olonialismus
Sehr beachtenswert erscheint mir das Ergebnis zu sein,
zu dem ein so erfahrener Kollege wie Dr. Sparmann in Bandung bezüglich
der Tropentauglichkeit der »Weißen« gelangte. In einem Vortrage, den er im März
1929 in der freien Vereinigung der Chirurgen Wiens hielt, sagte er (laut Sonderdruck
aus der »Wiener klinischen Wochenschrift« 1929, Nr. 19): »Wir Europäer die aus
Ländern mit gemäßigtem Klima stammen, gehören durchaus nicht in die Tropen,
und kein Europäer kehrt nach längerem - ich meine 15 bis 20 Jahre - Aufenthalt,
ohne Schaden an seiner Gesundheit genommen zu haben, zurück. ... Besonders die
europäischen Frauen, die wenig pigmentierten Frauen mehr als die brünetten,
unterliegen diesem Einflüsse. Einer der Gründe ist wohl der, daß sie infolge
ihrer Stellung als Europäerin gegenüber dem eingeborenen Dienstpersonal in erzwungener
Untätigkeit, selbst im eigenen Haushalt, leben müssen.«
»Es ist mir wiederholt aufgefallen«, fährt Sparmann fort, daß besonders das
innersekretorische Gleichgewicht bei dieser Gruppe von Europäern wesentlich
gestört ist. Besondere Neigung zu exzessiver Fettleibigkeit, geistiger Trägheit
und nicht zuletzt schwerer Dysmenorrhoe mit oft bedrohlichen psychischen Störungen
sind die Folgen. Anders ist es mit den europäischen Kindern, besonders denen,
die in Indien geboren sind und sich in kühlerem Bergklima aufhalten. Diese Kinder
entwickeln sich körperlich ungewöhnlich intensiv, und es ist manchmal zu bemerken,
daß die Geschlechtsreife bei diesen um Jahre früher eintritt als in Europa.«
Sparmann weist auch darauf hin, daß bei den Europäern schon nach ein-
bis zweijährigem Aufenthalt in den Tropen die Bildung von Blasen- und Nierensteinen
»so ungeheuerlich häufig ist«. - Magnus Hirschfeld, Weltreise eines Sexualforschers
im Jahre 1931/32. Frankfurt 2006 (zuerst 1933)
Kolonialismus (2) Einmal,
erinnere ich mich, begegneten wir einem Kriegsschiff, das vor der Küste
ankerte. Nicht einmal ein Schuppen stand dort, doch es feuerte gleichwohl
in den Busch. Anscheinend führten die Franzosen
dort herum Krieg. Die Flagge des Kriegsschiffes hing schlaff wie ein Lappen
herunter; die Mündungen der langen Sechs-Zoll-Geschütze ragten über dem
niedrigen. Schiffsrumpf auf; die fettige, schlickige Dünung wiegte das
Schiff träge auf und ab und brachte seine schlanken Masten in schwingende
Bewegung. In der leeren Unermeßlichkeit von Erde, Himmel und Wasser feuerte
es sinnlos in einen Kontinent. Wums - eines der Sechs-Zoll-Geschütze krachte;
eine kleine Stichflamme schoß aus der Mündung und erlosch; ein weißes Rauchwölkchen
verzog sich; ein winziges Geschoß verursachte ein leise jaulendes Geräusch
- und nichts geschah. Nichts konnte geschehen. Dem Beginnen haftete eine
Spur von Irrsinn, dem Anblick eine jämmerliche Komik an. - Joseph
Conrad, Herz der Finsternis. Frankfurt am Main 1968
Kolonialismus (3) Manche konstatierten, nicht ohne antiwissenschaftlichen Groll, daß man
den Toten als hartnäckigen Rebellen und rückfälligen Aufsässigen alles nur mögliche
antun könne; und wenn sie zu diesem Schweigen angehalten seien durch außerirdische
Schergen, sie doch lernen sollten, sich andere Schergen zu suchen; schließlich
und endlich würde unter diesen von einanderentgegengesetzten Terrorarten Zerrissenen
manch einer nachgeben. Und indem man unter diese Wissenschafteleien eine Dosis
pädagogischer Barbarei, die nach Faschismus schmeckt, mischt, gibt manch einer
die halb verrückte und halb dümmliche Parole aus: »Kolonisieren wir die Toten!«
Das sind Leute, die die Toten unter ihre Botmäßigkeit zu zwingen hoffen, um
sie zu züchten, zu reglementieren, als Sklaven zu Arbeiten und Aufgaben zu verwenden,
die den leiblichen Menschen versagt sind: zwischenweltliche Spionage, Jahrhundert-Raumfahrten,
Abgrundserforschungen, Laufgräbenerschleichung. Es gibt aber auch manche, die
meinen, daß eine derartige Aggression der Verstorbenen, indem sie bei jenen
Verteidigungshandlungen hervorrufen und sie vielleicht sogar zwingen, sich zu
organisieren, einer universalen Dialektik zwischen Welt und Überwelt den Auftakt
gibt, die zu einer allseiti-gen Erneuerung führen muß; weshalb man denn auf
eine
beginnende Enttheokratisierung der Räume hoffen kann, mit Wahlversammlungen
und Abstimmungen, mit Debatten ohne gegenseitige Vorbehalte und abschließende
gemeinsame Beschlüsse. Und vielleicht, so meint der unbekehrbare Ideologe,
der phantastische Prophet der Umwälzung, wird dann der Endtag anbrechen, an
welchem der Senat der Lebenden und der Toten vereint über eine gemeinsame Tagesordnung
abstimmen und damit den PRÄSIDENTEN DER UNSTERBLICHEN in die Minderheit versetzen
wird. - Giorgio Manganelli, Diskurs über
die Schwierigkeit, mit den Toten zu sprechen. In: G. M., An künftige Götter.
Sechs Geschichten. Berlin 1983 (zuerst 1972)
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