Knebelbart  *****************— Ihr seid halb eingenickt, teure Lady, sagte der alte Gentleman, indem er die Hand der alten Lady nahm und sacht drückte, als er das Wort Knebelbart aussprach — sollen wir von anderem plaudern? Durchaus nicht, erwiderte die alte Lady - ich höre Euch gern von diesen Dingen reden: somit verhüllte sie ihren Kopf mit einem dünnen Gazetuch, lehnte sich, das Gesicht ihm zugewandt, im Sessel zurück, schob, indem sie sich hinlagerte, beide Füße etwas weiter vor und sagte dann - Ich begehre, daß Ihr fortfahrt.

Der alte Gentleman fuhr fort wie folgt.

—— Knebelbart! rief die Königin von Navarra und ließ ihr Knüpfgarnknäuel samt Nadel fallen, als La Fosseuse das Wort aussprach — Knebelbart; Madame, sagte La Fosseuse, indem sie das Knäuel an der Schürze der Königin feststeckte und einen Knix machte, als sie das Wort wiederholte.

La Fosseuse's Stimme war von Natur aus sanft und leise, doch sehr prononciert; und jeder Buchstabe des Wortes Knebelbart drang der Königin von Navarra höchst deutlich ins Ohr - Knebelbart! rief die Königin und legte größeren Nachdruck auf das Wort, als ob sie ihren Ohren noch immer nicht recht traute - Knebelbart; versetzte La Fosseuse und wiederholte das Wort zum drittenmal - Es gibt keinen Kavalier seines Alters in Navarra, Madame, fuhr die Ehrendame fort, um die Königin so recht für den Pagen einzunehmen, mit einem so stattlichen Knebel - Was Knebel? rief Margaret lächelnd - Bart, sagte La Fosseuse mit unbeschreiblicher Züchtigkeit.

Das Wort Knebelbart behauptete sich weiterhin und wurde nach wie vor in der besten Gesellschaft überall im kleinen Königreich von Navarra benutzt, obwohl La Fosseuse es so indiskret gebraucht hatte: denn freilich, La Fosseuse hatte das Wort nicht nur vor der Königin, sondern auch bei mannigfaltigen anderen Gelegenheiten bei Hofe mit einer gewissen Betonung ausgesprochen, die allemal etwas Geheimnisvolles andeutete — Und da der Hof von Margaret zu jener Zeit bekanntlich ein Gemisch von Galanterie und Frömmigkeit war — und Knebel auf beiden Gebieten Anwendung finden können, so behauptete sich das Wort natürlich - es gewann ebensoviel Terrain, als es verlor; will sagen, die Geistlichkeit war dafür - das Laientum dagegen - und was die Frauen betrifft, — die waren gespalten. —

Um diese Zeit begann die vortreffliche Gestalt und Haltung des jungen Sieur de Croix die Aufmerksamkeit der Ehrendamen nach der Terrasse vor dem Palasttor hinzulenken, wo die Wache aufzog. Die Dame de Baussiere verliebte sich sterblich in ihn, - La Battarelle desgleichen - dazu herrschte in Navarra die schönste Witterung seit Menschengedenken - La Guyol, La Maronette, La Sabatiere verliebten sich gleichfalls in den Sieur de Croix - La Rebours und La Fosseuse waren nicht so dumm - De Croix hatte einen mißglückten Versuch unternommen, sich La Rebours zu empfehlen; und La Rebours und La Fosseuse waren unzertrennlich.

Die Königin von Navarra saß mit ihren Damen am gemalten Bogenfenster dem Tor des zweiten Hofes gegenüber, als De Croix hindurchkam - Er ist hübsch, sagte die Dame Baussiere. - Er hat eine gute Haltung, sagte La Battarelle. - Er ist von schönem Wuchs, sagte La Guyol - Nie noch in meinem Leben sah ich einen Gardeoffizier, sagte La Maronette, mit zwei solchen Beinen - Noch einen, der so artig darauf stand, sagte La Sabatiere — Aber er hat keinen Knebelbart, rief La Fosseuse - Kein Stoppelchen, sagte La Rebours.

Die Königin begab sich stracks in ihr Oratorium und grübelte den ganzen Weg durch die Galerie immerzu über die Sache nach; bedachte sie in ihrer Phantasie von allen Seiten — Ave Maria  - was mag La Fosseuse nur meinen? sprach sie, als sie aufs Kissen niederkniete.

