olibrizunge Ich
schätzte mich glücklich, mit Caïo zu verkehren. Ich konnte ihn nicht mehr missen,
so nützlich war mir dieser unberechenbare, scheinheilige Kerl in einem Land,
wo wirklich alles überschwenglich wucherte, die Gefühle ebenso wie die feindselige
Natur. Hier ist die Freundschaft unrein und bedrohlich, wie die Orchideen,
die wunderschönen Schmarotzerblumen, die Unglück bringen und giftig sind. Im
Gegensatz zu den Nordamerikanerinnen würde keine Brasilianerin sich eine Orchidee
anstecken, und sogar die hirnlosen Kolibris saugen
keinen Honig aus ihr. Die Naturwissenschaftler erklären zwar die oft übermäßige
Größe und erstaunlich absurde Gestalt des Kolibrischnabels mit dem Umstand,
daß die Vögelchen gezwungen seien, ihre Nahrung auf dem Grund der verschroben
ausgekehlten und gezackten Blütenkelche dieser teuflischen Blumen zu schöpfen
und darin zu wühlen - als ob dieser irrationale Schnabel
ein Werkzeug zum Schneiden oder Bohren wäre, ein Stichel, ein Skalpell, eine
Lanzette, eine Zange, während doch der Kolibri seine dehnbare Zunge gebraucht,
um Honig aus den tiefsten Blütenkelchen zu schlürfen; eine auslösbare, klatschende,
schnappende, saugende Zunge; eine Peitsche, eine Sonde, ein Stößel, eine Angelschnur;
ein langer Wurm, der sich windet; ein Detektor, ein Salbölsauger, ein Kitzler;
das vollendetste Vergewaltigungsinstrument, das
man sich vorstellen kann, wirksam und lusterregend, denn man sieht, wie die
Blüten von Fingerhut und Mimosen dahinschmachten und die halbgeschlossenen Orangenblüten
sich öffnen. Der Schnabel hingegen ist ein aus der Praxis entstandenes Webinstrument,
das vor allem dem Nestbau dient und nur ausnahmsweise, bei gewissen fleischfressenden
Arten, mit einer Art Zähnung versehen ist. Diese Kolibri-Arten verwenden aber
auch ihre mit Scharnieren und Sprungfedern versehene Zunge als Fliegenklappe
oder klebriges Lasso, um die Eintagsfliegen im Flug zu erhäschen oder die Spinnen,
die sie als besonderen Leckerbissen betrachten, im Vorbeifliegen wie mit einem
Zahnstocher aus ihrem Netz herauszupicken, ohne es zu zerreißen. Doch all diese
Arten meiden mit sicherem Instinkt und eher insekten- als vogelartigen Reflexen
die Orchideen, wie verlockend auch ihre Farben, Formen und Düfte erscheinen
mögen; vermutlich darum, weil diese phanerogamen Monokotyledonen richtige
Giftbüchsen sind.
-
Blaise Cendrars, Sternbild Eiffelturm. Zürich 1982 (zuerst 1949)
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |