»Und der Staatsanwalt?«
»Monsieur Duhourceau? Hat man dir schon gesagt ...«
»Was ist denn mit ihm?«
»Seine Schwester, die die Witwe eines Schiffskapitäns ist, ist verrückt. Andere behaupten, er habe sie ihres Vermögens wegen in eine Anstalt sperren lassen.«
Maigret frohlockte. Sein ehemaliger Kollege blickte ihn verblüfft an, wie er dort im Bett saß und mit halb zugekniffenen Augen auf den Platz blickte.
»Und weiter?«
»Nichts. In Kleinstädten...«
»Nun, mein lieber Leduc, dies ist nicht irgendeine Kleinstadt. Dies ist eine Kleinstadt, in der es einen Verrückten gibt.«
Das Seltsamste war, daß Leduc wirkliche Besorgnis bekundete.
»Ein Verrückter in Freiheit. Ein Verrückter, der nur zeitweilig verrückt ist und sonst ein normaler Mensch ist wie du und ich.«
»Langweilt sich deine Frau hier nicht zu sehr?«
»Sie stellt in der Küche alles auf den Kopf. Sie gibt dem Koch Rezepte und schreibt sich die ab, die sie von ihm bekommt. Vielleicht ist der Koch der Verrückte.«
Es ist ein wahrer Rausch, dem Tode entgangen zu sein, Rekonvaleszent zu sein, verwöhnt zu werden, besonders in einer unwirklichen Atmosphäre. Und dennoch sein Gehirn arbeiten zu lassen aus purem Vergnügen. Eine Gegend, eine Stadt von seinem Bett, von seinem Fenster aus zu studieren.
»Gibt es hier eine städtische Bibliothek?«
»Aber natürlich!« „
»Nun, würdest du mir die Liebe tun und mir dort alle Werke
besorgen, die von Geisteskrankheiten, von Perversionen, von Manien
handeln? « - Georges Simenon, Maigret und der Verrückte.
München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 67, zuerst 1932)
- (
mo
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Kleinstadt (3) An den Augustnachmittagen liegt
die Straße verlassen da, weiß vor Staub, und der Himmel darüber ist so grell
wie Glas. Nichts regt sich, keine Kinderstimme ist zu hören, nur das Summen
der Baumwollspinnerei. Die Pfirsichbäume scheinen sich jeden Sommer stärker
zu krümmen, und ihre Blätter sind von stumpfem Grau und krankhaft zart. Das
Haus Miss Amelias neigt sich so weit nach rechts, daß es nur eine Frage der
Zeit ist, bis es vollständig zusammenstürzt, und die Leute hüten sich,
den Hinterhof zu betreten. Man kann in der Stadt keinen guten Whisky bekommen;
bis zur nächsten Brennerei sind es acht Meilen, und der Whisky ist von einer
Qualität, daß jeder, der ihn trinkt, Geschwüre auf der Leber bekommt, groß wie
Erdnüsse, und sich in eine gefährliche Traumwelt verspinnt. In der Stadt kann
man rein gar nichts unternehmen. Man kann um den Mühlteich wandern, kann mit
dem Fuß gegen einen morschen Baumstumpf stoßen und sich den Kopf zergrübeln,
was man wohl mit dem alten Wagenrad anfangen könnte, das neben der Kirche am
Straßenrand liegt. - (
bal
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