Knochenlosigkeit  Während sie redete, schusserte sie im ganzen Zimmer herum, ließ sich von einem Stuhl auf den anderen fallen, schlug mal das rechte Bein über das linke, mal das linke über das rechte, zupfte sich ihren Slip zurecht, führte mir ihre Anatomie sozusagen auf Raten vor.

Dann erzählte sie mir, sie leide an einer seltenen Krankheit und habe nicht mehr lange zu leben. »Sind nur ganze sechsundzwanzig Fälle bekannt. In ein paar Jahren werd ich mich überhaupt nicht mehr bewegen können. Weißt du, mein Organismus kann kein Kalzium absorbieren, und da lösen sich die Knochen langsam auf. Am Ende werden sie mir die Beine amputieren müssen, und dann die Arme.«

Sie wirkte tatsächlich knochenlos, wie ein Wesen aus der Tiefsee. Sie hatte so ein klebriges Fluidum um sich, aus dem einen kalte Fischaugen ansahen. Ich konnte mir diese Augen richtig vorstellen in einer formlosen qualligen Masse, die sich langsam über den dunklen Meeresboden schlängelt. - (jun)

Knochenlosigkeit  (2)  Valentin le Désossé (Valentin der Knochenlose), war ein gefeierter Akrobat und Tänzer des Pariser Cancan-Milieus.

  Der Sohn eines Rechtsanwaltes ließ sich zunächst als Weinhändler in der rue Coquillière im Hallenviertel nieder, wurde nach einem Enteignungsverfahren Mitarbeiter im Notariat seines Bruders und lebte schließlich von der Vermietung mehrerer Wohnungen (rue de la Motte-Piquet).

  Renaudin war ein leidenschaftlicher Tänzer. Am Tag führte er das Leben eines angesehenen Bürgers, am Abend zog es ihn quer durch Paris in die Tanzsäle von Montparnasse und Montmartre. Zu seinem Vergnügen trat er als Schlangenmann im Tivoli Vauxhall auf und wirkte als „Ballettmeister“ im Valentino im Bal Mabille und im Elysée-Montmartre.

La Goulu und Valentin le Désossé

Im Bal Bullier am Montparnasse schloss er Bekanntschaft mit der über zwanzig Jahre jüngeren Cancan-Tänzerin La Goulue. An ihrer Seite umjubelte ihn das Publikum in dem zur Weltausstellung von 1889 eröffneten Bal du Moulin Rouge. Henri de Toulouse-Lautrec porträtierte das Tanzpaar mehrmals, unter anderem im Jahr 1895 für das berühmte Plakat des Moulin Rouge. Der sehr magere und große Künstler erweckte in seinem schwarzen Gehrock und mit seinem zerbeulten Zylinderhut den Anschein eines ausgehungerten Künstlers, den man wegen seines Äußeren hätte belächeln können. Doch im Moulin-Rouge trugen die Quadrille-Tänzerinnen den inzwischen über 50-Jährigen Abend für Abend triumphierend über die Bühne. - Wikipedia

Knochenlosigkeit  (3)   Nicht weit entfernt von Polar im Bundesstaat Wisconsin wird zur Stunde ein ohne Knochen geborener Siebzehnjähriger in einen Schacht gelassen, um mit Hilfe einer an seinem Kopf befestigten hochsensiblen Infrarotkamera, die ihre Bilder wahlweise in Bombenangriffsgrün oder Nachtüberwachungsblau liefert, herauszufinden, ob es über die Kanalisation einen Zugang zu dem Hauptquartier einer gefährlichen Sekte geben kann. Die Sekte nennt sich, so erfährt man nicht nur durch die Sprecherin, sondern auch auf einer vorbereiteten Tafel übersetzt „Die nackten Zeugen von Armagehdon" (The bare witnesses of Armagehdon). Professorin Rikke lacht auf, denn man hat in der Fernsehredaktion das Wort „Armageddon" falsch geschrieben.

In der Eile der sich überstürzenden Ereignisse läßt sich nicht jedes Detail recherchieren. So beantwortet das grobgerastert eingeblendete Foto von Douglas Douglas Jr., dem jungen Mann ohne Knochen, auch nur sehr unzureichend die Frage, was „ohne Knochen" genau bedeutet. Eine Art Schädel scheint er jedenfalls zu besitzen, auch wenn er vielleicht etwas schmal erscheinen mag. Professorin Rikke schaltet auf Teletext. Um zehn soll in einer Sondersendung ausführlich über Douglas Douglas Jr. und die Hintergründe der Geiselnahme berichtet werden. Vielleicht ist sie bis dahin zurück.

Sie schaltet den Fernseher aus und verläßt das Haus. An der immer noch heißen Luft, die in den Straßen steht und sich sofort auf ihre Kopfhaut legt, wird sie daran erinnert, daß sie sich die Haare zu kleinen Stacheln zusammengegelt hatte. Im Fenster des Penny-Marktes vergewissert sie sich, daß die Spitzen noch einigermaßen gleichmäßig von ihrem Kopf abstehen. In der japanischen Mythologie gibt es ein Kind ohne Knochen, das von seinen Eltern, wie so viele Helden, gleich nach der Geburt ausgesetzt wird. - Frank Witzel, Blue Moon Baby. Hamburg 2015 (Edition Nautilus, zuerst 2001)

Knochenlosigkeit  (4)
 

Knochen Mangel

 

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