La Guyol, La Battarelle, La Maronette, La Sabatiere zogen sich augenblicks auf ihre Gemächer zurück - Knebelbart!  sprachen alle vier bei sich, als sie ihre Türen von innen verriegelten.

Die Dame Carnavallette betete unbemerkt ihren Rosenkranz mit beiden Händen unterm Reifrock ab - vom heiligen Antonius bis zur heiligen Ursula inklusive kam ihr kein Heiliger ohne Knebelbart zwischen die Finger; der heilige Franziskus, der heilige Dominikus, der heilige Benedikt, der heilige Basilius, die heilige Brigitta, alle hatten einen Knebelbart.

Die Dame Baussiere hatte sich durch allzu verzwickte moralische Betrachtungen über La Fosseuse's Diktum in wüsten Gedankengängen verloren - Sie bestieg ihren Zelter, ihr Page folgte ihr - das Allerheiligste kam vorüber - die Dame Baussiere ritt fürbaß.

Einen Heller, rief ein Barmherziger Bruder - einen einzigen Heller zum Frommen tausend duldender Gefangener, deren Augen den Himmel und Euch um Erlösung anflehen.

- Die Dame Baussiere ritt fürbaß.

Erbarmt Euch der Bedrängten, sagte ein frommer, ehrwürdiger Graukopf und hielt ihr mit den welken Händen demütig eine eisenbeschlagene Büchse hin — ich bitte für die Elenden - gütige Dame, 's ist für ein Gefängnis - für ein Spital - 's ist für einen alten Mann - einen durch Schiffbruch, durch Bürgschaft, durch Feuersbrunst ins Unglück gestoßenen armen Mann — Gott und alle seine Engel mögen's mir bezeugen - 's ist, um die Nackenden zu kleiden - die Hungernden zu speisen - 's ist, um die Kranken zu trösten und die, so gebrochenen Herzens sind.

- Die Dame Baussiere ritt fürbaß.

Ein heruntergekommener Anverwandter verbeugte sich bis auf den Boden hin.

- Die Dame Baussiere ritt fürbaß.

Barhaupt lief er bettelnd neben ihrem Zelter her, beschwur sie bei den Banden ihrer einstigen Freundschaft, Verschwägerung, Blutsverwandtschaft &c. - Base, Muhme, Schwester, Mutter -um der Tugend willen, um Euret-, um meinet-, um Christi willen, gedenket mein - erbarmt Euch meiner.

- Die Dame Baussiere ritt fürbaß.

Halte meinen Knebelbart, sagte die Dame Haussiere —— Der Page hielt ihren Zelter. Am Ende der Terrasse stieg sie ab.

Es gibt gewisse Gedankengänge, die hinterlassen um unsere Augen und Augenbrauen ihre Spuren; und irgendwo im Herzen wissen wir um ihr Vorhandensein, und das läßt diese Zeichen noch schärfer hervortreten - wir sehen, buchstabieren und setzen sie zusammen ohne ein Wörterbuch.

Haha! hihi! riefen La Guyolund La Sabatiere, als sie aneinander die Spuren in Augenschein nahmen — Hoho! riefen La Battarelle und Maronette, die's nicht anders machten: - Pst! rief die eine - st, st, - sagte die andere, - seht, sprach die dritte — puh, pah, versetzte die vierte - ei der Daus! rief die Dame Carnavallette; - sie war's, die der heiligen Brigitta einen Knebelbart angehängt hatte.

La Fosseuse zog die Haarnadel aus ihrem Dutt, und nachdem sie mit dem stumpfen Ende derselben den Umriß eines Knebelchens auf die eine Seite ihrer Oberlippe gezeichnet hatte, gab sie die Nadel La Rebours in die Hand - La Rebours schüttelte den Kopf.

Die Dame Haussiere hüstelte dreimal in ihren Muff - La Guyol lächelte - Fi donc, sagte die Dame Baussiere. Die Königin von Navarra tippte sich mit dem Zeigefinger unters Auge - wie um zu sagen, versteh' Euch durchaus.

