olonist Der
Admiral Bragueton kam kaum vom Fleck, er schleppte sich nur schnurrend
von einer Dünung zur andern. Das war keine Reise mehr, nur noch eine Art von
Krankheit. Wenn ich sie so aus meinem Winkel beobachtete, schien es mir, daß
die Teilnehmer an den morgendlichen Konzilien auch schon alle ganz hübsch mitgenommen
waren. Es waren Malariakranke, Säufer und vor allem zweifellos fast lauter Syphilitiker
dabei. Auf zehn Schritte Entfernung sah man ihnen den Verfall
an, und das tröstete mich ein wenig über meine speziellen Leiden. Schließlich
und endlich waren diese Bramarbasse nichts andres als Gestrandete wie ich ...
Sie trumpften auf, das war der ganze Unterschied! Die Moskitos hatten sich schon
die Mühe genommen, sie anzuzapfen und ihnen die Gifte in die Adern zu spritzen,
die nie mehr zur Ruhe kommen lassen... Die Syphilisbakterien zerfeilten ihnen
jetzt schon die Arterien... Der Alkohol fraß an der Leber ... Und die Tropensonne
an den Nieren ... Filzläuse klebten ihnen in den Haaren
und Ekzeme auf der Haut am Bauch... Und das sengende
Licht würde ihnen schließlich die Netzhaut zerstören. Was würde in kurzer Zeit
von ihnen übrigbleiben? Etwas Gehirn ... Und was fing
man an ihren Bestimmungsorten damit an? Dort konnte ein Gehirn sie zu nichts
anderem führen als zum Selbstmord ... Man kann sagen, was man will, es ist kein
Spaß, in Ländern alt zu werden, wo nichts los ist... Wo man sich nur in einem
Spiegel, der immer trüber wird, immer garstiger werden, immer mehr verfallen
sieht... In den Wäldern fault alles schnell, besonders wenn es grausam heiß
ist.
Die Kälte konserviert einem wenigstens das Fleisch. Die Nordländer sind blaß,
und dabei bleibt es. Zwischen einem toten Schweden und einem unausgeschlafenen
Jüngling ist kein großer Unterschied. Aber der Kolonist ist schon am Tag nach
seiner Ankunft voller Leichenwürmer... Dieses fleißige Gewürm hat ihn die ganze
Zeit erwartet und läßt erst sehr weit jenseits des Lebens wieder von ihm. Larvensäcke
sind wir. - (
reise
)
Kolonisten (2) Der Kapitän verhöhnte sie, ob sie auf eigene Faust das Goldland hätten finden wollen. Sie machten kehrt nach dem Gebirge zu. Man wollte die verfluchten Flußebenen mit ihren Sümpfen, Schlangen und Krokodilen umgehen und durch die Gebirgstäler nach Norden marschieren. Darauf ist die Truppe zurückmarschiert und -gerudert. Sie gingen in die Flüsse, kein Krokodil war zu sehen, aber plötzlich schrie der Schwimmer grauenhaft, herzzerreißend auf, und schon versank er, und wenn man ihm im Boot zu Hilfe kam und ihn herauszog, so hatte man statt eines Menschen ein Skelett in den Händen, und an ihm hingen kleine Fische, die zu Tausenden im Wasser wimmelten und nach dem Fleisch schnappten. Das Blut wallte rot im Wasser. Was man herauszog und noch den Mund weit aufriß und die Hände gegen die ausgefressene Brust krampfte, war ein Toter.
Sie sahen große Käfer fliegen, ähnlich Schaben, manchmal saßen ihnen dicke
Spinnen auf dem Rücken, der Käfer flog geängstigt auf ein Kraut, saß, die Spinne
ließ nicht los, schwoll an, und nun war der Käfer nur noch ein Gehäuse. Vor
den Mückenschwärmen half keine Decke. Sie stiegen, wo sie konnten, an Land,
gruben sich in Sand und Schlamm ein, ließen nur den Kopf frei. Sie waren fünfzig
kräftige Menschen gewesen, die vom Gebirge herunterstiegen, zwanzig kehrten
welk aus der grünen Hölle zurück. - Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie.
