anderen nicht versteht, dann ist er nicht schrecklich komisch, sondern isoliert, arm und verlassen.«

Ich versuchte mich zu verteidigen: »Sie machten doch Spaß!« Doch Doktor Kafka machte eine langsame, verneinende Kopfbewegung.

»Nein! Das, was ich S. gesagt habe, war durchaus ernst gemeint. In der ganzen Welt geistern heute Reorganisationsträume. Da kann verschiedenes geschehen. Verstehen Sie mich?«

»Ja«, sagte ich leise und spürte, wie mir das Blut warm ins Gesicht stieg. »Ich bin gefühllos und dumm. Verzeihen Sie mir.«

Doktor Kafka ließ jedoch - den Kopf zurückwerfend - nur ein leises Kichern vernehmen. Dann sagte er begütigend: »Nun sind Sie aber - um Ihre Worte zu gebrauchen - schrecklich komisch.«  - Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Frankfurt am Main 1981 (Fischer Tb. 5093, zuerst 1954)

Komödiant (2)  Meaulnes guckte vorsichtig zwischen den Bettvorhängen hervor.

Der Mann, der anscheinend hier zu befehlen hatte, war wohlbeleibt, barhaupt und in einen Mantel gehüllt, der ihm viel zu groß war. In der Hand trug er eine lange Stange, vollbehängt mit buntfarbigen Laternen, und schaute gelassen und friedsam zu, ein Bein über das andere geschlagen, wie sein Gefährte arbeitete.

Was den Komödianten angeht, so war er schon der kläglichste Jammerlappen, den man sich überhaupt vorstellen kann. Er war lang aufgeschossen und brandmager, alles schlotterte an ihm. Seine graugrünen Schielaugen und sein niederhängender Schnauzbart gemahnten unwillkürlich an das Gesicht eines Ertrunkenen, von dem es auf den Steinboden tropft. Er war hemdsärmlig, und seine spärlichen Zähne klapperten gegeneinander. In allem, was er sagte und tat, in allen seinen Gebärden, legte er die denkbar größte Nichtachtung gegen seine eigene Person an den Tag.

Eine Weile später, nach bitterem und zugleich lächerlichem Brüten, trat er zu seinem Partner und raunte ihm ins Ohr, während er beide Arme weit ausbreitete:

»Soll ich dir etwas sagen?... Ich kann es einfach nicht begreifen, daß man zwei so widerwärtige Kerle wie uns beide zur Bedienung an einem solchen Fest hergeholt hat! So, da hast du's, mein Junge!...«

Der Dicke aber achtete überhaupt nicht auf diesen Herzenserguß, sondern sah ihm weiterhin mit übergeschlagenen Beinen bei der Arbeit zu. Er gähnte, zog gemütlich die Nase hoch, drehte ihm dann den Rücken zu und watschelte mit seiner Stange über der Schulter hinaus. - Henri Alain-Fournier, Der große Meaulnes. Zürich 2003 (zuerst 1913)

Komödiant (3)  Alle  zitierten Erzählungen entsprechen ohne Zweifel der Darstellung, die wir in The Philosophy of Composition gelesen haben; wir haben daher das Recht zu erklären, der Verfasser von Berenice und Der Untergang des Hauses Usher war, während er seine Meisterwerke ausklügelte und niederschrieb, ein Komödiant. So ist es. Indem, er aber als Komödiant agierte, trat er in Berührung zu einer verbalen Welt und wurde seinerseits von den Worten berührt; daher war er nicht nur der Komödiant, der den Leser einfing, sondern auch der Komödiant seiner selbst. Ich bin fest überzeugt, daß ihm auf irgendeine Weise dieser Doppelsinn in der Aufgabe des Komödianten völlig bewußt war; und es ist wesentlich, daß es so war, denn das Komödianten-tum diente nicht allein dazu, den Leser >anzuschwindeln< - und zu erleuchten -, sondern auch zum Schutz des Autors, der sich auf eine äußerste verbale Erfahrung eingelassen hatte; das Komödian-tentum funktionierte wie die Rhetorik - und die gesamte Rhetorik ist ja komödiantisch -, deren unerläßliche Aufgabe es ist, denjenigen zu behüten, der die Niederfahrt zu den Unterirdischen, das Gespräch mit dem Schatten, Schizophrenie der Literatur wagt. Die Riten dienen nicht allein dazu, den Gläubigen, wenn es welche gibt, etwas vorzumachen, noch allein die Dämonen heraufzubeschwören, sondern auch dazu, dem Zelebrierenden selbst festen Halt zu geben in dem zerbrechlichen und machtvollen Vorhaben, das ihn bei der grausigen Zwiesprache retten soll - ihn nachher aber nicht auf jeden Fall und nicht notwendigerweise weiterrettet.

Als Komödiant seiner selbst gelingt es Poe, in das beklemmende und leuchtende Reich vorzudringen, in dem Grauen und Schönheit die Welt regieren und dechiffrieren - eine Welt, die alles andere als von dieser Welt ist. Nicht alle Komödianten haben Visionen, aber wehe dem Nicht-Komödianten, der eine Vision wagt. Poe kann in seinen ewigen Maelström hinabsteigen und auf dessen Grund an den glatten Wänden des Strudels erleben, was man nicht erleben kann. Er selbst ist auch der Mann, der in einer Schreckensnacht schlohweiß geworden ist und der weiß, daß er nicht erzählen kann, was er erlebt hat, sondern nur in die Tat umsetzen, was er gelernt hat, den Zauber selbst ausführen, damit ein anderer dasselbe erleben, ein anderer zu dem Ort vordringen kann, an dem die Worte auf die Weise wirken, wie er es entdeckt hat.

Der verbale Tod ist also in erster Linie die Aufgabe junger Frauen von seltener Schönheit; damit erreicht Poe, daß sich in seiner Sprache das Thema der Liebe von der Welt des Todes nicht unterscheiden läßt. Der Komödiant aber, der sich selbst etwas vorspielt, ist versucht, noch weiter zu gehen: Die Begegnung von Liebe und Tod läßt nicht nur dem Schmerz >des trauernden Liebhabers< freien Lauf, sondern auch dem Grauen. Berenice und Lady Madeline sind, da es sich ja urn vermeintliche Verstorbene handelt, Beispiele extremer Passivität; sie haben die mitwirkende Ergebung von Leichen, aber gleichzeitig die Macht zukünftiger Gespenster. Rerenice wird in Stücke gerissen - das erlesene Grauen des denkenden Elfenbeins, die Zähne -, Lady Madeline wird von ihrem Bruder, der weiß, daß sie noch lebendig ist, im Grab liegengelassen, damit sie dann selbst herauskommt und ihn tötet. - Giorgio Manganelli, Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985

Komödie 
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
LustigmacherTäuschung
Synonyme