ommentar  Sofern die Natur, wie von zuständiger Seite behauptet wird, in irgendeiner Weise die Gestalt des Kommentators in ihre Pläne einbegriffen hat, so bedeutet dies, daß sie selbst Teilhaberin ist an diesem göttlich eingehauchten Impuls, Kommentare herzustellen. Das Problem, ob eine spezifische Kommentierungsbefähigung in der Natur selbst anzunehmen sei, hat die Gelehrten in vielfacher Weise beschäftigt, und es ist notwendig, eine Probe zu geben von den zahlreichen Phantastereien und Schlaumeiereien, die in diesem Zusammenhang gedacht, diskutiert, monologisiert und geschrieben worden sind.

Die seltsamste Theorie, die, falls sie gut begründet ist, das traditionelle Bild vom Wesen des Kommentars radikal umstürzen könnte, wird etwa folgenderweise vorgebracht: Worte, die geschrieben, monologisiert, dialogisiert werden, stellen alle zusammen eines der offensichtlich literarischsten und linguistischsten Mittel dar, um den Bedürfnissen des Kommentators nachzukommen: jedoch nicht das einzige und auch nicht das wichtigste; vielmehr, gesetzt den Fall, daß die weitere Erzeugung von Kommentatoren gänzlich aufhören oder verkümmern sollte, so würden deshalb die Kommentare selbst nicht ausfallen. Sie dauern also weiter: sofern der Text sich einer so täuschenden und aggressiven Erscheinung erfreut, daß er buchstäblich nirgends und überall sein kann, weshalb denn dieser schweigsame Phantomas uns allüberall gegenübertritt, und das gesamte Universum bietet ja Winkelgäßchen für seinen Hinterhalt; woraus folgt, daß der Kontakt mit dem verschiedenartig dialektischen Text, der sich im Kommentar verkörpert, wie immer man ihn auch verstehen mag — als Herausforderung, Provokation, Schmähung, Umarmung, Marketender-Beischlaf, verliebtes Gefummel, dialektische Ehrabschneiderei, chirurgisches Sondieren — sich überall herstellt und nicht nur dort, wo der Kommentator es sich aussucht, vorschlägt und sich zum Kontakt bereitmacht, Und sie pochen darauf: der Leib des Menschen ist angefüllt mit Höhlen, Kavernen, Einbuchtungen, Auswüchsen und Dickichten; und durch die Schenkelsäulen, die Kniekuppeln, die Lendenebenen, die Ohrspitzen, die nachdenklichen Photosphären der Augen, ist dieser Leib, diese Fleischmaschine, dieser Haut-und Knochen-Temenos, dieses behaarte Chartres über und über bekritzelt mit winzigen, larvenhaften aber unbezweifelbaren Schriftzeichen. Muß man das geometrische Monologisieren der Handflächen erwähnen, das gelehrte Kryptogramm der Runzeln, die Echo-Haine der Fettbrust, die Aufteilungen der Hinterbacken, die spermatischen Ethymologien, abgesehen von der lückenhaften Elfenbeinkette des Mundes, zwischen die sich die Fleischhalbinsel drängt, eingetunkt in einen abgestandenen Speichel von Bedeutungen? Ist daher nicht vielleicht unser Leib Indiz, Warnung, Zeichen, vielleicht von Gott zusammengestellter Brief; sind wir vielleicht nicht Botschaften mit Eigenantrieb, Räumungs-Telegramme, schmerbäuchige Episteln, blutige Predigten, psychologisierte Liebesbriefchen, vagabundierende Visitenkarten, nächtliche Lichtpausen? Und was bedeutet dies unser Geschriebensein anderes als eine geniale Publikationsform eines lebendigen und lebhaften Kommentars? Und da ein jeglicher von uns ganz geschrieben ist, könnte jeder Leib, in Leder gebunden, sich als Einzelband eines großen Werkes vorstellen, oder doch als farbige Wochenheftlieferung einer Universal-Enzyklopädie; unser geselliges Zusammenrotten käme dann aus Impulsen unserer graphischen Körper auf eine Anordnung zu, in der, wenn auch nur für kurze Augenblicke, die Gegenüberstellung der Todgeweihten einen flüchtigen aber feierlichen Aphorismus schriebe, oder vielleicht Kapitel oder Buch, dessen wir, die Träger, uns gänzlich unbewußt sind, wenngleich manche den Verdacht hegen, daß dies Buch nicht weniger inexistent als sinnvoll sei.  - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)

Kommentar (2)  Bild und Sprache  sind Komplizen. Wenn es so anstachelt, in einem Spiegel auf den Zentimeter genau zu messen, wie viel Fleisch sein eigenes Fleisch aufnehmen kann, dann weil der Anblick auch als Vorwand für Kommentare dient. »Hoppla! Wie schön er gleitet! Wie weit er hineingeht!« - »Warte, ich lasse ihn noch draußen, damit du ihn besser sehen kannst, ich stopfe dich nachher...« Jacques und ich führen gerne einen Dialog, der sich durch Sachlichkeit auszeichnet. Wenn das Vokabular obszön und begrenzt ist, dann weniger um einander aufzugellen und uns gegenseitig an Obszönitäten zu übertreffen, sondern weil wir exakt sein wollen bei der Beschreibung. »Spürst du, wie nass sie ist? Mir läuft es schön an den Schenkeln runter, und die kleine Klit ist ganz geschwollen.« - »Dieser Arsch, wie schön er zappelt! Er will den Schwanz, was? Ja, er will ihn!« - »Ja, aber davor will ich noch die Eichel an meiner Klit spüren. Soll ich sie auf der Klit reiben?« - »Ja, und dann stopfe ich dir den Arsch!« - Das tut gut... Und dir? Tut es deinem Schwanz gut?« - »Ja, das tut ihm gut.« - »Ziehen sich auch deine Eier zusammen?« - »Ja, das zieht gut an den Eiern. O ja! Aber ich ramme ihn dir noch mal richtig in den Arsch!« Dieser Dialog geht in gleich bleibend ruhigem Ton weiter, sogar wenn wir uns dem Ende nähern. Da wir nicht immer zur gleichen Zeit dasselbe sehen und fühlen, sprechen wir miteinander, um in gewisser Weise unsere jeweiligen Informationen zu vervollständigen, ähnlich wie zwei Synchronisten, die auf dem Bildschirm die Handlungen der Personen sehen, denen sie ihre Stimme geben: Wir lösen durch unsere Worte die Protagonisten in einem Porno ab, der vor unseren Augen läuft, und diese Protagonisten sind Arsch, Möse, Eier und Schwanz.  - Catherine Millet, Das sexuelle Leben der Catherine M. München 2001
 
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