ollegium (männlich)   Es war Mr. Rice, der  die Konversation eröffnete.

Dies war im Lehrerzimmer nichts Außergewöhnliches. Mit angestrengter Höflichkeit, aus der Herablassung offensichtlich sorgfältig, wenn auch mit Mühe verdrängt wurde, adressierte Mr. Rice seine Bemerkung an die Allgemeinheit, so als wolle er zeigen, daß es für ihn keinerlei Standesunterschied zwischen ihm und seinen Kollegen gäbe, auch wenn sie sich dessen durchaus bewußt sein mochten. Im Augenblick jedenfalls standen sie alle auf gleicher Stufe. Denn Mr. Rice, vierundzwanzig Jahre alt, von denen er nur zwei davon außerhalb von Cambridge verbracht hatte, mit einer ausgesprochenen Schwäche für Kricket und einer weniger ausgeprägten für das Schwimmen, hatte noch nie ein Hehl daraus gemacht, daß die paar Jahre, die er in Roland House verbrachte, für ihn nur eine Übergangslösung waren, während er auf die freie Stelle wartete, die ihm an seiner eigenen, bedeutenden Schule versprochen worden war.

»Mit Yorkshire geht es bergab, sehe ich«, bemerkte Mr. Rice freundlich und richtete sich dabei an die Kollegen. »Ziemlich böse Sache.«

Mr. Parker, der Mr. Rice nicht ausstehen konnte, verbarg sich hinter seiner Zeitung und sagte nichts.

Mr. Duff wand seinen kleinen Kopf über den Rand seiner ›Morning Post‹. Er ähnelte einer Schildkröte mit Zwicker und lächelte.

»Wirklich?« sagte er strahlend. Dann fiel ihm ein, daß der Niedergang von Yorkshire kein Anlaß zum Strahlen, sondern vielmehr wirklich eine schlimme Sache war und versuchte, besorgt dreinzuschauen. »Wirklich?« sagte er.

»Tatsache«, versicherte Mr. Rice.

Mr. Duff gab einen kleinen Laut von sich, der als Ausdruck der Ungehaltenheit, der Enttäuschung, des Abscheus, des Ärgers oder sonst irgend etwas gedeutet werden konnte, was Mr. Rice zusagte. Dann blinzelte er rasch und zog dann den Kopf wieder in den Panzer seiner ›Morning Post‹ zurück.

»Es sieht so aus, als hätten sie zu Beginn der Saison ganz schön zu kämpfen«, fügte Mr. Rice hinzu, und Mr. Dufts kleiner, ziemlich kahler Schädel schoß wieder heraus, um heftig zu nicken. Die Tatsache, daß Mr. Duff schon seit mindestens fünfzehn Jahren keine Krickett-Seite irgendeiner britischen Zeitung auch nur eines Blickes gewürdigt hatte, und daß Mr. Rice diesen Charakterfehler kannte, hinderte nicht daran, daß der Gedankenaustausch in herzlichen Bahnen verlief.

Mr. Parker versteckte sich weiterhin wie der Hase in der Fabel und sagte nichts. Anders aber als dieser Hase stieß er eine kräftige Rauchwolke durch seinen struppigen Bart nach oben.

Dies war bei Mr. Parker keineswegs ein ungewöhnliches Phänomen. Doch in diesem Fall war die Rauchwolke kräftiger als gewöhnlich, und Mr. Duff interpretierte sie sofort in der für ihn charakteristischen Weise. Diesmal lag er sogar völlig richtig: Es war ein wortloser Kommentar zu seinem Verhalten. Sein schmales, bläßliches Gesicht rötete sich ein wenig und verschwand wieder im Panzer. Wenn Mr. Duff fähig gewesen wäre, jemanden nicht zu mögen, so wäre es Mr. Parker gewesen. - Anthony Berkeley, Der Kellermord. München 1979 (zuerst 1932)

Kollegium (weiblich)  Leila Jevons gehörte zu den Frauen, die niemals etwas für sich behalten können. Was sie auch immer erfuhr, es sickerte durch ihren Mund wieder nach außen. Gerade hatte sie ihren beiden atemlosen Zuhörerinnen zum drittenmal die Geschichte vom höchst sonderbaren Benehmen des Mr. Harrison erzählt. Es war eine gute Geschichte, und sie wurde bei jeder Wiederholung noch besser.

»Wie schrecklich für Sie, meine Liebe«, sagte Miß Waterhouse mit großen Augen.

»Ich mußte ihn gewähren lassen, das verstehen Sie doch«, erklärte Miß Jevons und fühlte dabei ein wohltuend prickelndes, ma-sochistisches Kitzeln, »sonst hätte er mich wahrscheinlich gefeuert. Ich mache jede Wette, daß Amy sich alle Mühe gegeben hat, ihn gegen mich aufzubringen. Der Teufel hole sie. Und alles wegen so ein paar armseliger Unterhosen.«

»Ich hätte nie gedacht, daß Mr. Harrison zu dieser Sorte gehört«, sagte Miß Waterhouse.

