kleinigkeiten   Als Junge war ich (und wäre es sehr lange geblieben, wenn ich nicht mit Gewalt auf sexuelle Dinge gestoßen worden wäre) hinsichtlich sexueller Angelegenheiten so unschuldig und uninteressiert wie heute etwa hinsichtlich der Relativitätstheorie. Nur Kleinigkeiten (aber auch die erst nach genauer Belehrung) fielen mir auf, etwa, daß gerade die Frauen, die mir auf der Gasse die schönsten und die schönstangezogenen schienen, schlecht sein sollten.- Franz Kafka, Tagebücher (7. April 1922)

Kleinigkeiten (2) Wenn Dürer auch immer mehr von einer minuziös beschreibenden Darstellung überging zu einer generellen, formalen, so ist doch der Drang nach der erstgenannten Richtung aus seinem Leben nie ganz geschwunden, ja war sogar an seinem Tod nicht ganz unschuldig. Auf seiner Reise in die Niederlande im Jahre 1521 kam ihm zu Ohren, in Seeland sei ein riesiger Wal gestrandet. Dürer wollte dieses größte aller Tiere unbedingt sehen und zeichnen, da es den in der Bibel geschilderten Ungeheuern der Tiefe am nächsten kam. Nach einer höchst riskanten Reise durch das von Mücken wimmelnde niederländische Sumpfland verpaßte er indes die Gelegenheit, das Riesentier zu zeichnen, weil es sich schon wieder davongemacht hatte. Bald danach schüttelten ihn heftige Fieberanfälle, vermutlich ausgelöst durch eine Malaria übertragende Mücke. Seitdem plagten ihn solche Fieberanfälle in wechselnder Stärke sieben Jahre lang bis zu seinem Tod. So starb denn der getreueste aller Tiermaler, weil er das größte Tier zeichnen wollte, durch den Stich eines der allerkleinsten. - Colin Eisler, Dürers Arche Noah. Tiere und Fabelwesen im Werk von Albrecht Dürer. München 1996 (zuerst 1991)

Kleinigkeiten (3) Es ist ein gewisser Geist der Kleinigkeiten (esprit des bagatelles), welcher eine Art von feinem Gefühl anzeigt, welches aber gerade auf das Gegenteil von dem Erhabenen abzielt. Ein Geschmack vor etwas, weil es sehr künstlich und mühsam ist, Verse, die sich vor und rückwärts lesen lassen, Rätsel, Uhren in Ringen, Flohketten etc. etc. Ein Geschmack vor alles, was abgezirkelt und auf peinliche Weise ordentlich obzwar ohne Nutzen ist, z. E. Bücher, die fein zierlich in langen Reihen im Bücherschranke stehen, und ein leerer Kopf, der sie ansieht und sich erfreuet, Zimmer, die wie optische Kasten geziert und überaus sauber gewaschen sind, zusamt einem ungastfreien und mürrischen Wirte der sie bejwohnt. Ein Geschmack an allem demjenigen was selten ist, so wenig wie es auch sonsten innem1 Wert haben mag. Epiktets Lampe, ein Handschuh von König Karl den Zwölften; in gewisser Art schlägt die Münzensucht mit hierauf ein. Solche Personen stehen sehr im Verdacht, daß sie in den Wissenschaften Grübler und Grillenfänger, in den Sitten aber vor alle das, was auf freie Art schön oder edel ist, ohne Gefühl sein werden.  - Immanuel Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764)

Kleinigkeiten (4) » Le Villard besitzt selbst bemerkenswerte Talente, und zwar zwei jener drei Eigenschaften, die für den idealen Detektiv unerläßlich sind. Er hat die Gabe der Beobachtung und die der Kombination. Nur Kenntnisse fehlen ihm noch, aber das mag mit der Zeit schon kommen. Er beschäftigt sich gerade damit, meine bescheidenen Werke ins Französische zu übersetzen.«

»Deine Werke?«

»Ach, wußtest du gar nichts davon?« rief er lachend. »Ja, ich habe einige Untersuchungen verbrochen. Alle über technische Dinge. Hier zum Beispiel ist eine ›Über die Unterscheidung verschiedener Tabaksorten nach ihrer Asche‹. Ich habe darin einhundertvierzig Arten von Zigarren, Zigaretten und Tabaksorten für Pfeifen aufgezählt und die Unterschiede der Asche mit Farbtafeln illustriert. Dieser Punkt nimmt an Bedeutung bei Gerichtsverhandlungen ständig zu und gibt einem manchmal das letzte Glied in der Kette der Beweisführung an die Hand. Wenn du zum Beispiel mit Bestimmtheit sagen kannst, daß ein Mord durch einen Menschen verübt worden ist, der eine indische Lunkah rauchte, so begrenzt dies natürlich das Feld, auf dem du deine Nachforschungen anstellst, ganz ungemein. Für das geschulte Auge ist der Unterschied etwa zwischen der schwarzen Asche einer Trichinopoly und dem Staub jener hellen Damenzigarette, die man ›Vogelauge‹ nennt, so deutlich wie der zwischen einem Kohlkopf und einer Kartoffel.«

»Du hast einen genialen Blick für Kleinigkeiten«, bemerkte ich.

