Kneipe, Londoner

 

Dr. Johnson erzählt ...

- Robert Crumb

Kneipe, Londoner (2)  . Eine lebhafte Diskussion über Hunderennen im allgemeinen und die Verdienste eines Hundes namens Blitz im besonderen war im Gange. Hector, immer bereit, eine Andeutung auf alles, was den Keim zu einer Nachricht in sich bergen konnte, aufzuschnappen, zog die Frühausgabe des Morning Star aus der Tasche und tat so, als ob er sie lese, während er seine Ohren offenhielt.

»Was ich sage«, sagte Lastträger Nummer Eins, »- noch ein Bier, Joe -, was ich sage, ist, wenn ein Hund Favorit ist wie dieser und mitten im Rennen stehenbleibt, als ob man ihn erschossen hätte, was ich sage ist, da möchte ich gerne wissen, was dahintersteckt.«

»Aaaaaah«, sagte Lastträger Nummer Zwei.

»Natürlich«, fuhr Nummer Eins fort, »will ich nicht sagen, daß man sich auf ein Vieh immer verlassen kann. Die Biester haben ihre schlechten Tage wie du und ich, aber was ich sage, ist -«

»Das stimmt«, warf ein kleiner Mann, der auf der anderen Seite von Nummer Zwei saß, ein, »das stimmt. Jawohl. Und außerdem haben sie Launen. Ich habe einmal einen Hund gehabt, der konnte Ziegen nicht ausstehen. Hat sie nicht sehen können. Oder nicht riechen. Ich weiß nicht. Sowie er eine Ziege sieht, bekommt er Anfälle, das Zittern. Konnte den ganzen Tag nicht laufen. Ich erinnere mich, einmal, da habe ich diesen Hund auf die Rennbahn gebracht, für ein Rennen, und plötzlich sieht er einen Kerl in der Straße, der zwei Ziegen an der Leine führt -«

»Was wollte denn der Kerl mit zwei Ziegen?« fragte Lastträger Nummer Zwei argwöhnisch.

»Woher soll ich das wissen, was der mit zwei Ziegen will?« erwiderte der kleine Mann empört. »Die Ziegen haben ja nicht mir gehört. Jedenfalls dieser Hund von mir -«

»Das ist etwas anderes«, unterbrach Lastträger Nummer Eins. »Nerven sind Nerven, und so etwas mit Ziegen kann jedem passieren. Aber, was ich sage, ist -«

»Was trinken Sie, Sir?« fragte der Wirt.

»Geben Sie mir ein -dunkles Bier«, sagte Hector. »Das tut einem gut, besonders an einem kühlen Morgen. Vielleicht«, fügte er, mit sich selbst und der Welt zufrieden, hinzu, »darf ich diese Herren auch zu einer Runde einladen.« Die beiden Lastträger und der kleine Mann gaben ihrer Dankbarkeit Ausdruck.

»Ja, die Nerven, die haben ihre Mucken«, sagte der kleine Mann. »Wenn wir von dunklem Bier reden, da hatte meine Tante einen Papagei. Das war ein Vogel! Ein Matrose hatte ihm das Reden beigebracht. Zum Glück hat die alte Dame die Hälfte von dem, was er gesagt hat, nicht hören können und die andere Hälfte nicht verstanden. Dieser Vogel nun -«

»Sie scheinen viel Erfahrung mit Tieren zu haben«, bemerkte Hector Puncheon.