»Hat er bei Ihnen auch schon einmal so etwas versucht?«

»Ich würde es ihm nicht raten«, rief Miß Waterhouse tugendhaft. »Er weiß genau, daß ich keinen verheirateten Mann an mich heranließe.«

Wie jedermann wußte, war Miß Waterhouse eine Pflichtfanatikerin. Ihr Lieblingsausdruck lautete: »Man tut seine Arbeit.« Dabei war sie hübsch genug, nichts dergleichen sein zu müssen.

»Unsinn«, fiel Miß Crimp robust ein. »Sie wissen ganz genau, daß Sie es tun würden, Mary, wenn Sie sicher wären, daß er wirklich Interesse hat. Sie sind sexuell verklemmt, genauso wie unsere guteLeila. Ihr seid doch beide an dem Punkt, wo ihr dem ersten besten Mann in die Arme fallt, wenn er sie nur öffnet, gleichviel, ob er verheiratet ist oder nicht.«

Als Tochter eines Künstlers kultivierte Miß Crimp eine gesunde, wenn auch übertriebene Ungezwungenheit. Ihr Lieblingsausdruck lautete: »Sexuell verklemmt.«

Leila Jevons murmelte einen schwachen Protest, Mary Waterhouse dagegen lächelte tolerant.

»Erzählen Sie das bloß nicht dem guten Duff, Leila«, fügte Miß Crimp mit einem leichten Blinzeln hinzu. »Wir wollen nicht, daß es ihretwegen zu Blutvergießen kommt.«

»Elsa, reden Sie doch nicht so absurdes Zeug«, rief Miß Jevons und wurde zur Freude ihrer beiden Gesprächspartnerinnen knallrot im Gesicht.

»Hat er... schon?« fragte Miß Waterhouse interessiert.

»Natürlich hat er nicht.«

Ein kleiner Junge unterbrach dieses vielversprechende Thema. »Frau Vorsteherin, kann ich ein sauberes Taschentuch haben? Mr. Wargrave hat gesagt, ich solle zu Ihnen gehen und mir eins holen.« »Warum hat Mr. Wargrave das gesagt, Wyllie?« »Weil er gesehen hat, wie ich mir die Nase mit einem Rübenblatt geputzt habe. Prima Sache, so ein Rübenblatt, wenn man kein Taschentuch hat.« »Und wo ist das Taschentuch, das du gestern morgen eingesteckt hast?« »Ich weiß es nicht, Frau Vorsteherin. Ich muß es verloren haben. Ich kann es nirgends finden. Ehrenwort! Vielleicht hat ›Old Schnieke‹ es sich unter den Nagel gerissen, um Nora die Tränen abzuwischen, weil sie ihn ja bis zum Schulbeginn nicht mehr sieht.« »Das reicht, Wyllie. Hier ist das Taschentuch. Verlier es nicht wier der.« »Danke, Frau Vorsteherin. Sagen Sie es aber nicht Glotzauge.« »Das reicht, Wyllie!«

»Was ist an dieser Geschichte dran mit Mr. Parker und Nora?« fragte Miß Crimp, noch ehe die Tür ganz geschlossen war. »Ich höre da immer solche Anspielungen.«

»Nur ein dummer Scherz der Buben«, entgegnete Miß Jevons ein wenig abwesend, denn sie fragte sich, wie sie Amy Rechenschaft über das fehlende Taschentuch geben sollte, ohne den Jungen hineinzureiten.

»Ja schon, aber ist da etwas dran?«

»Natürlich nicht«, sagte Miß Waterhouse und schaute an ihrer ziemlich hübschen Nase entlang. »Mr. Parker ist der letzte, der sich mit einem Hausmädchen einlassen würde. Es ist bloß einer von ihren lächerlichen Einfällen. Ich glaube, sie machten das, weil sie Sergeant Turner foppen wollen. Er und Nora sollen irgend etwas miteinander haben.«

»Schnieke und das Hausmädchen«, meditierte Miß Crimp. »Ganz hübscher Titel, findet ihr nicht. Es ist eigentlich schon erstaunlich, mit welchem Geschick die Buben ihre Spitznamen erfinden. ›Schnieke‹, das ist genau der richtige Name für Mr. Parker.«

»Das Ganze ist völlig absurd«, bemerkte Miß Waterhouse streng, »und auch ziemlich garstig.«

»Aber es gibt selten Rauch ohne Feuer«, meinte Miß Crimp hoffnungsvoll.

Miß Waterhouse runzelte in gequälter Weise die Brauen.

»Manchmal bin ich geneigt zu glauben, daß Sie einen ziemlich bösen Charakter haben, Elsa.«

»Nun, das ist aber immer noch besser, als überhaupt keinen Charakter zu haben, meine Liebe«, gab Miß Crimp fast liebevoll zurück. - Anthony Berkeley, Der Kellermord. München 1979 (zuerst 1932)

 

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