ommentator  Daß der Kommentator zumeist, vielleicht immer, im Besitz körperlicher Materie sei, kann nicht angezweifelt werden: wir werden uns jedenfalls darauf beschränken über solche zu reden, die zumindest die wesentlichen Glieder besitzen. Mehr aber als der Körper wird ihre Art, ihn zu benützen überraschen: jenes vogelhafte Verflattern der Arme, die hypermetrischen Hände, das magere und verrottete Haar, die mürben Fingernägel, der überschüssige Speichel, die natürliche Anziehungskraft auf Parasiten, die seine Körpereinbuchtungen ausstrahlen. Der Dissonanz dieser Glieder entspringt etwas Einschüchterndes, gemischt aus einer Art Bedrohlichkeit streunender Hunde, Mönchsruchlosigkeit, Besoffenenzärtlichkeit, Gaunersadismus und dem Kult der peremptorischsten Werte von Haus und Sippe. Seine Perversität wetteifert mit seiner Achtung für öffentliche Ordnung; sein Atem stinkt nach schimmliger Libido, aber mit diesem Atem durchschnüffelt er die Wiegen der Kinder, für die er eine klare und beschützerische Zuneigung hegt.

Wenn ihr das Wort an ihn richtet, dann wird sein zerstreutes Gedächtnis zuerst die Töne auffassen, dann die einzelnen Worte und wird schließlich, nicht ohne Stutzen, die Präpositionen hinunterschlucken; und ihr werdet ihn den Kopf seitwärts drehen sehen, wie ein Schwerhöriger oder ein Vogel, zitternd von uraltem, abstoßendem Hunger, der ein Verbenwürmchen, das fleißige Insekt eines flüchtigen Adjektivs aufpickt. Er ist ein Sklave, ein Fetischist auch des bescheidensten Lautworts. Oh, wenn der Kommentator seine zu jeder vitalen Aufgabe ungeeigneten Augen von seiner graphischen Tollwut abwenden und den Blick auf diese dünkelhafte und feige Anmerkung richten würde, dann schüttelte er gewiß den kindlichen Protest seines Flaums und machte mit seinem Zittern darauf aufmerksam, daß es kein bescheidenes Aussprechen gebe und daß man solches nicht darbieten könne. Ewig, so würde er sagen, und grauenvoll unzerstörbar seien jene; und indem er listig das Greifohr reckt, die Brauen runzelt und euch Schweigen gebietet, würde er euch zeigen, wie in halber Höhe Surren und Rascheln, Schnalzen und ähnliche Verkleidungen des Röchelns in der Luft schweben, und würde euch erklären, daß dies archaische, aber unverbrauchte und unverbrauchbare Verben seien, sumerische Bedingungswörter, erz-indoeuropäische Doppellaute, unglückselige Zwillingspaare, die unsere platterdings heiteren Firmamente bevölkern; wenn ihr in Rücksichtnahme auf die entgeisterte Sanftmut seines Blickes, darauf verzichtet, ihn aufzustören oder ihn zum Schweigen zu bringen, wird er fortfahren in der Aufzählung der stöhnenden Phoneme, der ektoplastischen Graphien, der flüchtigen Ideogramme, wird die unaussprechbaren Silben aufzählen, die unermüdlich durch die unwissenden limina coeli streifen; und wird die Welt bezeichnen als gewitteriges, katastrophenhaftes Grammatik-Splitterschutzgehäuse. Indes, wird er hinzufügen mit der rauhen Stimme eines frustrierten Verschwörers, ängstlichen und paralytischen Meuchelmörders, zerstreuten Tyrannenmörders, daß also die nichtwissenden Lebenden ihren beschwerlichen Weg suchen durch die Haufen verrotteter Sprachen, durch den Staub der abgeschiedenen —aber nicht toten — Sammelwerke, welche in die weichen Gekröse der Lungen eindringen bis der Tod eintritt; und Sterben heiße unweigerlich und mit heiterer Fassung diesem Atemraub anheimfallen, den die toten Sprachen ununterbrochen herbeiführen, indem sie dem verzweifelten Spiel huldigen, sich selbst ohne Lippen auszusprechen, als rein grammatikalische Präpositionen, Fragen und Antworten, als erschöpfte, unsterbliche Phono-Vampire. Er wird hinzufügen, daß die Welt ein verlassener und leergeräumter Behälter sei, undurchdringliche Finsternis; und daß, um sie sterblich und sterbensfähig zu machen, man über der abstrakten Härte dieser morgenrotlosen Nacht einen geöffneten Ziegenbalg von Silben, Atemstößen, Gluckern ausgießen müsse, finstere glottal-stops, brüchige Schleierschluchzer. Also: indem man Verben und Adjektive und Interjektionen und Interpunktionen erzeugt, indem die glänzende Luft mit blutenden Unterschriften, Siegeln, Schnörkeln bedeckt und schweigsame Reime fermentiert, gewundene eklesiastische Graphien, sowohl Übergeordnete wie Abhängige entbindet, Herden zusammentreibt und dann Dörfer, dann Metropolen von Kapiteln, Geschwätz und Geschwafel, Predigten, und schließlich das Ganze verbündet zu wortreichem Imperium, das von abschüssigen Hyperbeln strotzt, von metaphorischen Sonnentälchen, stürmischen Verteidigungsreden, ergiebigen Metonomien; wird der tote Uterus des Nichts sich dann mit verbalem Samen befruchten und es werden Föten geboren und bewegt, die aus den gewundenen Schriftschleifen ausbrechen, .... - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)

