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nirscher  Schon ist seine Hand mit den fünf dicken, drollig gespreizten Fingern über den Schlüsselbeinresten, will in die Augenhöhlen greifen und den Schädel auf sichere Art lüpfen, da beginnt der Knirscher, der sich lange starr und kaum anwesend gegeben hat, mit mehreren Zähnen zu knirschen. Er tut es wie immer: von links nach rechts. Aber die Akustik des Schachtes höht und verbreitet das Geräusch dergestalt vorwarnend, daß Amsel mitten im Greifen einhält, über runden Rücken hinter sich blickt und die Stabtaschenlampe auf seinen Freund richtet.

Der Knirscher spricht nicht. Das Zähneknirschen soll deutlich genug sein. Es besagt: Amsel darf kein Fingerchen spreizen. Amsel darf nicht mitnehmen. Der Schädel ist nicht zum Mitnehmen. Stör ihn nicht. Rühr nicht dran. Schädelstätte. Golgatha. Hünengrab. Zähneknirschen.

Doch Amsel, dem es immer an bezeichnenden Versatzstücken und Requisiten, also am Notwendigsten fehlt, will die Hand schon wieder in Richtung Schädel schicken und zeigt - denn einen Schädel findet man nicht alle Tage - abermals die gespreizte Hand im staubwimmelnden Lichtausfluß der Stabtaschenlampe. Da trifft ihn ein- zweimal jener Knüppel, der zuvor nur Ratten getroffen hat. Und die Akustik des Schachtes steigert ein Wort, zwischen Schlag und Schlag ausgestoßen: «Itzich!» Walter Matern nennt seinen Freund so «Itzich!» - und schlägt zu. Amsel fällt seitwärts neben das Skelett. Staub pufft auf, legt sich umständlich. Amsel kommt wieder hoch. Wer kann so dicke, stoßweis rollende Tranen weinen? Außerdem kann Amsel, während es aus beiden Augen kullert und im Staub auf der Schachtsohle zu Staubperlen wird, gutmütig bis spöttisch grinsen: «Walter is a very silly boy.» Mehrmals wiederholt er den Sextanersatz und imitiert dabei den Englischlehrer; denn immer, auch während Tränen fließen, muß er jemanden, notfalls sich selber imitieren: «Walter is a very silly boy.» Und gleich darauf, wie man im Werder spricht: «Daas hiä is main Deetz. Dem Deetz hab ech jefunden. Mecht bloß ma probieren dem Deetz. Dann bring ech ihm allwedder hier.»

Aber der Knirscher ist nicht anzusprechen. Der Anblick der gewürfelten Gebeine läßt sein Gesicht zur Augenbrauenwurzel hin schrumpfen. Er verschränkt die Arme, stützt sich auf den Stock, versteinert in Betrachtung. Wenn immer er etwas Totes sieht: eine ersoffene Katze, Ratten, die er eigenhändig erschlagen, Möwen, die sein geworfenes Messer aufgeschlitzt hat, wenn er einen gedunsenen Fisch sieht, den kleine Wellen am Strand wälzen, oder weil er das Skelett sieht, dem Amsel den Schädel nehmen will, muß er mit den Zähnen von links nach rechts. Sein bulliges Jungengesicht verzieht sich zur Grimasse. Der Blick, sonst dösig bis stupid, wird stechend, verdunkelt sich, läßt richtungslos Haß vermuten: Theaterluft weht in den Gängen, Verliesen und Schächten unter der gotischen Trinitatiskirche. Zweimal hämmert der Knirscher mit eigener Faust die eigene Stirn, beugt sich, greift, hebt den Schädel zu sich und seinen Gedanken hoch, betrachtet ihn, während Eduard Amsel sich seitlich niederhockt.

Wer hockt da und muß sich erleichtern? Wer steht da und hält einen fremden Schädel weit von sich? Wer blickt neugierig hinter sich und betrachtet seinen Kot? Wer starrt einen blanken Schädel an und will sich erkennen? Wer hat keine Würmer, hatte aber mal welche, vom Salat? Wer hält den leichten Schädel und sieht Würmer, die einst den seinen? Wer? Wer? Zwei Menschen: nachdenklich und besorgt, jeder hat Gründe. Beide sind Freunde. Walter Matern legt den Schädel nieder, wo er ihn fand. Amsel kratzt schon wieder im Dreck mit dem Schuh und sucht und sucht und sucht. Walter Matern spricht laut und ins Leere große Worte: «Jähn wä nu. Hiä is daas Raich da Dooten.» - (hundej)

Knirschen


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