- Aus: Der Spiegel, seinerzeit
- Klaus Wagenbach, Nachwort zu:
Didier Daeninckx, Reise eines Menschenfressers nach Paris. Berlin 2001 (zuerst
1998)
Kollateralschaden (3) Der Hunger
trieb sie zu der unnatürlichsten Nahrung; man verzehrte Aas, selbst menschliche
Leichname, ja im Magdeburgischen sollen hie und da Menschen getötet und gegessen
worden sein. Jahrelang aufgehäufter Unrat in den Häusern erzeugte schädliche
Ausdünstungen, durch die die Krankheiten und Seuchen vermehrt wurden, die die
Menschen in Massen dahinrafften, sodaß an manchen Orten die Menschen haufenweise
in große Gruben geworfen wurden. Die Hungersnot war in manchen Gegenden, besonders
Sachsens und Hessens, so groß, daß man Kirchhöfe umwühlte, um Leichname zur
Stillung des Hungers zu bekommen, und da und dort „der Bruder die Leich der
Schwester, die Tochter die der Mutter verzehrte: daß Aeltern ihre Kinder schlachteten,
und ganze Banden sich zusammentha-ten, um Jagd auf Menschen wie auf wilde Tiere
zu machen." Schlimmer noch als diese durch die Not erzeugten unnatürlichen
Greuel waren die Schändlichkeiten, ja Teufeleien, die die durch langjähriges
Kriegshandwerk verwilderten Soldatenhorden an den Bewohnern von Dörfern und
eroberten Städten verübten. Daß viele dieser Unglücklichen lebendig gebraten,
oder verstümmelt, oder sonst auf gräßliche Weise zu Tode gemartert wurden;
daß man ihnen z.B. die Augen ausgestochen, Nasen, Ohren, Arme, Beine, Brüste
abgeschnitten, Schwefel in alle Körperöffnungen gesteckt und angezündet, die
Fußsohlen aufgeschnitten und mit Salz bestreut, Jauche in den Mund bis zum Zerplatzen
geschüttet; daß man Kinder in Stücke gehauen, oder an die Wand geschmettert,
oder gebraten, ganz besonders aber das weibliche Geschlecht auf die unmenschlichste
Weise zu Tode mißhandelt hatte - das sind nur einige wenige Andeutungen von
den gen Himmel schreienden Untaten, die besonders in dem letzten Jahrzehnt dieses
schrecklichen Krieges an der Tagesordnung waren. - (ave)