Dem ganzen Hof leuchtete ein, das Wort war verdorben: La Fosseuse hatte ihm eine Wunde beigebracht, und all die Engpässe und Mühsale, durch die es gezwängt worden war, machten es nicht eben besser — Doch es hielt sich noch einige Monate, wiewohl auf schwachen Füßen; nach dieser Frist, da es dem Sieur de Croix höchste Zeit dünkte, mangels eines Knebelbarts Navarra zu verlassen - wurde das Wort dann anstößig und (nach wenigem Aufbegehren) zum ferneren Gebrauch gänzlich untauglich.

Das beste Wort der besten Sprache der besten Welt hätte bei sotanen Gedankenverknüpfungen Schaden genommen. - Der Kurat d'Estella schrieb ein Buch dawider, worin er die Gefahren solcher Nebengedanken darlegt und die Navarraner davor warnt.     

Weiß nicht alle Welt, sagte der Kurat d'Estella zum Beschluß seines Werkes, daß vor einigen Jahrhunderten die Nasen in den meisten Gegenden von Europa das nämliche Schicksal ereilte, welches itzt die Knebelbärte im Königreich Navarra betroffen hat - Das Übel breitete sich freilich damals nicht weiter aus -, doch haben Betten und Pfühle, Nachtmützen und Nachttöpfe seither nicht beständig am Rand des Verderbens gestanden? Sind Puffhosen, Hemdschlitze und Pumpenschwengel - und Spund und Zapfen nicht immer noch von der gleichen Ideenverbindung bedroht? - Läßt man der Keuschheit, dieser von Natur aus sanftesten aller Regungen - einmal die Zügel schießen - so bäumt sie sich auf wie ein brüllender Löwe.

Der wahre Gedankengang des Kurats d'Estella ward verkannt. - Man geriet indes auf die Afterbahn. - Die Welt zäumte ihn beim Schwänze auf. - Und wenn die Auswüchse der EMPFINDLICHKEIT und die Keime der FLEISCHESLUST ihr nächstes Provinzialkapitel zusammen halten, so erklären sie vielleicht auch dies für eine Zote.   - Laurence Sterne, Leben und Ansichten des Tristram Shandy, Gentleman. Übs. Michael Walter. Frankfurt am Main 2010

Knebelbart (2)  knebelbart, m. gedrehter schnauzbart, 'mystax' Dief. 363c (von 1530), Maaler 246c, zwickelbart Stieler 768, moustache Rädlein 549b, schnurrbart, Schweizerbart, spreizbart Adelung;  eigen anklingend altfries. kenep, kanep, knep mystax (mnd. knop) Richth. 862b. auch nl. knevelbaerd Kil., dän. knebelsbart. früher oft auffallend mit ä (wie nd. knävel), doch auch mit ö (d. i. hohem e):

Schweizer, du scheist mir ein dreck auft nas
und fünfzehen in knebelparte. landsknechtlied von 1525

solt ich bei mannlichen leuten nicht angenemer werden, wann ich ein solchen knebelbartfressigen namen hette ... als Eisenbart, Kerle, Hörenbrand u. s. w.
Garg. 107a (Sch. 190), vielleicht ein landsknechtisches kraftwort;
ihr mistaxische knäbelbartbeiszer. groszm. 605 Sch.;
kanst auch durch den knebelbart pfeifen?

trugen all türkisch knebelbert. froschm. C 7a; grosze knöbelbärt .. damit sie einem kind die augen hätten ausstechen können. Philander (1650) 1, 148; sein meikäferknebelbärtlein ein mal drei oder vier strichlende und trillende. 2, 208; diese (suffi) dürfen ihre knäbelbarte nimmer beschneiden. Olearius ros. 57; (die) ihre leiber und gemüther ... mit französischen kleidungen, baruquen und kleinen winzigen knöbelbärtgern ... gleich den natürlichen Franzosen verstellen. Simpl. 1, 722; mit einer nase, die ganz über seinen knebelbart herunter hieng. Gellert (1784) 4, 101; knebelbart an einer statue. Winckelmann 6, 239. 240; der kriegerische knebelbart. Lessing 2, 410. 407;

werd ich dir nicht mehr den knebelbart streichen.
Zachariä 1, 285, von einer katze;

dasz oft am schwarzen knebelbart
die helle thräne rinnt.
Fr. Stolberg 1, 73;   - Grimmsches Wörterbuch

 

Bart

 

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