Bd.1, Land ohne Tod. München 1991
Kolonisten (3) Jedes Weibchen hat fünf oder sechs Gatten, die es zuweilen auf seinem Fluge mitschleppt. Sie warten ab, bis sie an die Reihe kommen, dann stürzen sie zu Boden und sterben einige Stunden später. Die befruchtete Gattin steigt nieder, sucht sich eine Unterkunft im Gras, hakt ihre vier Flügel los, die zu ihren Füßen herabgleiten wie das Brautkleid am Ende des Festes, bürstet ihr Brustschild und beginnt sich einzugraben, um sich in einer unterirdischen Kammer zu verschließen. Dort versucht sie dann eine neue Kolonie zu gründen.
Diese Gründung nun zerschlägt sich sehr häufig und ist eine der tragischsten und heldenhaftesten Episoden des Insektenlebens.
Sie, die womöglich die Mutter eines zahllosen Volkes wird, wühlt sich also in die Erde ein und baut sich ein enges Gefängnis. Sie besitzt außer den Lebensmitteln in ihrer Bauchtasche nichts, das heißt, sie verfugt über einen kleinen Vorrat Honigtau, ihr Fleisch und ihre Muskeln (vor allem die mächtigen Muskeln ihrer geopferten Flügel), die sie vollständig aufzehrt. Nichts dringt in ihr Grab, bis auf etwas Feuchtigkeit, die vom Regen und vermuteten, aber noch nicht erwiesenen Ausdünstungen herrührt. Geduldig wartet sie, daß das geheimnisvolle Werk sich erfülle. Endlich treten einige Eier aus. Und dann schlüpft aus dem einen eine Larve, die ihren Kokon webt; neue Eier werden gelegt, und zwei oder drei weitere Larven kriechen daraus hervor. Wer ernährt sie? Es kann nur die Mutter sein, da die Brutzelle vollständig abgedichtet ist und außer Feuchtigkeit nichts durchläßt. Fünf, sechs Monate mögen vergangen sein, seit die Ameise sich eingegraben hat: jetzt ist sie am Ende und bloß noch ein Gerippe.
Aber nun beginnt die furchtbare Tragödie. Durch die Ermattung unmittelbar
von einem Tode bedroht, der sofort auch die ganze Nachkommenschaft treffen würde,
entschließt sich das Tier, ein bis zwei seiner eigenen Eier zu verzehren. Das
gibt ihm die Kraft, dafür drei bis vier andere zu legen. Oder aber es findet
sich schließlich bereit, eine Larve aufzufressen. Diese Zufuhr ermöglicht es
ihm dann, dank irgendwelcher uns unbekannter ätherischer Stoffe, zwei, auch
drei weitere Larven großzuziehen und zu ernähren. Und so, zwischen Kindstötung
und Gebären, zwischen Gebären und Kindstötung spielt sich das finstere Drama
in annähernd einem Jahre ab. Mit anderen Worten: bei drei Schritten vorwärts
zwei Schritte zurück, freilich mit einem regelmäßigen Sieg über den Tod. Erst
wenn sich zwei oder drei schwächliche, von klein auf schlecht ernährte Arbeiterinnen
entpuppt und die friedvolle oder vielmehr schmerzensreiche Grabkammer durchstoßen
haben, nach draußen gelangt sind und ihrer Mutter die ersten Lebensrnittel holen
-, erst dann ändert sich das Bild. Von dem Augenblick an hört die alte Ameise
auf zu arbeiten, kümmert sich um nichts anderes mehr, sondern besorgt bis an
ihr Ende tagaus, tagein nur noch das Geschäft des Eierlegens. Die heroischen
Zeiten sind vorüber, die lange Hungersnot vorbei, Fülle und Wohlstand herrschen,
das Gefängnis weitet sich und verwandelt sich in eine Stadt, die unter der Erde
von Jahr zu Jahr an Ausdehnung gewinnt; die Natur aber, die hier an dieser Stelle
eines ihrer grausamsten, unerklärlichsten Spiele abgebrochen hat, spielt es
anderswo genau so weiter und läßt uns über den Zweck und Sinn ihres Tuns im
Ungewissen. - (maet)
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |