örperfehler Will man sich Dr. Edmund Bickleigh im Alter von siebenunddreißig Jahren vorstellen, dann muß man sich vor allem auf seine Größe konzentrieren. Dr. Bickleighs geringer Wuchs war verantwortlich für fast alles, was er geworden war, seit er bemerkt hatte, daß er nicht weiter wachsen und sein Leben lang zu den meisten Männern und vielen Frauen aufblicken würde. In Schuhen erreichte er einsfünfundsechzig.
Die körperliche Erscheinung spielt eine größere Rolle bei der Formung des Charakters, als im allgemeinen erkannt wird. Ein kleiner Körperfehler, etwa ungewöhnlich große Füße oder ein wenig vorstehende Zähne, genügt vollkommen, eine sonst durchaus ausgeglichene Person in einen nicht nur in diesem Punkte überempfindlichen Menschen zu verwandeln. Kleine Männer sind entweder hochnäsig und anmaßend, was gewöhnlich einen vollkommenen Mangel an Einbildungskraft andeutet, oder sie sind ganz unnötig bescheiden.
In diesen Tagen, da die Erwähnung von Komplexen, Hemmungen und Fixierungen
glatt von den Lippen jedes Laien schlüpft, kann man nicht annehmen, daß Dr.
Bickleigh nicht wußte, was mit ihm los war. Er konnte ebensogut wie jeder andere
einen Minderwertigkeitskomplex diagnostizieren, und dazu noch einen so ausgesprochenen.
Aber Diagnostizieren heißt nicht Heilen. So leicht er auch die Lächerlichkeit
von Minderwertigkeitskomplexen beweisen konnte, fühlte sich Dr. Bickleigh doch
weiterhin unbeholfen in der Gegenwart von Frauen, unbedeutend in der Gegenwart
von Männern und in jeder Hinsicht minderwertig, wenn er einen Fremden kennenlernte.
Nur wenn er allein war, konnte er sich klarmachen, daß er genauso gut war wie
jedermann in dieser Welt und vielleicht noch ein bißchen besser. - Francis Iles, Vorsätzlich.
München o. J. (Goldmann 3059, zuerst 1931)
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