»Weil ich ihre Bedeutung richtig einschätze«, erwiderte er. »Hier hast du meine Abhandlung über Fußspuren, mit einigen Anmerkungen über den Gebrauch von Gips zur Erhaltung der Eindrücke. Und hier, sieh, das ist wirklich ein merkwürdiges Schriftchen, über den Einfluß des Berufs auf die Handform, mit graphischen Darstellungen der Hände von Schlächtern, Seeleuten, Korkschneidern, Komponisten, Webern und Diamantenschleifern. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wichtig das in der Praxis für einen wissenschaftlich geschulten Detektiv ist — zumal in Fällen, wo es um die Identifizierung von Leichen geht, oder darum, das Vorleben eines Verbrechers zu bestimmen.« - Sir Arthur Conan Doyle, Im Zeichen der Vier. Berlin u.a. 1972 (Ullstein-Tb. 2744)

Kleinigkeiten (5)  Der abgekaute Nagel, die Haarlocke oder sonst  ein Fragment einer Person, dank dessen sich eine Magie ausüben läßt.

Bei Sigmund Freud, den ein französischer Intellektueller der zwanziger Jahre mit einem Detektiv (namentlich mit Nick Carter) verglich, dessen Jagd nach dem Geheimnis sich auf ein paar unbedeutende Indizien stützt, das unscheinbare Faktum - ein Lapsus, eine Fehlleistung -, das von größter Bedeutung erfüllt ist.

Bei Marcel Proust, der fast seine ganze Zeit auf den Versuch verwandte, die Zeit zu neutralisieren, die flüchtige Empfindung, welche ein weites Feld von Erinnerungen hervortreten läßt.

Der Apfel Newtons, der präzise und konkrete Fall, von dem man ausgeht, um eine Theorie zu erarbeiten.

Im umgekehrten Sinn der Wassertropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. - (leiris2)

Kleinigkeiten (6)   

 - N.N., nach SZ

Kleinigkeiten (7)  Im Jahre 1912 fand in Graz ein Prozeß statt, in dem ein Hauptmann, der seinen Putzfleck mit Fußtritten zu Tode gemartert hatte, eine bedeutende Rolle spielte. Der Hauptmann wurde damals freigesprochen, weil er es erst zum zweitenmal getan hatte. - Jaroslav Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Reinbek bei 1969 (zuerst 1920 - 1923)

Kleinigkeiten (8)  Wie die großen Auktionshäuser haben Himmel und Hölle in ihren Gängen Haufen von Dingen gelagert, die niemanden in Erstaunen versetzen werden, denn es sind dieselben, die man für gewöhnlich in den Häusern der Welt findet. Aber es ist nicht hinreichend deutlich, nur von Gegenständen zu reden: In diesen Gängen gibt es auch Städte, Dörfer, Berge, Täler, Sonnen, Monde, Winde, Meere, Sterne, Spiegelungen, Temperaturen, Geschmäcker, Düfte, Laute, denn die Ewigkeit bietet uns alle möglichen Empfindungen und Schauspiele.

Wenn der Wind für dich wie ein Tiger brüllt und die engelgleiche Taube beim Hinsehen Augen wie eine Hyäne hat; wenn der geschniegelte Mensch, der die Straße überquert, geile Lumpen trägt; wenn die preisgekrönte Rose, die man dir schenkt, ein verwaschener Lappen ist und weniger interessant als ein Spatz; wenn das Angesicht deiner Frau ein abgeschabtes und wütendes Stück Holz ist: Deine Augen, und nicht Gott, schufen sie so.

Wenn du stirbst, werden die Teufel und die Engel, die beide gleich gierig sind, vermummt an dein Bett treten, weil sie wissen, daß du schläfst; sie werden dein Haupt liebkosen und dir die Dinge zur Auswahl vorlegen, die du im Lauf deines Lebens am liebsten hattest. Nach Art einer Musterkollektion werden sie dir anfangs die elementaren Dinge vorführen. Wenn sie dir die Sonne zeigen, den Mond oder die Sterne, so wirst du sie in einer bemalten Glaskugel erblicken und glauben, diese Glaskugel sei die Welt; wenn sie dir das Meer zeigen, oder die Berge, so wirst du sie auf einem Stein erblicken und glauben, dieser Stein sei das Meer und die Berge; wenn sie dir ein Pferd zeigen, so wird es eine Miniatur sein, aber du wirst glauben, es sei ein wirkliches Pferd. Engel und Teufel werden deinen Sinn mit Bildern von Blumen, kandierten Früchten und Pralinen betören und dich glauben machen, du seist noch ein Kind; sie werden dich auf ein Handstühlchen setzen, das man auch Königinsessel oder Goldsessel nennt, und so werden sie dich auf verschränkten Händen durch jene Gänge zum Zentrum deines Lebens tragen, wo deine Vorlieben hausen. Hab acht! Wenn du mehr Dinge aus der Hölle als aus dem Himmel wählst, kommst du vielleicht in den Himmel; wenn du aber mehr Dinge aus dem Himmel wählst als aus der Hölle, läufst du Gefahr, in die Hölle zu kommen, denn deine Liebe zu den himmlischen Dingen verrät nur Lüsternheit.  

Die Gesetze des Himmels und der Hölle sind vielseitig. Ob du an den einen oder den andern Ort kommst, hängt von einer winzigen Kleinigkeit ab. Ich kenne Leute, die wegen eines zerbrochenen Schlüssels oder eines Korbkäfigs in die Hölle, und andere, die wegen eines Zeitungsblattes oder einet Tasse Milch in den Himmel kamen.- Silvina Ocampo, La  Furia, nach (boc)

Kleinigkeit (9)  

  - Thomas Körner

Kleinigkeit (10)  

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