»Die hab' ich«, bestätigte der kleine Mann. »Dieser Vogel nun, wie gesagt, hat Nervenanfälle gehabt, Sie hätten gestaunt. Hat sich auf seine Stange gesetzt und gezittert, als ob es ihn zerreißen wollte. Und was glauben Sie, war der Grund?«

»Keine Ahnung«, sagte Lastträger Nummer Zwei. »Auf Ihr Wohl, Sir!«

»Mäuse«, erklärte der kleine Mann triumphierend. »Konnte keine Maus sehen.- Und was, glauben Sie, haben wir ihm gegeben, damit er sich erholt?«

»Branntwein«, schlug der Lastträger Nummer Eins vor. «Es gibt nichts Besseres als Branntwein für Papageien. Wir haben einen zu Hause. Einen grünen. Der Bruder meiner Frau hat ihn aus -«

»Die Grünen reden nicht so gut wie die Grauen«, sagte der Lastträger Nummer Zwei. »In dem Wirtshaus >Zur Krone< bei uns am Hafen war ein Papagei -«

»Branntwein?« sagte der kleine Mann. »Keine Rede. Branntwein hat er nicht angeschaut.«

»Wirklich?« zweifelte Lastträger Nummer Eins. »Also - wenn man unserem alten Vogel eine Flasche Branntwein zeigt, dann hüpft er vor Freude beinahe aus seinem Käfig. Nicht zuviel natürlich, ein kleiner Teelöffel genügt -«

»Nein, es war kein Branntwein«, beharrte der kleine Mann. »Der Papagei meiner Tante war Antialkoholiker. Dreimal dürft ihr raten, was es war, und wenn es einer errät, bezahle ich eine Runde Bier. Einverstanden?«

»Aspirin?« meinte der Wirt, dem daran lag, daß jemand eine Runde Bier bezahlen sollte.

Der kleine Mann schüttelte den Kopf.

»Ingwer«, sagte der Lastträger Nummer Zwei. »Vögel haben Ingwer manchmal sehr gern. Er regt die Eingeweide an. Allerdings, manche behaupten, er ist zu scharf und gibt ihnen das Fieber.«

»Nutrax-Nervennahrung«, schlug Hector Puncheon vor, dessen Auge gerade auf das doppelspaltige Inserat im Morning Star gefallen war, welches die Schlagzeile hatte: Warum geben Sie Ihrer Frau die Schuld?

»Nutrax, keine Rede«, sagte der kleine Mann, »nichts von diesen Patentsachen. Nein. Starker Kaffee mit Pfeffer - das hat der Vogel gern gehabt. Hat ihn sofort kuriert. Jawohl. Na - es ist also doch nicht meine Runde, dieses Mal -«

Er sah Hector vielsagend an, und dieser bestellte eine neue Runde. Lastträger Nummer Zwei schlürfte sein Bier mit einem Schluck hinunter, verabschiedete sich mit einer Handbewegung und ging. Der kleine Mann rückte näher an Hector Puncheon heran, um für einen auffallend angezogenen Mann im Smoking und Abendmantel Platz zu machen, der eben hereingekommen war und sich schwankend an die Theke lehnte.

»Whisky mit Soda«, verlangte dieser Herr ohne weitere Förmlichkeit, »ein doppelter Whisky und nicht zuviel Soda.« Der Wirt sah ihn scharf an.

»Ist in Ordnung«, sagte der Neuankömmling, »ich weiß, was Sie denken, mein Junge, aber ich bin nicht betrunken. Nich' im mindesten. Nerven ein bißchen zerrüttet, dasisalles.« Er hielt inne, da er

sich scheinbar bewußt wurde, daß seine Zunge etwas aus dem Geleise gekommen war. »Habe einen kranken Freund gepflegt«, erklärte er mit Bedacht. »Sehr anstrengend, wenn man so die ganze Nacht aufbleibt. Sehr anstrengend für die Kontschi-Konschtituschion - Verzeihen Sie, meine falschen Zähne - schie schind losche . . .«

Er lehnte sich mit einem Ellenbogen auf die Theke, suchte mit dem Fuß eine Stütze, schob seinen Zylinder in den Nacken und grinste die Gesellschaft freundlich an.

Der Wirt des Weißen Schwans betrachtete ihn mit geübtem Auge, kam zu dem Schluß, daß er wohl noch einen Whisky mit Soda vertragen würde, und verabfolgte ihm das Getränk.