Kommentator (2)    Ich möchte mich dagegen verwahren, daß schlechtinformierte Leser von laienhafter Einstellung, den Verdacht hegen, es sei meine Absicht, eine Biographie zusammenzustellen: ich unterscheide mich von solcherart Kompositionen durch die methodische, unbegrenzte Erforschung der angrenzenden Territorien und durch die extravagante Wahl der Hauptfigur. Nein: die Biographie umhegt einige Voraussetzungen, stürzt und verläßt sich auf rhetorische Figuren, verlangt obligate Orte, welchselbiges dem akkuraten Kommentator widerstrebt. Vor allem entrüstet ihn die Vortäuschung einer biographischen Fabel: der Autor schlägt einen Helden vor, der - wie immer er sei - kontinuierlich ist; setzt ein geregeltes Muster voraus, dessen Anfang, Richtung, Abschluß er zu kennen vorgibt - so daß das Leben des Helden sich durch die Zeit schlängelt wie ein hellsichtiger und vernunftbegabter Wurm. Der Biograph wählt also, sondert aus, verfügt über Ereignisse, Daten, je nach Wichtigkeit, erklärt, verkürzt, spielt an, ignoriert, überrumpelt, auf daß sein Diskurs mit Gliedern verbunden und, sozusagen, von langer Linie sei.

Für den Kommentator gibt es keinen Helden: die zertrümmerte Materie, die sich unter einem flüchtigen sozialen Signet versammelt, entwickelt und vervielfältigt sich, dies wohl, aber nicht in langer Linie, Daten an Daten reihend, in gefährlicher, geradezu halsbrecherischer Akrobatik, sondern ausstrahlend - und in diesem Prozeß sich ständig auflösend, zu Flecken, Schimmel, Moos, wäßrigen Pilzkreisen ausdehnend; in gebremster Explosion, jahrhundertedauerndem Verflackern, dank derer die Explosionssplitter unendliche örter und Formen berühren und in keinem zur Ruhe kommen. Also: es gibt keinen Anfang und es gibt keinen Schluß, aber es gibt ein unpersönliches Muster; ein Wappen; Entwurf eines künstlichen Körpers, eine bis ins einzelne organische Maschine. Keine wichtigen Ereignisse, keine Daten, keine Wahl: sondern nur Zeichen auf den Mauern, unzulängliche und unsinnige Hinweise, die dennoch strengen Zusammenhang haben; Kritzler, Zufallsworte, obszön, - Anhäufungen unnützer, verlorener, verbrauchter Gegenstände.  - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)

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