»Danke schehr, alter Knabe«, sagte der Fremde. »Auf Ihr Wohl. Was darf ich diesen Herren anbieten?«

Hector Puncheon lehnte höflich ab, er müsse jetzt gehen. »Nein, nein«, sagte der andere beleidigt. »Schagen Schie das nicht. Noch nicht Zeit zurn Gehen. Die Nacht ist noch jung.« Er legte liebevoll seinen Arm um Hectors Hals.

»Sie gefallen mir. Ehrliches Gesicht. Sie müssen mich besuchen. Ich habe Rosen im Garten. Da haben Sie meine Karte.« Er suchte in seinen Taschen und holte eine Brieftasche hervor, die er offen auf die Theke legte, eine Anzahl von kleinen Zetteln flog rechts und links zu Boden.

»Verdammt«, sagte der Herr, »ich meine: verflixt.« Hector bückte sich, um einige der zerstreuten Stückchen Papier aufzuheben, aber der kleine Mann war schneller als er.

»Danke, danke«, sagte der Herr. »Wo ist die Vischitenkarte? Das ist nicht die Karte, das ist die Einkaufsliste meiner Frau - haben Sie eine Frau?«

»Noch nicht«, gestand Hector.

»Sie haben Glück«, erwiderte der Fremde mit Nachdruck. »Keine Frau, keine verdammte Einkaufsliste.« Die Einkaufsliste fesselte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Er hielt sie in der Hand und versuchte ohne Erfolg, seinen Blick darauf zu konzentrieren. »Immer Päckchen nach Hause bringen wie ein verdammter Laufbursche. Wo habe ich jetzt das Päckchen?«

»Sie haben kein Päckchen gehabt, wie Sie hereingekommen sind, Sir«, sagte der Lastträger Nummer Eins. Die Runde Bier drohte in Vergessenheit zu geraten, und dieser würdige Mann hielt ohne Zweifel die Zeit für gekommen, den Herrn daran zu erinnern, daß neben dem enthaltsamen Mr. Puncheon auch noch andere da waren. »Macht durstig«, fügte er hinzu, »Päckchen mit sich herumtragen.«

»Verdammt durstig«, bestätigte der verheiratete Herr. »Noch einen Whisky mit Soda. Was wollten Sie, alter Junge?«

Wieder umarmte er Hector Puncheon, der sich vorsichtig losmachte.

»Ich will wirklich nichts«, begann er; aber da er sah, daß eine Ablehnung als Beleidigung aufgefaßt werden könnte, gab er nach und verlangte ein kleines Bier.

»Um auf die Papageien zurückzukommen«, sagte eine dünne Stimme hinter ihnen. Hector sah sich um und bemerkte einen vertrockneten alten Mann, der an einem kleinen Tisch in einer Ecke saß und einen Gin zu sich nahm. Er mußte wohl die ganze Zeit dagewesen sein, dachte Hector.

Der Herr im Smoking wandte sich so plötzlich um, daß er das Gleichgewidit verlor und sich an dem kleinen Mann festhalten mußte.

»Ich habe von Papageien nicht gesprochen«, sagte er und sprach die Worte sehr deutlich aus. »Es würde mir nicht einfallen, über Papageien zu sprechen.««

»Ich kannte einmal einen Pfarrer, der einen Papagei hatte«, fuhr der alte Mann fort. »Joe hieß er.«

»Was, der Pfarrer?« fragte der kleine Mann.

»Nein, der Papagei«, antwortete der Alte gutmütig, »und dieser Papagei war nie aus der Pfarrersfamilie herausgekommen. Hat an allen Familiengebeten teilgenommen und Amen gesagt wie ein richtiger Christ. Eines Tages nun hat der Pfarrer -«

Hector hatte das Gefühl, daß er eine weitere Papageiengeschichte nicht ertragen könne. Er lächelte höflich und entfloh. - Dorothy Sayers, Mord braucht Reklame. München  o. J. (ca. 1970)

 

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